6857359-1977_21_08.jpg
Digital In Arbeit

Enttäuschte Bürgerrechtler hoffen auf Belgrad

Werbung
Werbung
Werbung

Die Entspannungspolitik des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt und des früheren amerikanischen Außenministers Henry Kissinger habe sich nicht nur auf die freien Staaten des Westens, sondern insbesondere auf die Bürgerrechtsbewegungen in den Ostblockstaaten äußerst nachteilig ausgewirkt. Obgleich die Bürgerrechtsbewegung der Sowjetunion sich als „natürlicher Verbündeter“ der westlichen Demokratien verstanden habe, sei sie von Brandt und Kissinger als „Störenfried“ betrachtet worden. Eine große Enttäuschung in der sowjetischen Bevölkerung und eine Krise in der Bürgerrechtsbewegung seien die Folge gewesen.

Diese kritischen Feststellungen traf der sowjetische Bürgerrechtler Andrej Amalrik bei einer internationalen Fachtagung im Bildungszentrum Wildbad Kreuth der Hanns-Seidel- Stiftung.

Als eine „höchst unrealistische Poli tik“ wertete Amalrik das Entspannung sbestr eben von Brandt und Kissinger. Beide Politiker hätten auf die moralische Grundlage der westlichen Politik verzichtet, „weil als moralische Grundlage der westlichen Politik keinesfalls das Anwachsen des Konsumniveaus dienen kann, sondern die Menschenrechte gelten müssen.“ Außerdem hätten sie den Zusammenhang zwischen der sowjetischen Innen- und Außenpolitik nicht erkannt. Dadurch habe ihre Politik die erforderliche Dynamik verloren und sie konnten auf die sowjetische Politik nur noch reagieren. Die Ostpolitik des amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter stelle hingegen nicht nur die Sowjetunion, sondern auch einige westliche Staaten vor Rätsel.

Publizität, gleichgültig, durch welche Medien sie erreicht wird, sei für die Bürgerrechtsbewegung in der Sowjetunion die Hauptwaffe. Doch gerade darauf hätten Brandt und Kissinger verzichten wollen. Um die innere Situation der Sowjetunion zu kennzeichnen, zitierte Amalrik einen bezeichnenden Satz seiner Untersuchungsrichter: „Sie dürfen denken, was sie wollen, aber sagen dürfen sie nur, was wir wollen!“

Dieser der Freiheit Hohn sprechende Grundsatz, wenn auch nicht direkt ausgesprochen, gilt in den kommunistischen Ländern für alle Lebensbereiche, besonders aber für die Kirchen und ihre Gläubigen. Dabei werden die Konfessionen trotz grundsätzlicher Gleichberechtigung durchaus unterschiedlich behandelt; dies im besonderen bei ihren Kontakten mit dem Ausland. Prof. Dr. Läszlö Revėsz von der Universität Bern, der auch im Schweizerischen Ost-Institut tätig ist, ergänzte: „Für die russisch-orthodoxe Kirche und die evangelischen Christen in der Sowjetunion ist der Kontakt mit internationalen kirchlichen Organisationen und Zentren heute nicht nur er laubt, sondern geradezu erwünscht“. Die Sowjets hoffen, damit im Ausland eine Propagandawirkung für die sowjetische „Friedenspolitik“ zu erzielen.

Der katholischen Kirche in den Ostblockstaaten werde hingegen eine enge Zusammenarbeit mit Rom verweigert. Trotz der vatikanischen Bemühungen - diese hatte Pater Sėgur von Radio Vatikan hervorgehoben - werde das gläubige katholische Volk mehr noch als früher unterdrückt. Der aktive Gläubige bleibt, nach Meinung von Prof. Revėsz, „Freiwild“, wenngleich in dem einen oder andern Ostblockland der Druck auf Bischöfe und Priester etwas nachgelassen habe.

Obwohl in einigen Staatsverfassungen sogar eine gewisse Art von Religionsfreiheit festgelegt ist - so etwa garantiert die Sowjetunion „die Freiheit der Ausübung religiöser Kulthandlungen“ -, werden diese elemen taren Menschenrechte von den Partei- und Staatsorganen systematisch mißachtet. Den Kirchen in der UdSSR und in ihren Satellitenstaaten mit Ausnahme Polens ist es verboten, in öffentlichen Anstalten (wie Krankenhäusern und Gefängnissen) oder auf Friedhöfen religiöse Kulthandlungen vorzunehmen. Aber auch jede soziale oder gesellschaftliche Tätigkeit (wie Krankenpflege und Jugendarbeit) ist ihnen untersagt. Was immer an religiösen Aktivitäten unternommen wird, unterliegt strengen Kontrollen. Sogenannte „Zuwiderhandlungen“ werden im allgemeinen hart geahndet.

Eine sehr ernste Mahnung richtete Tagungsleiter Prof. Dr. Nikolaus Lob- kowicz, Präsident der Universität München, an die verantwortlichen Staatsmänner: „Wenn in Belgrad nicht die Stimmen der unterdrückten und vergewaltigten osteuropäischen Völker zu Worte kommen, hat die sogenannte ,Freie Welt‘ jeden Anspruch verloren, von Menschenrechten, von bürgerlichen, politischen und individuellen Rechten des Menschen zu sprechen“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung