Krätzl - © Foto: Kathpress / Georg Pulling

Bischof Krätzl: der Konzils-Zeuge jubiliert

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Als Konzilsstenograf hat er das Zweite Vatikanum hautnah miterlebt. Am 20. November feiert der emeritierte Wiener Weihbischof Helmut Krätzl sein 45-jähriges Bischofsjubiläum.

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Als Konzilsstenograf hat er das Zweite Vatikanum hautnah miterlebt. Am 20. November feiert der emeritierte Wiener Weihbischof Helmut Krätzl sein 45-jähriges Bischofsjubiläum.

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Die Begeisterung hielt sich bei Helmut Krätzl in Grenzen, als ihm sein Chef, Kardinal Franz König, vorschlug, die noch bestehende Rekonvaleszenz für ein Studium in Rom zu nützen. Anlass für die Gehbehinderung Krätzls war ein schwerer Verkehrsunfall, den der Erzbischof von Wien und sein Zeremoniär im Februar 1960 erlitten hatten. Auf der Fahrt nach Zagreb, zum Begräbnis von Kardinal Alois Stepinac, kam der Wagen bei einem Überholmanöver in der Nähe von Varaždin auf der nassen Fahrbahn ins Schleudern und krachte in einen entgegenkommenden Lastwagen. Der Chauffeur war sofort tot, König und Krätzl schwer verletzt. Für Helmut Krätzl, dem beide Beine neben anderen schweren Verletzungen brachen, bedeutete dies monatelangen Spitalsaufenthalt. Lange Zeit humpelte er später noch mit dem Stock und musste erst wieder gehen lernen.

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Das von Kardinal König vorgeschlagene Studium des Kirchenrechts an der päpstlichen Universität Gregoriana reizte Krätzl nicht besonders. Er hatte 1959 an der Universität Wien bereits das Doktorat der Theologie erworben und hatte nicht den Wunsch nach einem Zweitstudium. Doch König meinte, dass man Kirchenrecht immer brauchen könne. So fuhr Krätzl im Herbst 1960 nach Rom und ahnte nicht, wie sein weiteres Leben von diesem Romaufenthalt geprägt werden würde.

In Rom liefen die Vorbereitungen für die Eröffnung des von Papst Johannes XXIII. am 25. Jänner 1959 – nur einige Monate nach seiner Wahl – angekündigten Konzils bereits auf Hochtouren. Die erste Konzilssitzung sollte am 11. Oktober 1962 stattfinden. Die Spannungen in der Kurie zwischen den Befürwortern und den Gegnern des Konzils waren unübersehbar. Jene Gruppe in der Kurie, die von Anfang an gegen das Konzil war, wollte ihren Einfluss zumindest bei den laufenden Vorbereitungen für sich nützen. Krätzl wohnte im Priesterkolleg Anima und bekam hautnah das hier stattfindende Zusammentreffen der deutschsprachigen Konzilsväter mit. Deren Erwartungen an das Konzil und der Wunsch nach Veränderungen waren groß. Viele Initiativen und Gedanken fanden von hier aus den Weg in das Konzilsgeschehen.

In der Anima wohnte auch Kardinal Josef Frings aus Köln, der zu den einflussreichsten Konzilsvätern zählte. Und hier lernte Krätzl auch Frings theologischen Berater Joseph Ratzinger kennen. Der junge Dogmatiker setzte sich damals nachdrücklich für eine erneuerte Sicht der Kirche ein und nahm durch seine Beratertätigkeit bei Frings auch Einfluss auf Konzilsergebnisse. Um so mehr erstaunt, ja auch enttäuscht war Krätzl über die später erfolgte konzilskritische Kehrtwendung Ratzingers, vor allem als Präfekt der Glaubenskongregation.

Die Jahre des Zweiten Vatikanischen Konzils von 1962 bis 1965 waren jene Zeit, die den späteren Weihbischof Helmut Krätzl für sein ganzes Leben prägen sollten.

