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„Ronald Reagan kennt die Militärs nicht quot"

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FURCHE: Der jetzige amerika-iTnische Präsident Ronald Reagan hat sich schon in seiner Wahlkampagne, aber auch in seiner Amtszeit etliche Male auf Präsident Dwight D. Eisenhower berufen. Was nun die Außenpolitik der jetzigen US-Regierung betrifft: Sehen Sie irgendwelche Gemeinsamkeiten zwischen Eisenhower und Reagan?

PROF. STEPHEN E. AMBROSE: Gewiß, Reagan hat versucht sich ein Image aufzubauen, das ihn als einen Präsidenten in den Fußstapfen „Ike" Eisenhowers zeigen sollte. Aber was die Außenpolitik anbetrifft, ist Reagan ganz gewiß nicht dessen Nachfolger.

Zuerst einmal: Eisenhower hatte in Europa gearbeitet und kannte deshalb die politischen Führer und die politische Situation. Reagans Hintergrund ist völlig anders. Er hatte bis zu seinem Amtsantritt keinerlei Erfahrungen in europäischen Angelegenheiten.

Ebenso unterschiedlich sind die außenpolitischen Ansätze der beiden: Ike's Hauptinteresse galt stets Europa. Bei Reagan scheint mir das nicht der Fall. Ihn beschäftigt zuerst das, was in unmittelbarer Nähe der USA passiert — zum Beispiel in Lateinamerika, vor allem aber in Zentralamerika.

Und schließlich die Unterschiede in der politischen Rhetorik: Eisenhower kam 1952 mit einem Friedensprogramm ins Weiße Haus, bar von kriegerischen Tönen. Er erklärte, daß er mit den Sowjets auskommen wolle und daß er in Korea Frieden schließen werde — was er dann auch tat. Reagan führte schon seinen Wahlkampf auf einer ganz anderen Ebene: Seine Devise: Härte zeigen gegenüber den Sowjets!

FURCHE: Sehen Sie auch Unterschiede zwischen diesen beiden Präsidenten in der Verteidigungspolitik?

AMBROSE: Eisenhower war stets darauf erpicht, die Verteidigungsausgaben so gering wie möglich zu halten. In einem Rüstungswettlauf sah er die größte Gefahr für die USA, weil ein soleher die Vereinigten Staaten ruinieren könne. Denn — so seine Analyse — aufgrund der Sklavenarbeit in der Sowjetunion könne sich Moskau einen Rüstungswettlauf viel eher als die USA leisten. In den Vereinigten Staaten kann man die Arbeiterschaft nicht dazu zwingen, zwölf Stunden am Tag und sechs Tage in der Woche zu schuften.

Zum zweiten: Eisenhower hatte große Angst vor der Inflation -was natürlich auch auf Reagan zutrifft. Nur — im Gegensatz zu Reagan wußte Ike, daß man nicht unaufhörlich Geld in die Verteidigung pumpen kann, ohne damit nicht die Inflation anzuheizen. Denn Panzer und Raketen sind unproduktive Dinge. Verteidigungsausgaben waren für Eisenhower deshalb dasselbe, wie das Geld ins Feuer zu werfen.

FURCHE: Aber Eisenhower war doch selber ein Soldat, ein Mitglied des militärischen Establishments ...

AMBROSE: Eben darum wußte er auch, daß das Pentagon, das amerikanische Verteidigungsministerium, der größte Verschwender öffentlicher Gelder ist.

Reagan andererseits kennt die Militärs nicht. Die Generäle kommen vom Pentagon ins Weiße Haus und schlagen Alarm: „Die Sowjets bauen so und soviele Raketen, wir müssen etwas tun, um mithalten zu können, wir brauchen mehr Waffen!" Und Reagan stimmt ihnen zu: „Okay, geben wir den Generälen, was sie wollen."

Aber glauben Sie nicht, daß das in Moskau viel anders ist: Ich bin überzeugt, daß dort die Generäle in den Kreml kommen und genauso erklären: „Schaut, was die Amerikaner tun. Wir brauchen mehr Raketen..." Und die kriegen sie dann auch. Das führt dann zu diesem Teufelskreis, dieser Eskalation im Rüstungswettlauf.

FURCHE: Sie glauben also nicht, daß Reagans .JPolitik der Stärke" letztlich nur ein Manöver ist, um die Sowjets an den Konferenztisch zu bringen?

AMBROSE: Die Berater Reagans erklären, daß das ihre Absicht sei und ich hoffe, daß das auch das Ergebnis sein wird.

Nicht, daß ich Reagan für einen Kriegstreiber halte; genausowenig glaube ich, daß er und seine Berater ernsthaft damit rechnen, die Erstschlagskapazität gewinnen zu können. Niemand in den USA gibt sich heute eigentlich einer Illusion hinsichtlich dieser Möglichkeit hin. Aber ich zweifle daran, daß die „Politik der Stärke" wirksam ist.

FURCHE: Und warum nicht?

AMBROSE: Was Reagan nicht versteht — was Eisenhower sehr wohl verstanden hat — ist, daß mehr Atombomben im Zeitalter der Nuklearwaffen nicht mehr Sicherheit bedeuten. Im Gegenteil: Je mAr Waffen man hat, desto unsicherer ist man!

Die USA haben heute um die 45.000 Sprengköpfe, die Sowjets vielleicht um die 20.000 bis 30.000. Wir produzieren immer mehr, sie produzieren immer mehr — aber fühlt sich deswegen irgend jemand sicherer?

Die traditionelle Kriegsführung hatte zum Ziel, die feindlichen Kräfte zu zerstören. Im Zeitalter der nuklearen Kriegsführung ist das Ziel nicht die Zerstörung der feindlichen Kräfte — aus dem offensichtlichen Grund, daß bei einem atomaren Schlagabtausch die ganze Welt mit zerstört würde. Das Ziel im Zeitalter der Atombombe ist die Abschreckung des Feindes.

Dazu aber braucht man nicht überlegen, nicht einmal ebenbürtig zu sein. Ja man braucht nicht einmal in einer Position zu sein, um die feindlichen Streitkräfte ausschalten zu können. Das ist auch nicht der Sinn der Abschrek-kung, denn sie zielt vor allem auf das Denken der politischen und militärischen Führung des Gegners. Und dazu genügt ein gewisses Drohpotential. 9

Es besteht meiner Meinung nach auch nicht die Gefahr, daß die Sowjets sich jemals über die 45.000 amerikanischen Sprengköpfe hinwegsetzen könnten, die von Bombern, Langstreckenraketen oder U-Boot-Missilen losgefeuert werden können. Es ist aber schwer, das den Leuten klarzumachen.

FURCHE: Viele Europäer befürchten, daß ihr Kontinent zu einem Schlachtfeld einer amerikanisch-sowjetischen atomaren Konfrontation werden könnte...

AMBROSE: Diese Reaktion verblüfft mich. Denn es ist eine Illusion für die Europäer zu glauben, daß sie einem atomaren Konflikt zwischen Ost und West entkommen könnten. Europa wäre in jedem Fall in einen solchen Konflikt verwickelt und der erste Kriegsschauplatz.

Aber der Ärgwohn, speziell in den Krisen der europäischen Linken, daß die amerikanischen Strategen einen atomaren Konflikt auf Europa begrenzen und die USA davon heraushalten wollten, ist reine Phantasie. Alle amerikanischen Militärexperten die ich kenne sind der Ansicht, daß im Falle eines Atomkrieges alle betroffen wären: wenn eine Atombombe losgeht, gehen alle los.

Das Gespräch mit Prof. Ambrose führte Burkhard Bischof.

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