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Bauerntum — Geschäft oder Berufung?

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Wenn man sich nach der in Amerika auf jeden Fremden stereotyp eindringenden Frage: „What is your profession“ als europäischer Studienreisender und als Landwirt zu erkennen gibt, so wird man von allen Seiten die Antwort erhalten: „Oh, farming is a good Job“, in sinngemäßer Uebersetzung: „Eine Farm zu betreiben, ist eine lohnende Beschäftigung.“ Obwohl die Frage berechtigt ist, ob man dies auch von der europäischen Landwirtschaft sagen kann, soll hier auf eine sicherlich aufschlußreiche Untersuchung verzichtet werden, warum die landwirtschaftliche Prosperität in den meisten europäischen Ländern der amerikanischen unterlegen ist.

Es soll hier nur auf kürzlich von der FAO

* Vgl. „USA irt der Verwandlung“ (..Furche“ Nr. 10) und „Untergang des Farmertums?“ („Furche“ Nr. 14). veröffentlichte Zahlen verwiesen werden, nach denen das durchschnittliche Jahreseinkommen des europäischen Landwirtes in den Extremen 350 bis 400 Dollar (Griechenland, Finnland, Italien) und 1150 bis 1550 Dollar (Belgien, Däneriiark, Schweiz) beträgt, gegenüber dem durchschnittlichen Einkommen des amerikanischen Farmers von rund 3000 Dollar.

Der Ausspruch „Farming is a good Job“ soll hier nur wegen der gemeinsamen Verwendung der Worte „farming“ und „Job“ Beachtung finden, weil hierin ein charakteristisches Merkmal der amerikanischen Landwirtschaft und ihrer Stellung in der öffentlichen Meinung Amerikas gefunden werden kann.

In Amerika war das Farmersein, das Bauerntum, eine Beschäftigung, eine Form des Geldverdienens, ein Geschäft, wie jedes andere. Es gibt auch heute keine Gegensätzlichkeit zwischen Stadt und Land, weder einen exklusiven noch einen ausgestoßenen Stand, in einem Land, dessen Handwerk und Handel von keinerlei Erinnerung an Zunftzwang und ähnliche Beschränkungen belastet sind und dessen Farmer zu den Gründern und Mehrern eines freien Landes zählen.

Es wäre interessant, festzustellen, aus welchen Bevölkerungsschichten sich die Besiedlungswellen Amerikas zusammengesetzt haben. Auch die Väter der oberösterreichischen Bauern, die mit den Benediktinern in die Alpentäler zogen, auch die Masse der nach Siebenbürgen, in den Banat und an die Wolga ziehenden Deutschen waren nicht alle Bauern. Sie wurden es erst in dem Grade, in dem sie lernten, eine auf Dauer lohnende und dadurch erst seßhaft machende Landwirtschaft zu betreiben.

Die Zeit des Suchens nach einer auf Dauer wirksamen Wirtschaftsform und die Entwicklung zum traditionsbewußten, die Scholle liebenden Bauerntum hat natürlich auch in Amerika zu Rückschlägen und Fehlern geführt, an denen vor allem die amerikanische Feldwirtschaft noch heute zu leiden hat. Weil sich die ersten Siedler vielfach nicht aus landwirtschaftlichem Stande rekrutierten und ihr Farmersein nur als einen sich lohnenden „job“ betrachteten und weil auch die Berufslandwirte unter ihnen ihr besseres Wissen um die Bedürfnisse des Bodens den Erfordernissen des nackten Daseinskampfes unterordnen mußten, führte die auf die Spitze getriebene Monokultur im Feldbau zum Zerfall des einst jungfräulichen Bodens, zur Erosion, dem Staatsfeind Nr. 1 der amerikanischen Landwirtschaft. „Farming was too good a job.“ Was kümmert den, der Landwirtschaft nur als Geschäft betrachtet, daß der Acker eines Wechsels zwischen Haimund Blattfrucht bedarf, daß nur ein mit Viehwirtschaft kombinierter Feldbau auf die Dauer fruchtbar ist; solange noch jungfräulicher Steppen- und Waldboden in Hülle und Fülle zur Verfügung stand, baute er zehn bis zwanzig Jahre hindurch Weizen auf ein und demselben Feld. Dann verließ eben dieser Geschäftemacher, der sich Farmer nannte, seine behelfsmäßig erbaute Behausung und begann 100 oder 1000 Meilen westlich von neuem sein Zerstörungswerk.

