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Krätzl: „Wien ist keine Stadt ohne Gott!“

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Was als „Bürgerinitiative im Volk Gottes“ begann, erlebte am Wochenende in der Konzilsgedächtniskirche in Wien-Lainz den ersten Höhepunkt. Mit dieser Startveranstaltung ist das Symposion „Christ sein in Wien“ in die entscheidende Phase eingetreten.

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Was als „Bürgerinitiative im Volk Gottes“ begann, erlebte am Wochenende in der Konzilsgedächtniskirche in Wien-Lainz den ersten Höhepunkt. Mit dieser Startveranstaltung ist das Symposion „Christ sein in Wien“ in die entscheidende Phase eingetreten.

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„Viele fürchten, daß künftig die Großstadt, somit auch Wien, in Gefahr ist, eine Stadt ohne Gott zu werden. Die Stadt ohne Gott ist nicht das Zeichen menschlichen Fortschritts. Die Stadt ohne Gott ist eine Stadt ohne Herz, eine Stadt, der die Mitte fehlt, eine Stadt, die über den so kurz konsumierbaren Wohlstand nicht hinausweist. Wien ist keine Stadt ohne Gott! Daß den Christen, den vielen Christen in dieser Stadt, dies immer mehr bewußt werde, dafür sollen in den kommenden Wochen an vielen Orten dieser Stadt, in den Pfarren Wege und Möglichkeiten gesucht werden.“

Diese Worte aus dem vielbeachteten Referat „Impulse zur pastoralen Arbeit in Wien“ von Weihbischof Helmut Krätzl charakterisieren gut, welche Aufbruchstimmung am Samstag in Lainz herrschte, freilich vor dem Hintergrund der Sorge, der Glaube könnte in der Großstadt Wien „verdunsten“ oder „austrocknen“, wie es Bischofsvikar Josef Zeininger formulierte, wenn nicht seitens der Christen entsprechende Anstrengungen unternommen werden.

Daß mit dem Symposion, dieser von Priestern und vor allem engagierten Laien des Vikariates Wien-Stadt getragenen Aktion, in der Kirche von Wien etwas in Bewegung geraten ist, wird niemand bestreiten können, mag diese Bewegung auch noch manchmal plump wirken oder in noch nicht genau erkennbare Richtungen deuten. Tatsache ist, daß an der Lainzer Startveranstaltung über 300 Vertreter Wiener Pfarren teü-nahmen, daß immerhin 40 Prozent der Pfarren auch durch Priester vertreten waren. Kardinal König dokumentierte durch seine Anwesenheit am Samstagvormittag sein Interesse.

Vor Weihbischof Krätzls wegweisenden Worten hatten bereits der Soziologe Univ.-Prof. Dr. Erich Bodzenta („Zur soziologischen Situation Wiens“) und die Historikerin Univ.-Prof. Erika Weinzierl („Zur Frömmigkeitsgeschichte Wiens“) referiert und damit den Zuhörern ein umfassendes Bild der heutigen Ausgangsposition religiöser, pastoraler Bemühungen in der Bundeshauptstadt geboten.

In sieben Arbeitskreisen (Kirchlich-Distanzierte, Caritas und Gemeinwesenarbeit, Betriebs- und Arbeitswelt, Bildung und Kultur, Pfarrstruktur und Personalplan, Zwi-schenpfarrliche Zusammenarbeit, Ausbau der Pfarrgemeinderäte) konnten die Teilnehmer selbst aktiv werden; da viele Sonderwünsche hatten, wurde für diese Gruppe ein eigener achter Arbeitskreis eingerichtet. Außerdem wurde in einzelnen Gruppen der Versuch unternommen, ein „Psychogramm des Wieners“ zu erstellen. Aber vielleicht wurde alles in allem doch zu viel referiert, zu viel historisch analysiert und zu wenig über die heutige Praxis diskutiert.

Sicher war vieles von dem, was gesagt wurde, unbestreitbar richtig: daß Wien besonders durch die Probleme der Isolation, der Anonymität und der Mobilität gekennzeichnet ist; daß in Wien Kinderfeindlichkeit und Hundefreundlichkeit aufeinanderprallen; daß der Wiener seine Privatsphäre nach außen abschirmt, daß er aus einer „barocken“ Religiosität heraus zu Lebenswenden immer wieder den Kontakt zur Kirche sucht; daß dem Wiener die Konsequenz anderer Großstädter in Glaubensfragen fehlt; daß eine Großstadt Hektik (Großstadtmenschen gehen nachgewiesenermaßen viel schneller als Kleinstadtbewohner) bedeutet.

Doch nun muß in einem weiteren Schritt, der von den Organisatoren auch vorgesehen ist, von der Theorie zur Praxis, von der Analyse zur Planung übergegangen werden. Bis Anfang Juni soll in den Pfarren über die bisher vom Symposion gesetzten Impulse diskutiert werden. Originelle Tonbildreihen, von einem bewährten Team, dem Schriftsteller Josef Dirnbeck und dem evangelischen Pfarrer Peter Karner, gestaltet, werden dafür von der Medienstelle der Erzdiözese Wien zur Verfügung gestellt.

Am 8. und 9. Juni sollen die Vertreter der Pfarren wieder in Lainz zu einem Meinungsaustausch zusammenkommen und dessen Ergebnisse dann über den Sommer verarbeiten. Ab Herbst sollen in Form von Gemeindetagen alle Pfarrangehörigen in diesen Prozeß einbezogen werden.

Der nun in Gang gesetzte Prozeß verstärkter Kommunikation zwischen den Pfarren darf nicht aufhören. Dem Vikariat wird dabei eine koordinierende und informierende Aufgabe zufallen. Es war viel von Modellen die Rede, die von kirchlicher Seite zur Bewältigung anstehender Probleme entwickelt werden könnten. Sicher gibt es bereits eine Reihe zukunftsweisender Modelle in enzelnen Pfarren, die das Vikariat aufgreifen und an andere Pfarren herantragen könnte: nicht um sie damit „zwangszubeglücken“, sondern um positive Anregungen zu liefern, die von den einzelnen Pfarren -je nach ihren Möglichkeiten und ihrer Struktur - übernommen, modifiziert oder abgelehnt werden können.

Solche Modelle könnten sich bei den neuen charismatischen Gruppen finden. Sie und die Jugend waren in Lainz diesmal leider praktisch nicht vorhanden. Ein solches Modell könnte ein zu bestimmten Zeiten allgemein zugänglicher „Pfarrsalon“ oder ein ,3ischof-Open-House“, wie von Prof. Bodzenta angeregt, sein.

Auf keinen Fall sollte man neu oder wieder zur Kirche Stoßende sofort mit Verpflichtungen überfordern. Monsignore Gustav Granditsch dürfte mit seiner Formel schon recht haben: „Pastoraler Effekt ist gleich Kirchlichkeit - und Menschlichkeit zum Quadrat!“

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