Briefe aus Washington von Peter Millonig

Werbung
Werbung
Werbung

Königsmacher

Bis zum Urnengang am 2. November kann und wird noch viel geschehen. Die Prognosen, wer als nächster Präsident ins Weiße Haus einzieht, halten sich die Waage. Sicher ist, dass es einen derart polarisierten Wahlkörper wie diesmal schon lange nicht - wenn überhaupt je - gegeben hat.

Dafür trägt wohl der politische Kurs der jetzigen Administration die Hauptverantwortung. George W. Bush ist ein Unilateralist. Aber auch die Demokraten haben ihm die Sache leicht gemacht. Im Kongress verhielten sie sich seit 2001 so, als ob zwei Drittel der Amerikaner bei der jüngsten Wahl George Bush gewählt hätten.

Diesmal wird die Situation im Irak den Wahlausgang bestimmen. Gelingt es der Interimsregierung in Bagdad, die Lage im Land zu beruhigen, dann wird Bush und nicht John Kerry davon profitieren. Der amtierende Präsident könnte dem amerikanischen Volk erklären, den Tyrannen Saddam Hussein besiegt und den Irak in Richtung einer Früh-Demokratie geführt zu haben. Wenn El-Kaida bis zu den Wahlen einen neuerlichen Terroranschlag in den USA verübt, so wäre dies für Bush gleichfalls ein Geschenk des Himmels. Auch in Amerika scharen sich in bedrohlichen Zeiten die Menschen um ihren Führer, aber mehr noch würde dieser in seiner Meinung bestätigt, dass der Kampf gegen den Terrorismus noch entschiedener geführt werden müsse.

Osama Bin Laden steht daher vor folgender Alternative: Will er, dass Bush bleibt, wird er die Terroristen im Irak zum Kurswechsel verpflichten. Ebenso könnte er die USA ein zweites Mal attackieren - und damit den Präsidenten gleichfalls stärken. Will er allerdings, dass Bush geht, wird er im Irak weiterbomben lassen, damit die Amerikaner die Nase voll vom "Irak-Desaster" haben und Bush abwählen.

Ersteres wird er wollen, wenn er Bush weiterhin als weltpolitischen Gegner braucht. Zweiteres wird er wollen, wenn ihm dieser in seiner Terrorismusbekämpfung bisher schon zuviel Schaden angerichtet hat. Eine dritte Variante wäre, dass El-Kaida auf allen Fronten weiterkämpft, weil dies ihrem Selbstverständnis entspricht. Aber das würde implizieren, dass sie zum Irrationalen neigt, was allerdings durch ihre Taten nicht zu belegen ist. Bin Laden als Königsmacher in Washington wäre noch vor zwei, drei Jahren eine absurde Idee gewesen. Heute ist es das nicht mehr.

Der Autor lebt als Industriekonsulent in Washington, D.C. und publiziert in amerikanischen und europäischen Print-Medien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung