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Chinas Weg zum Pragmatismus

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Der erste Auftritt des chinesischen Parteichefs Hua Kuo-feng auf der Balkanhalbinsel, begleitet von Querschüssen aus Moskau und Tirana, scheint nicht unumstritten. Bukarest und Belgrad, die beiden roten Außenseiter, die der chinesische Parteichef für seinen ersten Ausflug in die Welt vorzog, haben seinen Elan zu bremsen versucht.

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Der erste Auftritt des chinesischen Parteichefs Hua Kuo-feng auf der Balkanhalbinsel, begleitet von Querschüssen aus Moskau und Tirana, scheint nicht unumstritten. Bukarest und Belgrad, die beiden roten Außenseiter, die der chinesische Parteichef für seinen ersten Ausflug in die Welt vorzog, haben seinen Elan zu bremsen versucht.

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Der rumänische Staats- und Parteichef Nicolae Ceaucescu, der das Erscheinen Huas gleichermaßen außenpolitisch wie zum inneren Gebrauch gedacht haben dürfte, scheint zu hohe Erwartungen gehegt zu haben. Darauf deutet die vorzeitige Publizie- rung einer einseitigen rumänischen Erklärung über die rumänisch-chinesischen Kontakte, mehr noch aber das plötzliche Versiegen des hochjauchzenden Jubels, mit dem Hua Kuo-feng ‘-zuerst bedacht worden, war.

o Der Stimmungsumschwüng kam -so plötzlich wie ein Gewitter in den Karpaten an einem heißen Sommertag. Daß die politischen Temperaturen in Höhen geklettert waren, die dem War- schauer-Pakt-Mitglied Rumänien nicht erträglich schienen, liegt nach den Warnungen aus Moskau nahe. „Das kommunistische Rumänien verdankt seine Unabhängigkeit nur der engen Zusammenarbeit und dem Bündnis mit der Sowjetunion“, verbreitete die TASS. Ceaucescu, der vorsichtig „Vermittlungsbemühungen“ an den Anfang des Besuches Hua Kuo-fengs gestellt hatte, hatte verstanden.

Hinzu kommt, daß der Herr in Peking auf solche Versuche auch nicht den geringsten Wert zu legen scheint und den Bitten seiner Gastgeber um Mäßigung während seiner Rumänienvisite kaum nachkam. Die neuerliche Erwähnung des sowjetischen Vorherr- schaftsstrebens an Huas drittem Aufenthaltstag in Rumänien empfanden die Gastgeber als zu viel. Ceaucescu und Hua trafen in Bukarest dann noch einmal unter vier Augen zusammen, aber der einmal angeklungene Mißton konnte nicht mehr zum Verstummen gebracht werden.

Der in Gang gekommene rumänisch-chinesische Dialog wird deshalb nicht eingestellt werden, aber in Bukarest zeigte sich deutlich, daß Hua und Ceaucescu nicht immer identische Ziele verfolgen und deshalb auch nur bis zu einem bestimmten Punkt gemeinsam marschieren können. Rumänien genügt dies auch vorerst in seiner exponierten Lage.

Noch eines dürfte in Bukarest und dann auch in Belgrad klar geworden sein: Hua Kuo-fengs politisches Format, das bislang in Europa kaum jemand einzuschätzen vermochte. Seine absolute Herrschaft im Reich det Mitte, die nicht mehr bedroht scheint, strich der Testamentsvollstrecker Mao Tse-tungs gleichermaßen gegenüber Ceaucescu wie auch gegenüber Tito heraus. Ob der sonst sehr höflich wirkende Herr über 800 Millionen Chinesen Relationen und Empfindlichkeiten richtig einschätzte?

Dem 86jährigen Tito begegnete der um 30 Jahre jüngere Hua Kuo-feng mit sichtlichem Respekt. Tito hat auch ge nau 30 Jahre früher durch den Bruch mit Stalin einen Weg eingeschlagen, auf dem ihm Hua Kuo-feng erst jetzt nachstürmt: den eigenen Weg zum Sozialismus, der Unabhängigkeit, Selbstständigkeit. Später weitete ihn Tito um die Blockfreiheit aus, und auch diese imponiert Hua, der versicherte, deren Grundkonzept gegen alle Einbrüche absichern zu wollen. Sie kommen vomehmllich aus der sowjetischen Ecke via Kuba und Vietnam, ..und- def Antisowjetismus ist das außenpolitische Kernstück „des Testaments Mao Tse-tungs.

Sein getreuer Schüler Hua macht es zum eigenen politischen Programm, das China zu einer Großmacht werden lassen könnte. Die Berührungspunkte des „weisen Hua“, wie er offiziell in Peking bezeichnet wird, und Marschall Titos sind mannigfaltig. Auch das China Huas setzt seine Geburtsstunde mit dem Partisanenkrieg fest, wie Titos Jugoslawien. Die autochtho- nen Revolutionen sind beider Aus-

gangspunkt. Vom Selbstverwaltungssozialismus aber möchte Hua Kuo- feng lernen, um den „neuen langen Marsch“ Chinas in der Neuzeit zu Hause auch logisch originell zu untermauern - nicht einfach zu kopieren, aber doch entsprechende Elemente zu entleihen, wie ganz offen eingestanden wird.

Daß das Klima des Besuches Hua Kuo-fengs unter solchen Voraussetzungen in Jugoslawien ein anderes war, ist logisch. Die Ergebnisse sind noch nicht endgültig abzusehen. Politisch sind sie optimal für Tito in weltpolitischen Maßstäben und auch im internationalen Kommunismus, wobei der praktische, machtpolitische Wert der Wendung Chinas zum Balkan und zu Europa ebenfalls noch nicht klar ist.

China konnte vor aller Welt über seinen dogmatischen Schatten bei Tito zum Pragmatismus konvertieren. Das trifft den Führungsanspruch der Sowjetunion unter Kommunisten noch einmal hart. Ein entscheidendes Element in der Entwicklung der Beziehungen zwischen Jugoslawien und China beziehungsweise Rumänien und China dürften die wirtschaftlichen Kontakte bilden. Wie ja überhaupt der erste Besuch des chinesischen Parteichefs Hua Kuo-feng am Balkan den Anfang eines neuen Kapitels in den internationalen Beziehungen aufschlägt, das durch Störfeuer aus Moskau und Tirana nicht verhindert werden kann.

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