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Heimat „Estreich“

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,J)er Jude war eben wie geschaffen für einen Staat, welcher auf den Trümmern von hundert lebendigen Politien erbaut und mit einer gewissermaßen abstrakten und von vornherein ver-schliffenen Nationalität ausgestattet werden sollte. Auch in der alten Welt war das Judentum ein wirksames Ferment des Kosmopolitismus und der nationalen Dekomposition.“

Theodor Mommsen, der große Historiker des alten Rom, hat in diesen Sätzen ein gültiges Urteil über die ureigene Aufgabe des jüdischen Volkes in den Wechselfällen einer langen Geschichte ausgesprochen. Wir denken dabei freilich weniger an die Kosmopo-litien des Imperium Romanum als an die k. u. k. Monarchie. Denn diese fordert, wenn es um die Stellung der Juden im Gefüge eines Vielvölkerreiches geht, den Vergleich geradezu heraus.

Wie damals die Mischna (das „mündliche Gesetz“) die Malkhut —und damit war das römische Imperium gemeint — als ein vom Herrn gesandtes Glück betrachtete, so blickten die Juden des 19. Jahrhunderts, die immer noch dieselbe Mischna lernten, auf das „gebenschte Estreich“ und auf Habsburgs Thron. Ein Gut der antiken Kultur machten sie sich dabei in seiner österreichischen Fassung zu eigen: Die Koine, die gemeinsame deutsche Sprache.

Heute, da so viel von Mitteleuropa die Rede ist, leuchtet der Gedankengang ein, daß die Donaumonarchie — gleich Rom — mit einer „verschliffenen Nationalität“ auf dem richtigen Wege und der Jude für diesen Staat „eben wie geschaffen“ war. Das spiegelt sich in den Erinnerungsbüchern der ehemaligen kakanischen Weltbürger und später heimatlos Gewordener wieder.

Doch schon frühere Untersuchungen zur Geschichte der Monarchie, die bald nach ihrem Untergang begannen, stellten sich die Frage, welche Kräfte sie zusammengehalten und welche sie aufgelöst haben. Neben der Dynastie, der Aristokratie, der Kirche, der Armee und der höheren Verwaltung erscheinen denn auch die Juden als zentripetale Kraft. Denn ähnlich den Offizieren oder Beamten sind sie weniger lokal und national als die übrigen Bürger, sondern mehr auf den Gesamtstaat hin orientiert.

Einem jüdischen „Achtundvierziger“ verdanken wir die überzeugendste Darstellung der

österreichischen Staatsidee, nämlich Adolph Fischhof, dessen lautere Absicht vom ersten Augenblick seines politischen Handelns an allen höchsten Respekt abnötigte.

Im Jahr 1869 veröffentlichte er das Buch „Österreich und die Bürgschaften seines Bestandes“. Es war nicht eine halbherzige Verteidigung des veralteten, angeblich lebensunfähigen Staates, sondern vielmehr der Nachweis, daß das ethnisch gemischte Staatswesen eine gerechtere Lösung anzubieten hat und außenpolitisch das Gleichgewicht sichert.

Fischhof ist es, der hier als einer der ersten einen Vergleich mit der Schweiz zieht: Diese sei ein republikanisches Österreich en minia-ture, der Kaiserstaat dagegen eine monarchische Schweiz im großen, nämlich ein Nationalitätenreich, das in einen Repräsentativstaat nach modernen Begriffen umgestaltet wurde. Doch wenn die Fö-deralisierung (eine österreichische Eidgenossenschaft) nicht wirklich gelinge, stehe die Existenz des Staates auf dem Spiel.

Es war ein großes Unglück für Österreich, daß Fischhof keine

Nachfolge in Form einer starken Partei fand. Der „Weise von Em-mersdorf“ hatte allerdings einen Kreis von Schülern und Verehrern in der jüngeren Politikergeneration, zu denen übrigens auch Karl Lueger zählte.

In der Nachfolge Fischhofs steht aber vor allem ein Mann, der sich als Politiker über die Aufgabe der Juden in Österreich klar ausgesprochen hat: Joseph Samuel Bloch, Rabbiner und Reichsratsabgeordneter, von Freund und Feind kurz Rabbi Bloch genannt.

Im Abgeordnetenhaus gehörte er dem Polenclub an, doch vertrat er sowohl im Reichsrat wie sonst in der Öffentlichkeit sehr energisch die Interessen der jüdischen Gemeinschaft. Damit wollte er nachholen, was die Israelitische Kultusgemeinde zu tun versäumt hatte.

Am deutlichsten sprach Bloch von der politischen Aufgabe der Juden in seiher Schrift „Der nationale Zwist und die Juden in Österreich“ (1886). Er stellte glaubhaft dar, daß die Juden an dem Streit der Völker innerhalb des Staates keinen Anteil haben dürfen. Sie seien vielmehr Bürger, die sich uneingeschränkt Österreicher nennen können und darin alle Nationalitäten übertreffen. Diese Gleichung Jude = Österreicher war nicht das Hirngespinst eines Politikers, sondern hatte ein fundamentum in re, durch die tägliche Erfahrung weitgehend bestätigt.

So etwa auch durch ein Scherzwort der letzten Jahrzehnte der Monarchie: „Eine Umfrage bestätigt, daß alle Österreicher Juden sind. Wen immer du fragst, was er sei, du wirst von ihm hören: Ich bin Tiroler, Steirer, Tscheche, Slowene, Kroate. Wenn jedoch einer antwortet: Ich bin Österreicher, dann ist es bestimmt ein Jude.“

Der Autor, Wissenschaftlicher Oberrat, ist Lektor am Institut für Judaistik an der Universität Wien.

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