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Der Befehlsempfänger

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Es sind noch einige Gefechte zu führen, aber die Schlacht gilt als geschlagen: George Bush, der farblose Vize des stets schillernden Ronald Reagan, wird mit nahezu absoluter Gewißheit Präsidentschaftskandidat der Republikaner.

Und es müßte schon ein Wunder geschehen, wenn nicht er, sondern einer der demokratischen Bewerber um die Präsidentschaft ins Weiße Haus einzöge.

Welche Art von Präsident aber würde George Bush sein?

„Ob er UNO-Botschafter war, Direktor der CIA oder Vizepräsident“, urteilt dazu das „Time“-Magazin, „George Bush nahm eher Befehle entgegen, als daß er das Kommando übernahm.“

Genau das stimmt. Das betrifft sogar einen längeren Zeitraum. Denn so, wie da in „Time“ geschildert, gab sich Bush im Verlauf seiner gesamten Karriere.

Er hat zwar Meinungen geäußert und sie korrigiert, er hat Stellung bezogen und das bereut — aber er hat nie Charisma gezeigt oder Imagination, und an Initiativen hat er es immer fehlen lassen.

Die Amerikaner, aber auch die Europäer müssen umdenken. Sie dürften es bald mit einem Präsidenten zu tun bekommen, mit dem schwerer umzugehen ist als mit Ronald Reagan - eben der geschilderten Charakterzüge wegen, die George Bush auch als Schwäche und Wankelmütigkeit ausgelegt werden.

Reagan war bemüht, sich nicht um Kleinigkeiten zu kümmern, sondern zu delegieren. Er bevorzugte einen sehr unabhängig arbeitenden Stabschef, der für ihn vieles „filterte“. Reagan konnte schnelle Entscheidungen treffen, die vielleicht nicht immer voll durchdacht waren.

Bush ist übervorsichtig, ja ängstlich, will deshalb wenn nicht alles, dann viel allein machen und entscheiden. Er liebt zudem die lange, ausführliche Diskussion, die Vorteile hat, aber auch den Nachteil, daß Entscheidungen zu lange aufgeschoben werden.

Der Vizepräsident ist konservativ, wenn auch nicht ganz so wie Reagan. Nur zehn Prozent der US-Wähler stufen ihn als liberal ein, 28 Prozent meinen, er vertrete die Mitte, 39 Prozent sehen in ihm den Konservativen. Konservativismus ist ja auch die Grundstimmung Amerikas. In sein Kabinett würde er aber mit Sicherheit einige liberalere Minister aufnehmen. Doch der von ihm in Aussicht genommene jetzige Finanzminister James Baker, ein erz-konservati-ver Geist, würde sicher engster Berater oder Stabschef des Weißen Hauses.

Bush ist weitaus „namenloser“ als ihm lieb ist. Er ist vielleicht das „unbeschriebenste Blatt“ unter den Präsidentschaftsbewerbern der letzten Jahrzehnte.

„Aber abwarten“, urteilt der Washington-Kenner Mitchell Daniels, derzeit Chef des „Think Tank“ Hudson-Instituts — „abwarten — Bush kann sich schnell entfalten, sich schnell bewähren, schnell Profil zeigen.“

Es gab schon einmal in der modernen amerikanischen Geschichte einen Fall, als ein völlig „unbeschriebenes Blatt“ Präsident wurde: Das war, zwischen 1945 und 1953, Harry Truman. Er entwickelte sich erst im Amt und wurde ein entschlußfreudiger, vorausschauender Präsident.

Kann George Bush ein zweiter Harry Truman werden?

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