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„Selbstschulung“

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Die in Kanton erscheinende Zeitung „Ta-pi-pan Tung-hsün” veröffentlichte kürzlich die Protokolle eines Verhörs der Gattin des „Staatsfeindes", aber noch immer nicht abgesetzten Staatspräsidenten Liu Shao-ch'i durch Rote Garden, Frau Wang Kuang-mei.

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Die in Kanton erscheinende Zeitung „Ta-pi-pan Tung-hsün” veröffentlichte kürzlich die Protokolle eines Verhörs der Gattin des „Staatsfeindes", aber noch immer nicht abgesetzten Staatspräsidenten Liu Shao-ch'i durch Rote Garden, Frau Wang Kuang-mei.

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VL : Liu Shao-ch’i ist ein Machthaber, der den kapitalistischen Weg geht, und ein Drei-Anti-Element, geben Sie das zu?

WANG: Liu Shao-ch’i ist anders als P’eng Chen, Lu Ting-yi, Lo Jui- ch’ing und "Yang Shang-k’un. Er ist seinem Wesen nach kein Doppelzüngler, das ist er ganz bestimmt nicht. Ich kenne ihn. Als er mir einen Heiratsantrag machte, nannte er mir sein Alter und erzählte mir von sich und seinen Fehlern.

VL: Welch vortreffliche Partie! Wenn Liu Shao-ch’i nicht für den Kapitalismus ist, wer ist es dann sonst?

WANG: Es gibt Leute in China, die für den Kapitalismus sind. Wer sie sind? Ich weiß es nicht!

VL: Wie stehen Sie zur Gruppe für die Kulturrevolution beim Zentralkomitee?

WANG: Die ZK-Gruppe für die Kulturrevolution hat sich in dieser Bewegung unsterbliche Verdienste erworben. Ihre allgemeine Orientierung ist richtig. Das heißt aber nicht, daß sie frei von Fehlern ist. Lenin hat gesagt, daß es unmöglich ist, zu arbeiten, ohne Fehler zu machen.

VL: Sie haben recht! Sagten Sie nicht, die Gruppe sei nicht frei von Fehlern? So nennen Sie mir ihre Fehler.

WANG: Sie täten besser daran, die Dinge nicht verzerrt darzustellen. Ich stehe der Gruppe für die Kulturrevolution beim Zentralkomitee positiv gegenüber. Ich halte meine Kinder daheim immer dazu an, die Führung der Gruppe für die Kulturrevolution zu respektieren.

VL: Wang Kuang-mei, in den letzten beiden Verhören sind Sie uns gegenüber nicht ehrlich gewesen. Dieses Mal müssen Sie ein richtiges Geständnis ablegen. Erzählen Sie uns zunächst einmal etwas über Ihre Herkunft!

WANG: Ich stamme aus einer national-bürgerlichen Familie und war Studentin. Meine Familie besaß über 40 Häuser und einige Aktien der XX-Gesellschaft und der Yang- ch’eng-Gesellschaft. Nachdem der Ort von den Japanern besetzt worden war…

VL: War Ihr Vater ziemlich fortschrittlich?

WANG: Erstand der Kommunistischen Partei nahe.

VL: Stand er Liu Shao-ch’i oder einem anderen nahe?

WANG: Vor der Kulturrevolution wußte ich gar nicht, daß Liu Shao- ch’i … Er repräsentierte die KP.

VL: Wissen Sie, daß Liu Shao-ch’i der Chef der Parteifeinde ist?

WANG: Das hat der Vorsitzende Mao auf dem 11. Plenum des Zentralkomitees nicht gesagt. Die Errungenschaften der letzten 17 Jahre sind dem Vorsitzenden Mao zu verdanken, und da Liu Shao-ch’i an hervorragender Stelle stand, wurden ihm alle Fehler zugeschoben.

(Kommentar: Wang Kuang-mei griff somit den Vorsitzenden Mao in bösartiger Weise an. Das ist in der Tat unerträglich!)

VL: Wie studierten Sie „Über die Selbstschulung“?

WANG: Mein Studium der „Selbstschulung“ war nicht erfolgreich, genausowenig wie mein Studium der „Ausgewählten Werke Mao Tse-tungs“.

VL: Liegt „Über die Selbstschulung“ auf der gleichen Linie wie Chruschtschow?

WANG: In mancher Hinsicht stimmen die beiden überein, aber es gibt auch Dinge in dem Buch, die mit dem Marxismus-Leninismus in Einklang stehen.

VL: Ha! Das ist Revisionismus! Er schwenkt eine rote Fahne, um sich der roten Fahne zu widersetzen. Sie haben diese Frage selbst beantwortet. Wer traf die Entscheidung, das Buch 1962 in Massenauflage erscheinen zu lassen?

WANG: Das kann untersucht werden. Liu Shao-ch’i war es nicht. Ich weiß nicht, wer es war.

VL ist der „Verhandlungsleiter“.

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