Ein Zeuge darf nicht schweigen

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Ende Oktober begeht er seinen 80. Geburtstag. Helmut Krätzl, emeritierter Weihbischof in Wien und unermüdlicher Kämpfer für eine "heutige“ Kirche, publiziert Brisantes aus stürmischer Kirchenzeit.

Die Furche: In Ihrem neuen Buch beschreiben Sie Ihren Kirchentraum unter dem Titel: "Die Kirche muss immer noch mehr sein.“

Helmut Krätzl: Ich meine damit, dass die Erscheinungsform der Kirche immer fragmentarisch ist - im Hinblick auf die historische Situation und auf die jeweils leitenden Persönlichkeiten. Am begeisterndsten habe ich die Kirche in den 50er Jahren erlebt - mit den großen Aufbrüchen junger Menschen. In unserer Begeisterung haben wir aber übersehen, dass die Moderne herankommt, wir haben noch einem Triumphalismus gehuldigt. Dann war das II. Vatikanische Konzil: Da glaubten wir, eine Kirche darzustellen, die ihrem Idealbild nahekommt. Das war in der Konzeption auch richtig, aber in der nachfolgenden Entwicklung haben wir dieses Ziel nicht nur nicht verwirklicht, sondern Abstrich um Abstrich davon gemacht. Ich fürchte, die Kirche hat ihren Platz in der säkularen Gesellschaft noch immer nicht gefunden.

Die Furche: Wie können Sie angesichts solchen Befundes noch an Träumen festhalten?

Krätzl: Weil ich in meiner langen Lebenszeit so viel Veränderung in der Kirche miterlebt habe. Diese Veränderungen haben immer etwas Neues gebracht. Das große Erlebnis für mich war da Johannes XXIII., dessen Pontifikat zu einer Wende wurde, die niemand vorhergeahnt hatte. Ich sehe auch heute Erneuerung von der Basis her. Denn die kommt meist von dort - und nicht von oben. Das gibt mir Trost. Bei Visitationen finde ich in den Pfarren immer wieder eine Treue zur Kirche vor, die man unter den vielen Enttäuschungen gar nicht vermuten würde.

Die Furche: Ihr Buch erscheint inmitten der Auseinandersetzungen um die Pfarrer-Initiative. Was kann Ihr Buch da bewirken?

Krätzl: Ich hoffe, dass es zur Versachlichung beiträgt. Denn ich versuche aufzuweisen, dass etliche der Fragen der Pfarrer-Initiative schon längst diskutiert, aber immer wieder vom Tisch geschoben worden sind. Hier wurde schon mit dem "Dialog für Österreich“ 1998 ein Höhepunkt der Diskussion erreicht und die moderate Weiterführung der anstehenden Probleme angeregt. Doch diesen Dialog gibt es nicht mehr. Ich verstehe die Ungeduld der Pfarrer-Initiative, weil nichts weitergeht. Ich hoffe aber auch, dass sich die Dinge mehr auf die Sachbereiche verschieben und von einer persönlichen Konfliktstellung zwischen Pfarrer Schüller und Kardinal Schönborn lösen. Ich würde raten, sich zusammenzusetzen und die vorgelegten Wünsche zu entbündeln. Es handelt sich hier ja um Themen unterschiedlicher Art. So gut die Pfarrer-Initiative das gemeint hat, so unklug war es in der Darbietung. Es gibt Themen wie die Priesterweihe der Frau, die in Rom nicht spruchreif ist. Das Bündeln dieser Frage mit anderen, durchaus erreichbaren Themen, halte ich für unklug.

