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LIU SCHAO-TSCHI / CHINAS CHRUSCHTSCHOW?

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Seit einem Jahr steht L i u Schao-tschi, der Staatspräsident Rotchinas, im Kreuzfeuer der Bannerträger der Kulturrevolution; seit einem Jahr wird er als der große Gegenspieler Maos angegriffen, des Revisionismus und anderer Ismen verdächtigt, der „Chruschtschow Chinas“ genannt. Doch alle diese Attacken scheinen das chinesische Staatsoberhaupt zwar weitgehend entmachtet, aber nicht jedes Einflusses beraubt zu haben. Daß Liu noch immer formell an der Spitze des Staates steht, daß er gerade in den letzten Tagen einen Gegenangriff versucht, zeigt nur, wie wenig die Wirren der chinesischen Kulturrevolution für Außenstehende durchschaubar sind.

Der heute Prominenteste unter den „Rechtsabweichern“ zählte vor wenigen Jahren zu denen, die den Bruch Pekings mit Moskau besonders forcierten. Während seiner Auslandsreisen zwischen 1963 und 1966 trat Liu als Gegner der Sowjetunion auf, und besonders sein spektakulärer Aufenthalt im Indonesien Sukarnos, mit dem eine gegen die USA, gegen die Sowjetunion und gegen die UNO gerichtete Allianz errichtet werden sollte, hätte niemanden auf den Gedanken gebracht, daß Liu nur wenig später wegen seiner angeblich sowjetfreundlichen Politik Objekt wütender Angriffe werden sollte.

Nach parteiamtlichen Quellen wurde Liu Schao-tschi 1898 in Jinchan in der Provinz Hunan geboren; er stammt aus einer wohlhabenden Bauernfamilie. Gleichzeitig mit Mao Tse-tung besuchte er das Lehrerseminar in Changsa in der Provinz Hunan und kam dann an die Universität Peking. Nach der Teilnahme an einem nationalistischen Studentenauf stand . stieß er 1920 zur Sozialistischen Jugendliga, die später in der KP aufging. Nach einem kurzen Studium an der Moskauer Fernost-Universität wurde Liu 1921 Mitbegründer der chinesischen KP. In der Folgezeit widmete er sich vor allem den Gewerkschaften. Der Aufbau einer starken Gewerkschaftsbewegung in den Bergwerken Zentralchinas machte ihn rasch bekannt, und 1925 wurde er Vizepräsident des allchinesischen Gewerkschaftsbundes. Seither gilt Liu als Repräsentant der Industriearbeiterschaft, während sich Mao vor allem auf die Bauern stützte. Lag darin vielleicht schon der spätere Konflikt verborgen?

1927 trat Liu in das Zentralkomitee der Partei ein, 1929 und 1930 soll er zur weiteren Ausbildung in der Sowjetunion gewesen sein. Am legendären „langen Marsch“ Maos von Hunain nach Jenan in den Jahren 1934/35 nahm Liu in führender Position teil. 1936 Sekretär des Nordbüros des ZK, 1938 Sekretär des Zentralchinesischen Büros des ZK, 1941 Politkommissar in der IV. Armee, 1942 Mitglied des Politbüros, 1945 zweiter Vorsitzender des Politbüros: Das waren die weiteren Stufen seines Aufstieges. Nach dem Sieg über Tschiangkaischek war Liu einer der wichtigsten Männer des verfassungsgebenden Ausschusses, 1954 wurde er Vorsitzender des Ständigen Ausschusses des Volkskongresses.

Als Mao 1959 das Amt des Staatschefs zurücklegte, wurde Liu zu seinem Nachfolger bestimmt. Nichts schien darauf hinzudeuten, daß zwischen Mao und Liu es jemals zu erbitterten Fehden kommen sollte. Als Liu im November 1960 an Stelle Maos zum Treffen der kommunistischen Parteiführer nach Moskau fuhr, galt er als Antipode des Chruschtschow-Revisionismus“. Wenige Jahre später wurden gegen Liu dieselben Vorwürfe erhoben, die er gegen Moskau vorgebracht hatte. Doch dahinter verbirgt sich mehr als eine Ironie der Geschichte: Die Eigengesetzlichkeit eines Regimes, dessen Bekenntnis zur permanenten Revolution die eigenen Vorkämpfer bedroht.

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