Intensiv erlebte Helmut Krätzl dann die Konzilseröffnung als Konzilsstenograf. Er hatte sich für die herausfordernde Aufgabe gemeldet und wurde mit 60 Studenten aus aller Herren Länder in einem Intensivkurs dafür geschult. Eigentlich hätten für die Anfertigung der Protokolle die Tonbandaufzeichnungen genügt, aber es sollte alles so ablaufen wie beim Ersten Vatikanum, daher musste mitstenografiert werden. Die Protokolle wurden dann auf der Schreibmaschine geschrieben.

Voll Stolz durften die Stenografen mit den Konzilsvätern am 11. Oktober 1962 in den Petersdom einziehen. Ihre Schreibtische standen direkt neben dem Papstaltar. Es waren nicht nur die verschiedenen Wortmeldungen in der Aula, welche die jungen Priester beeindruckten, sondern auch die Begegnung mit Theologen, die vorher zensiert worden waren und nun als Berater ihrer Bischöfe auftraten. Es war eine Zeit, die Helmut Krätzl für sein ganzes Leben prägte. Die Kirche hatte begonnen, trotz aller Bremsversuche die Zeichen der Zeit wahrzunehmen und einen Sprung in das „Heute“ zu machen.

1963 kam Helmut Krätzl nach Abschluss seines Kirchenrechts-Studiums wieder nach Österreich zurück und ging vorerst als Pfarrer nach Laa an der Thaya. Nach sechs Jahren Pfarrtätigkeit wurde er 1969 zum Ordinariatskanzler berufen und später – 1981 – auch zum Generalvikar der Erzdiözese Wien bestellt. Am 30. September 1977 wurden Krätzl und sein Freund Florian Kuntner durch Papst Paul VI. zu Weihbischöfen in der Erzdiözese Wien ernannt, die Bischofsweihe fand am 20. November statt.

Vor die Glaubenskongregation zitiert

1998 erschien im Verlag St. Gabriel das Buch „Im Sprung gehemmt“, in dem Weihbischof Krätzl zusammenfasste, „Was mir nach dem Konzil noch alles fehlt“. Ein weiteres Buch „Neue Freude an der Kirche“ erschien 2001. In diesen Büchern legte er ein engagiertes persönliches Bekenntnis für eine lebendige Kirche im Sinne des Konzils ab. Er hielt darin aber auch fest, dass sich viele Erwartungen nicht erfüllt haben, weil der vom Konzil vorgezeichnete Weg nicht konsequent weitergegangen wurde und die Kirche dadurch an Glanz verloren habe.

Beide Bücher erregten natürlich den Unmut Roms. In einem 53 Seiten umfassenden Dossier nahmen 2002 sechs theologische Gutachter und vier Mitglieder der Glaubenskongregation kritisch zu den von Krätzl getroffenen Aussagen Stellung. Weihbischof Krätzl wurde dann zu einem klärenden Gespräch mit den Kardinälen Ratzinger (damals Präfekt für die Kongregation der Glaubenslehre) und Giovanni Battista Re (damals Präfekt der Kongregation für die Bischöfe) nach Rom vorgeladen. Dieses fand am 31. Jänner 2003 statt – und auch der Wiener Kardinal Christoph Schönborn nahm daran teil. Am Ende des über eine Stunde dauernden Gespräches kam es zu keinem befürchteten Schreibverbot, aber Ratzinger meinte: „Schreiben Sie jetzt etwas anderes.“

Helmut Krätzl blieb aber seinem Grundsatz treu, die Gedanken und Ziele des Konzils in Vorträgen, Diskussionen und Artikeln im In- und Ausland den Menschen nahe zu bringen, zuletzt auch in den Büchern „Das Konzil – ein Sprung vorwärts. Ein Zeitzeuge zieht Bilanz“ (Tyrolia 2012) und „Die Kirche in der Welt von heute. ‚Aggiornamento‘ nach 50 Jahren“ (Styria 2015). Als Zeitzeuge dieses bedeutenden kirchlichen Ereignisses wollte er alles in seiner Kraft Stehende tun, um den vom Konzil gewiesenen Weg weiterzugehen und andere davon zu überzeugen, sich ebenfalls dafür einzubringen.

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