Die Furche: Spätestens seit Ihrem Buch "Im Sprung gehemmt“ übers II. Vatikanum (1998) weiß man, dass Sie Klartext sprechen. Diesmal lernt man auch einen Helmut Krätzl kennen, der persönliche Hintergründe der Konflikte nicht ausspart. So dokumentieren Sie einen Brief an Johannes Paul II. aus 1987 über Ihre Sorgen in der Ära Groër und Krenn. Sie nehmen sich kein Blatt vor den Mund, schreiben von "großer Enttäuschung“ und von einer "schweren Prüfung“ für die Diözese und kritisieren ungeschminkt die Amtsführung von Groër wie von Krenn. Monate später dann die Reaktion Roms: Der Heilige Vater habe "von Ihren Ausführungen aufmerksam Kenntnis genommen“ und gedenke der Anliegen "gern in seinem Gebet“, schreibt Ihnen da der Kardinal-Staatssekretär. Warum legen Sie diese Dinge jetzt auf den Tisch?

Krätzl: Ich wollte damit unter anderem das Vorurteil entkräften, die Bischöfe hätten zu den Vorgängen nie etwas gesagt. Ich wundere mich manchmal über meinen Mut, den ich damals gehabt habe, der Brief an den Heiligen Vater lässt nichts an Deutlichkeit fehlen. Die Antwort war natürlich nicht ganz in meinem Sinn. Man müsste viel öfter nach Rom fahren. Vor allem, wenn das nicht nur ein kleiner Weihbischof macht. Dass etwa Erzbischof Robert Zollitsch, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, so knapp vor dem Papstbesuch in Deutschland die Frage nach den wiederverheirateten Geschiedenen neu aufwirft, ist für mich eine Herausforderung für andere Bischofskonferenzen, sich dieser Debatte anzuschließen und zu sagen: Wir brauchen da gemeinsam eine offizielle Lösung, damit nicht nur im Untergrund ohnehin schon faktisch gehandelt wird.

Die Furche: Kirche verlangt oft einen langen Atem ab: Als nach Kardinal Königs Rücktritt 1985 seine Nachfolge anstand, haben viele erwartet, Sie würden der nächste Erzbischof von Wien. Gekommen ist Hans Hermann Groër. War das eine persönliche Kränkung?

Krätzl: Auch wenn mir das manche nicht glauben: Nein. Ich habe fast 30 Jahre an der Seite Kardinal Königs gewirkt und miterlebt, wie er die Kirche zu höchstem Ansehen gebracht hat. Ich habe mich vor der Nachfolge gefürchtet, weil mir die Schuhe viel zu groß waren. Als ich allerdings die letzte von Rom übermittelte Namensliste gelesen habe, da habe ich mir gedacht: Das wird einen Absturz geben. Es hat mich für die Kirche und für Kardinal König gekränkt, dass Groër Erzbischof geworden ist. Wir wussten ja, dass dieser in vielen Bereichen gegen die Linie Königs gegangen ist. Da wurde auch klar, dass Rom die Linie ändern wollte.

Die Furche: Für Österreichs Kirche brachen nun schwere Zeiten an.

Krätzl: Es war sehr schmerzlich zu sehen, wie rasch nach der Ernennung Groërs und anderer Bischöfe die katholische Kirche in der Öffentlichkeit an Ansehen und Bedeutung verlor und damit auch an Möglichkeiten der Mitgestaltung des öffentlichen Lebens. Von daher halte ich die Forderung nach Mitsprache der Ortskirche an Bischofsernennungen für so wichtig. Es geht hier nicht um eine demokratische Wahl, aber um mehr Hören auf positive Vorschläge. Dass Rom das zu wenig macht, verstehe ich nicht.

Die Furche: Kritiker entgegnen dem oft, dass die Öffnung der Kirche zuviel Substanz gekostet habe: das Konzil sei am Niedergang der Kirche schuld.

