6752333-1967_33_01.jpg
Digital In Arbeit

Mao und Liu

Werbung
Werbung
Werbung

Die hinter der Lärmkulisse der Großen Proletarischen Kulturrevolution in China stattfindende Auseinandersetzung hat sich auf einen Kampf zwischen Mao Tse-tung, dem ,ygroßen Lehrer, großen Führer, großen Oberkommandierenden und großen Steuermann“, und seinem alten Waffen- und Revolutionsgefährten Liu Schao-tschi, dem Präsidenten der Chinesischen Volksrepublik, zugespitzt. Wobei Liu freilich mehr nur die Rolle einer symbolischen Figur zugespielt worden zu sein scheint. Mao braucht einen prominenten Gegenspieler, um seine Revolution permanent erhalten zu können. Daß Liu in manchen Grundsatzfragen nicht mit Mao einig geht, scheint festzustehen, aber ob es sich dabei wirklich um einen Kampf handelt, bleibt vorerst noch offen und ist zumindest fraglich. Allein schon deshalb, weil Liu kaum der Mann ist, einen Machtkampf gegen Mao zu führen.

Da Mao also Liu auf friedlichem Wege loswerden möchte, muß er erstens dem Volke plausible Erklärungen dafür liefern, warum er ihn loswerden will. Das ist insofern nicht einfach, als Liu ja nach Maos Rücktritt im Jahre 1959 dessen Nachfolger als Präsident der Republik und seither systematisch als zweiter Mann im Staate und damit als Nachfolger Maos schlechthin „aufgebaut“ worden war. Natürlich ist es ein Unsinn, wenn heute Liu von Maos Getreuen vorgeworfen wird, er habe einen „kapitalistischen Weg“ eingeschlagen, und das heißt: eine Restauration des Kapitalismus in China geplant. Liu ist heute 67, er hat von seinem 21. Lebensjahr an, als er in die eben gegründete Kommunistische Partei Chinas eintrat, für die Revolution gekämpft und dabei jahrzehntelang in Permanenz sein Leben aufs Spiel gesetzt. Gewiß repräsentiert Liu eine Gruppe in der Partei, die in manchem von Maos ultrarevolutionärer Linie abweichen mag. Aber wie soll man einem 700-Millionen-Bauern-volk derartige ideologische Nuancen plausibel machen? Also gibt es nur eines: man muß den chinesischen Bauernmassen den Schrecken einjagen, Liu habe die „alte Feudalzeit“ restaurieren wollen. Liu muß als „Kapitalist“ angeschwärzt werden, damit der letzte Bauer im hintersten Grenzgebiet verstehe, warum Mao ihn loswerden möchte.

Zweitens kann nur der Nationale Volkskongreß Liu als Präsidenten der Republik und nur der Parteikongreß ihn als Mitglied des Zentralkomitees absetzen. Vielleicht ist Mao — weil er auch hier nicht einfach mit dem Revolver droht — einer Mehrheit in diesen Gremien noch nicht sicher. Also müssen noch einmal die Roten Garden ausgeschickt werden, um eine liufeilndlidhe Volksstimmung zu erzeugen, unter deren Druck dann die Parteigremien zu „überzeugen“ sind, Liu absetzen zu müssen. (Wobei es durchaus möglich ist, daß Liu im ZK bleibt, da Mao mit seinen innerparteilichen Gegnern meist erstaunlich schonungsvoll umging.) Obgleich die Kulturrevolution nun offiziell schon über ein Jahr alt ist, scheint Liu ja noch immer und trotz aller anderslautenden Gerüchten in Amt und Würden zu sein.

Man könnte einwenden, das sei ein Beweis dafür, daß Liu innerhalb der Partei über eine starke Position verfüge, die Mao nicht ohne weiteres überspielen könne. Tatsächlich ließe sich aus einigen Indizien schließen, daß Mao zu gewissen Zeiten innerhalb der obersten Parteigremien in Minderheit versetzt und vielleicht sogar kaltgestellt worden war. Aber selbst wenn sich dies bewahrheiten sollte, so spricht doch alles dafür, daß Mao seit dem ZK-Beschluß über die Kulturrevolution vom Sommer vergangenen Jahres die Zügel wieder in Händen hat.

Gewiß scheint Maos Kulturrevolution in erster Linie gegen einen Parteiapparat gerichtet zu sein, der alarmierende Anzeichen einer Erstarrung zur „neuen Klasse“ — sogar mit Dolce-vita-Symptomen — zeigte. Auch scheint in Partei- und Armeeführung eine recht starke oppositionelle Gruppe zu existieren, die innenpolitisch einen „revisionistischen“ Kurs und außenpolitisch eine Aussöhnung mit der Sowjetunion, ja vielleicht sogar eine etwas kompromißbereitere Haltung dem Westen und den USA gegenüber propagiert. Insofern dürfte innerhalb der Führung tatsächlich eine Kampfsituation bestehen. Aber anders als Stalin, glaubt Mao nicht an eine Dauerwirkung von Gewaltlösungen, und ihm geht es offensichtlich nicht darum, seine heutige Macht um der Macht willen zu erhalten, sondern er versucht Zustände zu schaffen, die bis in eine möglichst ferne Zukunft hinein die Fortsetzung seines politischen Kurses — der „permanenten Revolution“ — garantieren.

Und auch deshalb muß er Liu loswerden. Denn Liu war zu seinem Nachfolger erkoren worden, und eben dieser Nachfolger scheint dem Prinzip der „permanenten Revolution“ untreu geworden zu sein. Das ist insofern weiter nicht überraschend, als Liu der Typ eines Funktionärs, eines „Apparatschik“ ist und so eher den Typ der heutigen Sowjetführer als denjenigen eines permanenten Revolutionärs repräsentiert. (Obleich er sein Leben als Revolutionär verbrachte.) Wenn die Mao-Getreuen ihn heute als den Chruschtschow Chinas darstellen, dann mag darin ein Körnchen Wahrheit sein. Vielleicht sogar wäre er eher mit Breschnew und Kossygin zu vergleichen. Liu als Nachfolger Maos — das würde in der Tat vermuten lassen, daß China — ganz abgesehen vom Problem des Konfliktes mit Moskau — sich ähnlich wie die Sowjetunion zu entwickeln beginnen könnte. Aber für Mao sind die Sowjetkommunisten Verräter an der Sache der nach seiner Ansicht nie beendeten Revolution, deren Geist in die Zukunft hineinzutragen die große geschichtliche Mission Chinas sed. Also muß Mao alles daransetzen, um zu verhindern, daß Liu nach seinem, Maos, Abtreten von der politischen Bühne die Zügel der Partei und damit Chinas in die Hände bekomme. So undramatisch sich die Auseinandersetzung zwischen Mao und Liu im Persönlichen abspielen mag, so scheint sich dahinter doch ein ideologisches Ringen zu verbergen, von dessen Ausgang mehr als „nur“ die Zukunft Chinas abhängen könnte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung