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Mao und das Mausoleum

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Zur diesjährigen Frankfurter Buchmesse bringt die Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, unter dem Titel ,,Der Kampf um Maos Erbe“ ein neues Werk von Klaus Mehnertauf den Markt. Wir bieten unseren Lesern im voraus eine Textprobe aus dem Bericht des bedeutenden Chinaexperten.

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Zur diesjährigen Frankfurter Buchmesse bringt die Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, unter dem Titel ,,Der Kampf um Maos Erbe“ ein neues Werk von Klaus Mehnertauf den Markt. Wir bieten unseren Lesern im voraus eine Textprobe aus dem Bericht des bedeutenden Chinaexperten.

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Was ist von Mao geblieben? Diese Frage läßt sich mit einiger Genauigkeit erst nach Jahren beantworten, vermutlich werden sich die Historiker noch im Jahre 2000 mit ihr beschäftigen, so wie sie - und nicht nur sie - heute danach fragen: Was ist von Stalin geblieben - ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod? Von ihm ist, wie wir heute wissen, sehr viel geblieben. Die Sowjetunion von heute ist weithin sein Werk, denn Lenin erlitt seinen ersten Schlaganfall 1922, als der Bürgerkrieg kaum abgeschlossen war. Fast alle Merkmale der Sowjetunion gehen auf Stalin zurück.

Nicht so in China. Hier teilen sich zwei Männer, die erst vor kurzem im gleichen Jahr starben, in das Werk, Mao und Tschou En-lai. Den stetigen Aufbau bewirkte Tschou, Mao steuerte die Vision bei, die Parolen, die Impulse, vor allem die inneren Umstürze, mit deren Hilfe er immer wieder einriß, was er und Tschou gebaut hatten.

Unter den vielen Problemen, die Mao seinen Nachfolgern hinterließ, macht ihnen eines besonders zu schaffen: Wie können sie Maos Prestige, das sie brauchen, erhalten und zugleich Tag und Nacht gegen die ihm seit der Kulturrevolution so nahestehende „Viererbande“ ankämpfen?

Keiner kann sagen, ob die Vier wirklich an die von ihnen verkündeten Parolen glaubten, vielleicht sollten diese ihnen nur als Stufen zur Macht dienen. Aber über eines kann es keinen Zweifel geben: sie verkündeten Parolen, die dem alternden Mao besonders am Herzen lagen, die Parolen der Pariser Kommune, wie sie in der Kulturrevolution ausprobiert und (zeitweilig) verworfen wurden, die Parolen einer Gesellschaft der Gleichen, ohne dauernde Hierarchien, in stetem Wandel…

Was immer man mit den Vieren macht - für Maos Prestige ist es schädlich, daß sie ihm so lange nahestanden. Von der pechschwarzen Farbe, mit der man sie bemalt, geht mehr als ein Fleck auf Maos Andenken über. Um so gewaltiger muß das Mausoleum für ihn sein. Als ich im Frühjahr 1977, am ersten Abend in Peking, vom Hotel zum nahegelegenen Tien An Men ging, erkannte ich den Platz kaum wieder. Nicht nur, daß er durch einen Bauzaun bis nahe an das Tor zum Himmlischen Frieden abgesperrt war, an seiner Südseite erhob sich - zu weit, als man Einzelheiten hätte erkennen können - ein gewaltiger Bau, umringt von hohen Kranen und von vielen Scheinwerfern angestrahlt, da auch nachts an ihm gearbeitet wurde. Am 24. Mai wurde er, nach nur einem halben Jahr, fertiggestellt; insgesamt sollen 700.000 Menschen von nah und fern in freiwilligen Schichten an ihm gewerkt haben. Ob das Mao-Mausoleum schöner oder weniger schön ist als das Lenin-Mausoleum in Moskau, ist eine Geschmacksfrage,

Aber ein Mausoleum vermag das Problem, das in der engen ideologischen Beziehung Maos zu den Vieren steckt, allenfalls zu überstrahlen, nicht zu lösen.

„Was ist von Mao geblieben?“ Eine vorläufige Antwort lautet: Geblieben ist ein von ihm mitgeprägtes Stück chinesischer, ja globaler Geschichte; geblieben ist sein großer Name, der in China - und draußen - ein gewaltiges Gewicht besitzt, und viele nützliche Zitate für die heutigen Männer in Peking, Zitate insbesondere über den vernünftigen Wirtschaftsaufbau und den Kampf mit den Gegnern im eigenen Haus; geblieben ist ein Kristallsarg in dem - nach den Pyramiden - größten Mausoleum, auf demselben Platz, über den Millionen und Abermillionen Chinesen im Laufe von 27 Jahren so oft marschierten, vorbei an dem Mann auf der Balustrade des Tors zum Himmlischen Frieden. - •

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