Krätzl: Diese Kritik geht an der geschichtlichen Entwicklung völlig vorbei. In konservativen Kreisen schwärmt man von den vollen Kirchen und den vollen Priesterseminaren, denkt aber nicht daran, wie die Kirche vor dem Konzil war - in der Ökumene, der Liturgie, der Bibelwissenschaft und anderen Fragen. Der Schritt des Konzils war ungeheuer groß. Johannes XXIII. hat Gespür dafür gehabt, die Kirche für eine neue Zeit fit zu machen. Wäre das nicht geschehen, würden wir ja viel schlechter dastehen. Die heutige Polarisierung in der Kirche geht wesentlich auf die unterschiedliche Interpretation der Konzilstexte zurück. Ich bedaure, dass wir etwa bei der Kollegialität des Bischofsamtes - Papst und die Bischöfe, nicht der Papst allein und die Bischöfe als seine "Beamten“ - nicht weiterkommen. Auch das allgemeine Priestertum aller Getauften, das Laien zu viel mehr Positionen berechtigt, wird viel zu wenig in den Blick genommen. Wir versäumen, die Vorgaben des Konzils weiterzuverfolgen.

Die Furche: Es werden aber keine Bischöfe ernannt, die das Konzil weiterentwickeln könnten. Freigeister kommen nicht zum Zug. Absolute Linientreue ist gefragt.

Krätzl: Es scheint so zu sein, dass sich künftige Bischöfe zu den so genannten "heißen Eisen“ - Weihe der Frau, Empfängnisverhütung, Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene, Pflichtzölibat für Priester - eindeutig positionieren müssen. Das ist eine Engführung. Man muss auch hier die Probleme auseinanderflechten, sie sind nicht gleichwertig. Und es gibt andere Kriterien fürs Bischofsamt. Neben theologischer Kompetenz geht es da auch um Kommunikations- und Leitungsfähigkeit, Offenheit zur Welt sowie persönliche Glaubwürdigkeit.

Die Furche: Der heutige Papst kommt im Buch ad personam kaum vor. Sie erzählen von der Vorladung 2003 zu Kardinal Ratzinger in die Glaubenskongregation - ein durchaus positives Erlebnis.

Krätzl: In Rom ist ein Dossier über mich angelegt worden. Es hat mich zutiefst gekränkt, noch als über 70-Jähriger nach Rom vorgeladen zu werden. Man warf mir vor, ich hätte die Erneuerung der Kirche an der Weihe der Frau und an der Aufhebung des Pflichtzölibats aufgehängt. Das aber ist in meinem Buch "Im Sprung gehemmt“ nahezu nicht vorgekommen. Kardinal Re, der Präfekt der Bischofskongregation hat mir geschrieben, Kardinal Ratzinger genüge das nicht. So bin ich gekränkt, aber knieschlotternd mit Kardinal Schönborn und dem damaligen Weihbischof Ludwig Schwarz, der als mein Dolmetscher fungieren sollte, nach Rom gefahren. Das Gespräch wurde dann hauptsächlich von Kardinal Ratzinger auf Deutsch geführt - und zwar in einer Stimmung, ganz offen reden zu können. Ratzinger meinte sogar: "Wir sind ja alte Freunde“ - weil wir beide während des Konzils im deutsch-österreichischen Priesterkolleg Anima in Rom gewohnt haben. Er hat mir dann nur gesagt, ich solle etwas anderes schreiben. Und ich habe gefragt: "Also ich darf doch noch etwas schreiben?“ "Natürlich“, war die Antwort. Ich hatte gefürchtet, ein Schreibverbot zu bekommen. Wenig später hat Kardinal Ratzinger dann einem Ostergruß an mich handschriftlich beigefügt, dass wir "auf unterschiedliche Weise“ versuchen würden, "doch das Gleiche zu tun: dem Herrn in seiner Kirche zum Heil der Menschen zu dienen.“ Das hat mich auf meinem Weg doch sehr bestärkt.

Das Gespräch führte Otto Friedrich Fotos: Katrin Bruder

Weiters zum Thema: Eine Kirche, die Zukunft hat

12 Essays zu scheinbar unlösbaren Kirchenproblemen. Von Helmut Krätzl, Styria 2007, 200 S. geb., e 14,99

Mein Leben für eine Kirche, die den Menschen dient

Von Helmut Krätzl unter Mitarbeit von Josef Bruckmoser.

Tyrolia 2011

206 Seiten, zahlreiche Abb., geb. e 24,95

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