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Zwischen Moskau und Peking

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Tschu En-lai, der 65jährige rotchinesische Ministerpräsident — im Nankaier Studentenklub „Erwache“ schon 1914 revolutionär tätig, als um Afrika die Kolonialmächte sich noch gegenseitig balgten —, ist ausgezogen, um die afrikanischen Jungstaaten für die nächste Runde des Pekinger Zweifrontenkrieges gegen den auf Tschiangkaischeks Restbastion Formosa eingeschworenen Westen und das koexistentia-listische Moskau weich zu machen.

Der ehemalige Politkommissar in Tschiangs Kuomintang-Armee bringt für diese delikate Arbeit die nötige Vergangenheit mit. Während der mannigfachen Drehungen und Spaltungen der chinesischen Kommunisten hatte sich Tschu als wendiger' Opportunist erwiesen und seit Anfang der dreißiger Jahre Mao Tse-tung als dessen Intrigant Nummer eins im innenpolitischen Katz-und-Maus-Spiel mit der Kuomintang wichtige Dienste geleistet. Nach Algier kam Tschu mit seinem voluminösen Außenminister, Marschall Tschen Yi, und einer, in zwei holländische KLM-Sondermaschinen gepfropften 50-Mann-Gefolgschaft über Kairo. Wie früher, als hintergründiger Unterhändler zum gegnerischen Intriganten Tschiang geschickt, so hatte Tschu, trotz Kairos lauer China-Freundschaft, Nasser als das aufgesucht, was dieser gern sein will, nämlich Schlüssel zum schwarz-braunen Kontinent. Doch gilt Algier, obwohl aus ganz anderen Gründen nicht weniger problematisch, als wichtigste Etappe von Tschus Afrikaexpedition.

Algeriens sozialistischer Volkspräsident, Ben Bella, hatte denn auch alles Äußerliche getan, der Tschu'schen Massendelegation höchste Wichtigkeit zuzumessen. Tschu wurde, wie zuvor in Kairo, mit den Ehren eines Staatschefs empfangen. Wochenlang hatte das Musikkorps des Volksarmee-Wachbataillons von Algier Rotchinas schaurige Nationalhymne eingeübt. In den einzig noch zugelassenen algerischen Staatszeitungen rückte Rotchina zunächst auf die erste Seite und eroberte schließlich die täglich von Algeriens Freundschaften in der sozialistischen Welt kündenden Balkenüberschriften.

Der Wettlauf Pekings mit Moskau um Ben Bellas Mittelmeervolkerepu-blik datiert nicht von heute. Mindestens seit September hat er kuriose Formen angenommen. Moskau eröffnete damals mit einem 500-Milliqnen-Franken-Kredit, bald folgte Peking mit 250 Millionen. Kultur-und technische Hilfsabkommen der einen Seite erzeugten jeweils das Nachziehen der anderen. Ben Bella hatte oft gleichzeitig Delegationen nach Moskau und Peking zu schik-ken und Mühe, den rotchinesisch-sowjetischen Delegationsgegenverkehr in Algier zusammenstoßlos zu regeln. Im Herbst eröffneten die Rotchinesen im Hafen von Algier eine impressive Industrieschau und schenkten Ben Bella nach Schließung das gesamte Ausstellungsgut. Die Pekinger Geste war nicht für Algerien allein bestimmt; sie sollte auf den ganzen Kontinent ausstrahlen. Afrika hat die riesigen inneren Anstrengungen des fernöstlichen, durch Raumnot scheinbar zu ewigem Eiend verdammten Völkerkolosses zwar bewundert, Maos Regime jedoch nur teilweise diplomatisch anerkannt und in keinem Falle gegenüber Moskau bevorzugt. Tatsächlich wird Tschu es relativ leicht haben, die noch zögernden afrikanischen Staaten für die Anerkennung Pekings und dessen Aufnahme in die UNO mürbe zu machen, zumal Frankreich — noch immer Leithammel für die Masse der westafrikanischen Republiken — seine Botschaft demnächst von Formosa nach Peking verlegen will. Schwieriger wird es indes den fernöstlichen Werbereisenden fallen, Afrika für die von Rotchina propagierte „Front der Armen“ gegen den nach Pekinger Ansicht in Koexistenz „vereinten“ Block der Besitzenden, das heißt, des Westens und Moskaus, zu gewinnen.

Nicht nur die Weltpressekommentare zur Tschu-Mission in Afrika sind hinsichtlich einer solchen, von Peking gesteuerten Front der Habenichtse — einem „neuen Bandung ohne Moskau“ — gedämpft. Selbst in Algier, das sich gelegentlich von der „ehrliehen“ Hilfe Rotchinas im Gegensatz zu der Moskaus gerührt fühlt, halten sich Sympathien und Interessen genauso abgestimmt die Waage, wie Ben Bellas Redakteure es in den Staatsgazetten andeuteten.

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