Aber auch Amerika war eng geworden. Es begann die Zeit, in der sich die Spreu vom Weizen und unter den Farmern die Berufsfremden von den Berufenen trennten. Es kamen die langen und schweren landwirtschaftlichen Krisenjahrzehnte, in denen unter den furchtbarsten Opfern das wurde, was uns heute in der amerikanischen Landwirtschaft gegenübertritt: ein gesundes Bauerntum, von dem man wieder sagen kann: „Farming is a good job.“

Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte, oder besser gesagt, der Weg zum heutigen Stand der amerikanischen Landwirtschaft ist gekennzeichnet durch Etappen, die nicht nur für den Landwirt Interesse haben, sondern auch richtunggebende Bedeutung für die gesamte europäische Volkswirtschaft gewinnen. Die Zeit der amerikanischen Besiedlung gehört der Geschichte an. Die Krise und die Evolution der amerikanischen Landwirtschaft aber ist Gegenwart, sie ist vielfach erst Zukunft Europas.

Die erste Etappc war die Landflucht. Es waren nicht nur Lohnarbeiter, die dem Lande den Rücken kehrten und im Achtstundentag der Industriebeschäftigung und in der Möglichkeit des Kinobesuches den leichteren, angenehmeren und lohnenderen „Job“ suchten. Es waren die Farmer selbst und ihre Söhne, die der Schere zwischen den' Preisen der Agrarprodukte und denen der Bedarfsartikel zum Opfer fielen. Die Wirtschaftsweise der Siedler, die Monokultur, hat sich als nicht krisenfest und durch das Absinken der Bodenfruchtbarkeit als der kanadischen Konkurrenz unterlegen erwiesen.

Die zweite Etappe ist gekennzeichnet durch das Erwachen des öffentlichen und allgemeinen Interesses für die Not der Farmer. Hier war keinerlei Gefühlsüberschwang am Werk, sondern das Erkennen, daß der Farmer nicht nur Produzent, sondern auch in wesentlichem Maße Konsument ist. Die amerikanische Konsumwarenindustrie hat im Zuge der Weltwirtschaftskrise gelernt, daß sie dem Innenmarkt größere Bedeutung beizumessen hat und mußte sich gegenüber den Forderungen der Landwirtschaft — Paritätsgesetze und Kreditgebung — ebenso aufgeschlossen zeigen, wie dies auch seitens der Gewerkschaften der Fall war, die ihrerseits im Interesse der Vollbeschäftigung eine Gesundung des landwirtschaftlichen Käufers und die Flüssigmachung jener Mittel befürworteten, die zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität und dadurch zur Senkung der Lebensmittelpreise erforderlich waren.

Die dritte Etappe nun war und ist die Gesundung der Landwirtschaft selbst. Hier mag sich das Fehlen einer Bindung an das Althergebrachte — die Stärke des europäischen Bauern — als ein Vorteil erwiesen haben. Ausschlaggebend aber war sicherlich die jedem Bürger Amerikas eigene Aufgeschlossenheit für das Wesen der „produetivity“. Sie veranlaßte den Farmer, die von den Colleges und den County agents ihm nahegebrachten neuen Wirtschaftsformen anzunehmen. Wenn die Maschine die Arbeit erleichtert und die Erzeugung verbilligt, warum soll man dann nicht auch dem Rat des Nachbarn folgen, mehr Dünger und besseres Saatgut verwenden, warum sollte der Farmer nicht auch Fruchtfolge und viehwirtschaftliche Ergänzung durchführen, wenn die Farm hierdurch krisenfest und dauernd ertragreich wird.

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