6825790-1974_11_08.jpg
Digital In Arbeit

Stammvater aller Heuchler“

Werbung
Werbung
Werbung

„Konfuzius, eigentlich Kung-tse, ein chinesischer Philosoph aus dem 6. bis 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, hat nicht immer Glück gehabt. Sohn eines kleinen Beamten, konnte er sich durch seine hervorragenden Fähigkeiten und seinen Arbeitsfleiß zu einem hohen Amt in seiner Heimat, in der Grafschaft Lu, hochdienen, die sich einst auf dem Territorium der jetzigen chinesischen Provinz Schantung befand.

Einen unbändigen Drang nach der Philosophie von Konfuzius entdeckte Mao Tse-tung, ehemaliger Dorflehrer aus der Provinz Honan, dem beschieden war, ,großer Steuermann' im jetzigen Himmlischen Reich zu werden. Im Maoismus, einem durch marxistische Fachausdrücke beschönigten kleinbürgerlichen Cocktail aus sozialen Lehren und philosophischen Schulen, nimmt Konfuzius, vielmehr die reaktionärsten Aspekte seiner Lehre, einen Ehrenplatz ein.

Mao mixte seinen philosophischen Cocktail aus Thesen von Konfuzius und seinen Nachfolgern. Wie ein Eigelb im Cocktail hebt sich darin die Kozeption von Tschu Hi (12. Jh.) ab, wonach im Menschen zwei Grundsätze — ,Li' (Ordnung) und ,Tji' (Geist) — vorhanden sind.

Nicht von ungefähr hat der Präsident der Akademie der Wissenschaften der VRCh Guo Mo-sho, ein eifriger Anhänger Mao Tse-tungs, in seinem Buch ,Die Philosophen des alten China' Konfuzius als einen echten .Materialisten' und .Revolutionär' charakterisiert. Nach dieser Absurdität ging es sogar noch weiter. Er verstieg sich zu der Behauptung, daß Marx im Vergleich zu Konfuzius nichts Neues in die Philosophie gebracht hat.

Es kam aber zu etwas Unvorhergesehenem. Bald nach dem X. Parteitag der KPCh wurde der bis dahin hochgeehrte Philosoph aus dem Altertum auf einmal zum Objekt wüster Angriffe seitens der chinesischen Massenmedien und der Redner auf Massenkundgebungen. Bezeichnend ist, daß diese Kampagne, wie aus gut informierten Quellen verlautet, vom .großen Steuermann' selbst inspiriert wird, der noch vor kurzem als einer der eifrigsten Adepten von Konfuzius galt. Für eine solche Behauptung sind genug wichtige Gründe vorhanden.

Ausländische Beobachter in Peking behaupten, am meisten werde in Konfuzius' Lehre das Prinzip ,Shön' (Humanität) angegriffen. Es läßt sich wohl mit dem Unfug der .Kulturrevolution' nicht vereinbaren, die sich in China laut dem von Mao Tse-tung vor kurzem formulierten .objektiven Gesetz' mit Abständen von sieben bis acht Jahren wiederholen wird. Konfuzius wird ferner zur Last gelegt, daß er sich für die Rehabilitierung der in Ungnade geratenen Beamten einsetzte. Die heutigen Kritiker des Philosophen behaupten, daß eben er der .Stammvater aller Heuchler' war...

Zu welchem Zweck wird nun der Philosoph, der vor vielen Jahrhunderten aus dieser Welt verschied, von den Maoisten jetzt wieder ans Licht gezerrt? Sowohl in China als auch im Ausland findet man diesbezüglich ganz eindeutige Erklärungen: Unter dem dichten Nebel aus historischen Allegorien und tarnenden Worten setzt jetzt eine neue Runde des Kampfes um die Macht auf dem allerhöchsten Gipfel der Pekinger Partei- und Staatshierarchie ein.

Allem Anschein nach wird unter Konfuzius der Ministerpräsident Tschu En-lai gemeint, der an der Spitze des Staatsapparates in China steht, und unter seinen Gegnern eine Gruppe von ,Radikalen', geleitet von Tsching Tsching, der Gattin des .großen Steuermanns'.

Es gibt in dieser neuen Kampagne, die Konfuzius den Nimbus nehmen soll, noch ein aufschlußreiches Detail. Man macht sich in Peking überhaupt nichts aus der öffentlichen Meinung, auf jeden Fall hat Mao Tse-tung auf diese Weise geholfen, das Märchen von dem auf dem X. Parteitag der KPCh angeblich erzielten ,engen Zusammenschluß' zu zerstreuen.'“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung