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Hua Kuo Feng an der Macht

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„Ein Gewitter brach über die Erde herein, und ein Teufel erstand aus einem Haufen weißer Knochen“. Dieses Mao-Zitat, das Radio Peking am 21. Oktober als Einstimmung für einen ausführlichen Kommentar über den Zwei-Linien-Kampf brachte, läßt an Zweideutigkeit nichts zu wünschen übrig. Wer ist mit dem Teufel gemeint?

Wie viele ambivalente Worte des Großen Vorsitzenden bedarf auch dieses einer konkreten Interpretation im gegebenen Zusammenhang. In diesem Fall also ist der Gegner die Schanghai-Gruppe um Maos Witwe Tschianig Tsching. Für den chinesischen Leser ist die Machtfrage im Diadochenstreit nach Maos Tod zumindest für den Augenblick eindeutig entschieden: Hua Kuo Feng hat Maos Nachfolge angetreten.

Im Reich der Mitte gingen die Uhren diesmal schneller, schneller auch als nach dem Tod von Tschou En4ai vor acht Monaten, mit dem die Frage der Nachfolge an der Parteispitze zum ersten Mal virulent geworden war.

Getreu dem Versprechen, Maos Gedanken würden weit über seinen Tod hinaus weiterleben, dreht sich auch in der Nachfolgefrage alles um seine Worte und Gedanken. Immerhin hatte Mao ja schon in den letzten Monaten nicht mehr direkt das politische Laben beeinflußt, sondern erschien vor der Öffentlichkeit höchstens in der Übersetzung seiner Frau, die sich als alleinige Dolmetscherin seiner kaum verständlichen Worte und Zeichen durchgesetzt hatte. Jetzt, nach seinem Tod, wird er genauso oft zitiert wie vorher; und auch Hua Kuo Feng sucht seine Legitimierung via (echtes?) Mao-Testament.

Hua Kuo Fenigs erstes Auftauchen in den Wandzeitungen vom 9. Oktober stand ebenfalls im engen Zusammenhang mit seinem Vorgänger und Vorbild: sein Name stand in Verbindung mit den „Zwei Beschlüssen“ — erstens, eine Gedenkhalle zu errichten, wo Mao in einem Glassarg aufgebahrt werden soll, und zweitens seine Werke neu ziu edieren — in einer ausgewählten und einer vollständigen Ausgabe. Verantwortlich für die Ausführung dieser beiden Vorhaben zu Maos Ehren: das Politbüro mit Hua Kuo Feng an der Spitze.

Hua Kuo Feng also gewollt und betont als Mao-Verehrer, den der Spiegel als „guten Organisator“ charakterisiert, der „trotz ehrgeiziger Ziele das Augenmaß“ behält, „ein intimer Kenner des Partei- und Staatsapparates“. China dürfte Hua schon vor dem Westen als kommenden Stern erkannt haben — so jedenfalls sieht es der Dolmetsch, der Ende September beim Chinabesuch des ehemaligen US-Staatssekretärs für Verteidigung, Schlesinger, anwesend war: „Hua ist sich seiner selbst außerordentlich sicher, er machte den Eindruck großer Zuversicht.“

Aber nicht nur die Legitimierung des neuen Vorsitzenden der Partei geschieht via Mao-Zitat: auch sein Kampf gegen die Gruppe um Maos Witwe Tschianig Tsching ist von Mao-Gedanken untermauert. Jetzt erst tritt die Tatsache in den Vordergrund, daß Tschianig Tsching im letzten Jahr bewußt Maos übrige Vertraute (darunter Maos Nichte Wang Hai Jung) ausgeschaltet hatte. Den Sieg über ihr „Vierer-Komplott“ feierten am 25. Oktober die chinesischen Zeitungen Ren Ming Re Bao (Rote Fahne), die Zeitung der Befreiungsarmee, sowie diverse RundfunkStationen als fröhliches Ereignis von größter historischer Bedeutung, denn Mao habe die „Wang-Tschang-Tschiang-Yao-Anti-Partei-Clique“ schon 1974/75 in fünf Kommentaren warnend und kritisierend erwähnt.

Zugleich wird auch, wie regelmäßig in den letzten Wochen, der rechte Weg Teng Hsiao Pings kritisiert. Es gibt sogar eine Neuauflage eines Liederbuches mit elf Liedern gegen diesen „Wind von Rechts“, der im Frühjahr 76 eine kurze Weile blies, um dann wieder in der Versenkung zu verschwinden. Nachfolger? Hua Kuo Feng.

Hua Kuo Feng also als Mann der Mitte zwischen einer linken Tsahiang-Tsching-Gruppe und einem rechten Teng?

Von Teng distanziert sich Hua Kuo Feng nicht mir praktisch, sondern auch ideologisch. Teng hatte — Im Gegensatz zur offiziellen Mao-Version — die Ansicht vertreten, in China sei die Zeit des Klassenkampfes bereits vorbei; dies trug ihm Vorwürfe der Anlehnung an die Sowjetunion ein, aber auch den Ruf, „Rechts“ zu stehen. „Links“, also auf der richtigen Seite, stehen die anderen, die Tschiang Tschings, aber auch

—das vergißt so mancher westliche Kommentator, der Hua Kuo Feng als Mann der Restauration beschreibt — die Hua Kuo Fengs. Ideologisch liegen sie auf der gleichen Linie, der Sieger und die Besiegten* Permanente Revolution ist für beide Seiten des jetzigen Machtkampfes gültige Maxime.

In der Kampagne gegen die Schanghaier Viererclique wird denn auch von Ideologie nicht gesprochen. Was man ihnen vorwirft, ist — um mit westlichen Begriffen zu sprechen

—ihr unfaires Verhalten, ihre Unehrlichkeit. „Sie erscheinen wie Menschen, wenn sie dir ins Gesicht sohauen; aber hinter deinem Rücken sind es Gespenster“ hieß es in einem Schanghaier Radiokommentar vom 21. Oktober. Doch beruhigt kommt der Journalist zum Schluß: „Die Karrieristen und Verschwörer haben alle Unterstützung im Volk verloren, sie sind äußerst schwach und isoliert.“

Diesen Erfolg muß man Hua Kuo Feng um so höher anrechnen, als gerade die Schanghaier Gruppe die besten Beziehungen zu den Massanmedien hatte. Jetzt jedoch werden sie überall kritisiert. Es geht also in Peking nicht um Fragen der Ideologie: die Selbstkritik, die sich in Schauprozessen bereits ankündigt, wird sich auf das „Verschwörertum“ beziehen, nicht auf ideologische Unterschiede zwischen Hua Kuo Feng und Tschiang Tsching.

Es geht — schlicht — um die Frage der Macht. Wer die Macht hat, hat auch die authentische Interpretation von Maos Gedanken. Hua Kuo Feng hat derzeit einen Vorsprung, den er auf Grund seiner früheren Position als Chef der Geheimen Staatspolizei, seiner Kontakte mit dem Militär, aber auch deshalb erreichte, weil er das Ende der offiziellen Trauer nicht abwartete und einen Uberraschungseffekt für sich verbuchte.

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