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„Linie“ oder Revisionismus

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Erstens sind die Rotgardisten ein Werkzeug der Mao-Lin-Allianz (Tschu En-lai spielt dabei nur eine Statistenrolle) zur Unterdrückung aller antimaoistischer Elemente außer- und besonders innerhalb der Partei. Nach der neuesten Nummer des theoretischen Organs der KPCh

„Rote Fahne“ sollen sich einige „Machthaber innerhalb der Partei, die Schlüsselpositionen innehaben“, gegen die Rotgardistenbewegung gestellt haben. Die Zeitschrift hat die Namen jener „Machthaber innerhalb der Partei“ zwar nicht direkt genannt, aber die Leute, die die innere Konstellation der KPCh kennen, wissen genau, daß es sich nur um den Staatspräsidenten Li

Schao-tschi und seine „Komplicen“ handeln kann. Als anfangs Mao und Lin die „Kulturrevolution“ starteten, haben sie sich nicht mehr getraut, die Organisationen der Partei und der Kommunistischen Jugend für ihren Zweck zu nutzen, weil diese beiden Organisationen bereits fest in der Hand jener „Machthaber“ liegen, weshalb Mao und Lin auch nicht wagen, die Namen sofort und direkt zu nennen. So mußten Lin erst von Mao zu seinem „vertraulichsten Kampfgefährten“ aufgerundet und die Streitkäfte und Rotgardisten . als Ersatz herangezogen werden. Mit diesem neuen Schachzug hofft Mao, endlich seine Feinde niederschlagen zu können.

Es ist noch die Frage, warum Mao erst Liu als seinen Nachfolger gelten ließ und ihn jetzt plötzlich als Feind betrachtet? Außer persönlichen und historischen Ursachen — Liu hat lange Zeit im „weißen Gebiet“ gearbeitet, dagegen ist Mao immer im „roten Gebiet“ geblieben, während des antijapanischen Krieges — gibt es wohl noch die Linienfrage (und das ist das Wichtigste!). Liu war lange Zeit als Internationalist bekannt, während Mao ein „nationalistischer Kommunist“ ist. Mao will nicht, daß nach seinem Ableben sein Nachfolger den revisionistischen Weg einschlägt.

Furcht vor dem Bürgerkrieg

Zweitens war das Resultat der ersten Runde des Kampfes zwischen der Mao-Lin-Allianz und Liu & Co. 50 zu 50, obwohl die Rotgardisten schon die Oberhand gewonnen haben und mehrere Leute Lius — wie Peng Tschen usw. — bereits gestürzt wurden. Während der Ausschreitungen der Rotgardisten setzten sich überall Studenten, Bauern, Arbeiter, Parteikader, Veteranen (ehemals Soldaten) und Bürger gegen die Rotgardisten zur Wehr. Nach Geheimberichten hinter dem Bambusvorhang soll es bereits zahlreiche blutige Konflikte zwischen Rotgardisten und ihren Gegnern gegeben haben. Manche Fabrikarbeiter in der Provinz Kwangsi organisierten sogar unter der Instruktion der Lokalpartei eine Art „Purpurgar- disten“, um den Rotgardisten Widerstand zu leisten. Das ist auch der Grund, warum die Rotgardistenbewegung plötzlich leicht gebremst wurde. Da der Einfluß jener „Machthaber innerhalb der Partei“ nicht zu unterschätzen ist, muß die Mao-Lin- Allianz noch die zweite Runde ab- warten. Mao fürchtet einen offenen Bürgerkrieg wie den Teufel — dieser ist ja in China traditionell! —, denn dadurch würde eine neue „Alliierte Expedition von acht Nationen“ (gemeint sind die USA, die Sowjetunion, Japan, Indien, Großbritannien, Mongolei, Südkorea und die Republik China auf Taiwan) wie im Jahre 1900 ins Land geführt. Er will dies auf alle Fälle vermeiden und nur mit viel Geschick die inneren Feinde liquidieren, damit die „Mao-Tse-tung-Lehre ewig bleiben“ kann.

Die „letzte Weisheit“

Drittens wird der innere Kampf in Rotchina später immer heftiger werden. Mao sieht in der „Kulturrevolution“ die Vollendung seines Lebenswerkes. Ohne sie, so meint er, werden nicht nur das Regime, sondern auch „die Partei den Staat und den Kopf“ verlieren. In der alten Geschichte Chinas kam es nicht selten vor, daß die alt gewordenen Dynastiegründer ihre ehemaligen Kampfgefährten und Generäle enthaupten ließen, um die Gefahr für ihr „Tausendjähriges Reich“ auszuschalten. Mao befindet sich heute in einem ähnlichen geistigen Zustand, da er sagte, wenn die

„Kulturrevolution“ nicht durchgeführt wird, würden „zehn Millionen Köpfe auf den Boden fallen“ (die Köpfe der Mao-Lin-Allianz). Der Kampf muß also weitergehen. Doch der Umfang des Kampfes wird nachher immer kleiner werden und das soll durch verschiedene Perioden geschehen, das heißt zuerst innerparteiliche Säuberung, dann außerparteiliche. Am 18. September teilte Lin Piao auf dem Tien-An-Men- Platz den versammelten Rotgardisten mit, daß der Kampf nun „auf-

die Feinde innerhalb der Partei“ konzentriert werden muß. Das besagt, daß die Mao-Lin-Allianz die Widerstandskraft des außerparteilichen Volkes einsieht und einen zeitweiligen Kompromiß eingehen will.

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