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Die Umzingelung der „Weltstadt”

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DIE ALLIANZ MIT DER ARMUT — Chinas Revolutionsstrategie gegen Rußland und Amerika. Von Heinrich Bechtoldt. Verlag Kombach, Freiburg. 230 Seiten. S 118.—.

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DIE ALLIANZ MIT DER ARMUT — Chinas Revolutionsstrategie gegen Rußland und Amerika. Von Heinrich Bechtoldt. Verlag Kombach, Freiburg. 230 Seiten. S 118.—.

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Die revolutionäre Strategie und Taktik Chinas stammen zweifellos, was auch von Heinrich Bechtoldt in seinem Buch „Die Allianz mit der Armut — Chinas Revolutionsstrategie gegen Rußland und Amerika” nicht bezweifelt wird, von Mao Tse-tung. Bedingt durch den Familienhintergrund und die Erziehung Maos ist er von Anfang an ein revolutionärer Nationalist oder nationalistischer Revolutionär. Diese Tatsache reflektiert nämlich sehr seine Gedanken hinsichtlich der Revolutionsstrategie. Mao Tse-tung weiß eigentlich gar nicht viel von den „klassischen” Werken des Marxismus. Er ist versiert bei alten Romanen Chinas wie Schui Hu Tschuan (Die Helden von Liangschanpo), San Kuo Jen Ji (Die Erzählung der Drei Königreiche), Hung Lou Meng (Der Traum der Roten Kammer) sowie Sun Tze Ping Fa (Die Kriegskunst von Sun Tze — ein genialer Militärwissenschaftler Chinas im 5. Jahrhundert vor Christus). Diese Bücher verliehen Mao Tse-tung auch seinen revolutionären, romantischen Strategie- und Taktikgedanken. Bechtoldts Buch fängt mit dem russischen Imperialismus in China an, das allein verrät schon die Tiefe seiner Kenntnisse über die chinesische Frage. Denn China hat in seiner 4000jähri- gen Geschichte zumeist starke Feinde aus dem Norden gehabt. Rußland ist in seinen Augen die erste ausländische Macht gewesen, die die Sicherheit und Existenz Chinas in Frage stellt. Nach dem zweiten Weltkrieg aber sind die USA eine asiatische Großmacht geworden und bis zum Haustor Chinas vorgedrungen. Diese beiden kommen also von entgegengesetzter Richtung mit dem Reich der Mitte in Konflikt. Nun sieht Mao Tse-tung eine Situation wie zur Zeit der Drei Königreiche Chinas (220 bis 280), die sich gegenseitig bekriegten. Maos Kenntnisse über die chinesische Geschichte veranlassen ihn, Rußland gleichfalls wie Amerika als Feinde zu betrachten und mit ersteren gar nicht länger zusammenzuarbeiten. Bechtoldt hält die ideologische Eskalation und die von Mao Tse-tung geplante internationale Gegenfront für zwei wichtige Schritte Pekings gegen Moskau. Der geschichtliche und nationalistische Hintergrund erhielt seit dem Bruch Maos mit Chruschtschow einen neuen, ideologischen Mantel. So praktiziert Mao Tse-tung die List und den Trick aus der „Geschichte der Drei Königreiche” im internationalen Spiel von heute, ohne Notiz davon zu nehmen, daß die Zeit doch ganz anders geworden ist. Obwohl sein Revolutionsappell an die sogenannte Dritte Welt und seine Volkskriegstheorie in Form einer Umzingelung der „Welt-Stadt” (Nordamerika und Westeuropa) durch das „Welt-Dorf” (Asien, Afrika, Lateinamerika), wie Bechtoldt sie im vierten, fünften und sechsten Kapitel seines Buches ausführlich behandelt hat, auch von der Dritten Internationale kamen, doch entsprechen diese auch nicht weniger der Idee, die Mao Tse-tung aus dem Buch „Die Helden von Liangschanpo” an und für sich aufgenommen hat. Um Mao Tse-tung zu degradieren, versuchte Moskau im Jänner dieses Jahres noch zu behaupten, daß die strategische Theorie und Praxis Mao Tse-tungs hinsichtlich des Guerillakriegs nicht von ihm stamme, sondern er habe sie aus den Erfahrungen des revolutionären Bürgerkriegs Rußlands gestohlen. Eine solche Behauptung gibt natürlich nicht die Tatsache wieder; denn Mao Tse-tungs Strategie kommt hauptsächlich von der „Kriegskunst von Sun Tze”, worüber er sehr gut Bescheid weiß, besonders jene Theorie von der allmählichen Änderung der Quantität zur plötzlichen Änderung der Qualität. Da sich Bechtoldt mehr der gegenwärtigen Strategie Chinas widmet, hat er den großen Einfluß Sun Tzes auf Mao Tse-tung nicht erwähnt, was jedoch den Wert des Buches nicht im geringsten herabsetzt. Gerade weil Bechtoldt die Revolutionsstrategie Chinas aus tieferer Sicht betrachtet, ließ er in seinem Buch mehr Raum für die Verhältnisse zwischen China und Rußland. So wiederholt er im siebenten Kapitel den Konflikt Moskau-t-Peking. Als eine natürliche Fortsetzung des im ersten Kapitel dargestellten historischen Geschehens forderte Mao Tse-tung die Rückgabe der von den Russen durch mehrere koloniale Expansionswellen annektierten Gebiete östlich des Balchaschsees (in einigen chinesischen Landkarten sogar östlich des Aralsees) und östlich des Baikalsees sowie südlich des Stanowoigebirges. Der Konflikt Chinas mit Rußland ist daher unvermeidbar. Hingegen befindet sich zwischen China und den Vereinigten Staaten eine große Zwischenzone (Westeuropa-Kanada - Japan-Ozeanien), die Mao Tse-tung als eine Art Pufferzone zwischen China und den USA betrachtet. Dies vermindert eigentlich die Möglichkeit eines direkten Konflikts zwischen Washington und Peking. Die Kriege in Korea und Vietnam trüben jedoch diese Möglichkeit. Außerdem wurden sie von Mao Tse-tung als — wie Bechtoldt es ausdrückte — Modellkriege betrachtet. Durch den Frieden in Korea fühlt sich Peking stark genug, einer erstklassigen Weltmacht durch die konventionelle, direkte Kampfmethode entgegenzutreten, so daß Mao Tse-tung ein anderes Modell in Vietnam zur Praxis bringen wollte — ein von Pekinger Sicht aus gesehener indirekter Volkskrieg, woraus die Umzingelung der „Welt-Stadt” realisiert werden könnte. Bestärkt durch diesen Glauben plante Peking ebenfalls eine revolutionäre Gegen-UNO zu gründen. Nach dem Besitz der atomaren Waffe verfügt China tatsächlich über ein Kampfmittel, das nicht nur China selbst schützt, sondern auch psychologisch die Völker der sogenannten Dritten Welt beeinflußt, was Bechtoldt im vorletzten Kapitel schildert. Seit der diplomatischen Schlappe Pekings ab 1965 kehrte sich China von der Extrovertierung zur Introvertierung. Von diesem Gesichtspunkt aus gesehen, schließt Bechtoldt sein Buch mit der „großen proletarischen Kulturrevolution” im letzten Kapitel. Die Kulturrevolution soll, so Bechtoldt, als eine Aktion zur Kraftreserve der Revolution fungieren. Mao Tse-tung und sein Gefolge möchten durch diese innerliche Umwälzung eine neue Kraft sammeln, um den revolutionären Vorstoß Chinas in der kommenden Zeit fortzusetzen.

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