Die Stunde der theologen

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Karl Rahner SJ und Joseph Ratzinger waren als Berater am II. Vatikanum tätig. Beide hinterließen Spuren in den Konzilstexten.

Sie kannten und sie schätzten einander: Der eine arbeitete als theologischer Berater Kardinal Franz König zu, dem Wiener Erzbischof, der andere dem fast völlig erblindeten Erzbischof von Köln, Kardinal Josef Frings. Was wären die sechzehn im Laufe von drei Jahren verabschiedeten Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils im Endergebnis geworden ohne ihre Kärrnerarbeit?

Beide, Karl Rahner SJ wie Joseph Ratzinger, arbeiteten eng zusammen - intensiver, als sich der Jüngere der beiden später, als Kurienkardinal und Präfekt der Glaubenskongregation, bei Rückblicken erinnern wollte.

Alles andere als Hinterbänkler

Theologische Hinterbänkler waren sie keineswegs. "Es gab sehr viele Periti (Konzilsberater, Anm.) in Rom während des Konzils“, bemerkte Rahner einmal, "die da nur, einmal grob gesagt, herumstanden oder außerkonziliar sich betätigten.“ Der Jesuit war bei Konzilsbeginn 58 Jahre alt, lehrte in Innsbruck Dogmatik und galt in Rom als "fortschrittlich“, also verdächtig.

1964 wechselte er auf den Guardini-Lehrstuhl nach München. Ratzinger dozierte Fundamentaltheologie in Bonn (1963 wurde er als Dogmatiker nach Münster berufen) und zählte zarte 35 Jahre - Michael Schmaus nannte ihn und Hans Küng abschätzig die "Teen-ager des Konzils“.

Rahner wie Ratzinger hatten für König und Frings monatelang Unterlagen gesichtet und begutachtet, die den Bischöfen aus Rom zugegangen waren. Dabei ist ihnen aufgegangen, welche Richtung das Konzil nehmen könnte, wenn man es denen überlassen wollte, die meinten, wenn es schon nicht mehr zu verhindern sei, dann müsse es eben ein inszeniertes zeremonielles "Blitzkonzil“ (concilio lampo) ohne jede Debatte geben, auf dem die Konzilsväter die vorbereiteten Vorlagen lediglich durchzuwinken hätten. Bekanntlich wurde das Zweite Vatikanum aber gerade kein "Konzil der Kopfnicker“ oder eine bloße "Akklamationsveranstaltung“ (Herbert Vorgrimler).

Alternative Textentwürfe

Rahners Gutachten, die 1990 auf Bitten Königs veröffentlicht wurden, fielen wenig schmeichelhaft aus: "Eine solche Wald- und Wiesenphilosophie darf ein Konzil nicht vortragen.“ Er vermisste eine Sprache, die "von einem Menschen von heute verstanden wird.“ Ratzinger wiederum attestierte nach dem Konzil "seinem“ Kardinal, Frings sei während des Konzils einer "traditionsentfremdeten Enzyklikentheologie“ entgegengetreten, "die beinahe nur noch mit den päpstlichen Verlautbarungen der letzten hundert Jahre arbeitete und darüber die Tradition des ersten christlichen Jahrtausends fast ganz übersah.“

Mit der Schrift "Episkopat und Primat“, die auf eine Konzilsvorlage zurückgeht, waren Rahner und Ratzinger 1961 als gemeinsame Autoren an die Öffentlichkeit getreten.

Rahner hatte von Tagungen und von seiner wissenschaftsorganisatorischen Arbeit her (als Herausgeber des "Lexikons für Theologie und Kirche“) viele Verbindungen. Schon vor dem Konzil bezog er Ratzinger in dieses Netzwerk ein.

Im Juli und September 1962 holte er den Kollegen zuerst in einen kleinen, beim zweiten Mal in einen erweiterten Kreis in Mainz bei dem ehemaligen Münsteraner Dogmatikprofessor Hermann Volk, der im März 1962 zum Bischof von Mainz ernannt worden war.

Auf Rahner und Ratzinger gehen mehrere Alternativentwürfe zu bestehenden Texten zurück, unter anderem der Entwurf "Von der Offenbarung Gottes und des Menschen Jesus Christus“, der Anfang Oktober 1962 mit Zustimmung der Kardinäle Frings, König, Léon-Joseph Suenens und Achille Liénart unter deutsch- und französischsprachigen Bischöfen und Theologen verteilt wurde. Das kuriale Schema wurde daraufhin verworfen.

Arbeit in den Kommissionen

Die Schemata "De fontibus revelationis“ über die Quellen der Offenbarung, "De Ecclesia“ und "De ecclesiis orientalibus“, aber auch "De beata Maria virgine“ führten zu einer intensiven Zusammenarbeit. Erst in der dritten Sitzungsperiode, im Herbst 1963, wurden die beiden ersten Texte in stark überarbeiteter Form den Konzilsvätern zur Beratung vorgelegt.

Rahner und Ratzinger arbeiteten in Kommissionen mit, wo die eigentliche Arbeit, abseits der Konzilsaula, stattfand. Ratzinger engagierte sich stark an den Artikeln 22 bis 27 im dritten Kapitel des Schemas "De ecclesia“, dem Zentralstück von "Lumen gentium“ über die Kollegialität der Bischöfe, und war auch am Missionsdekret "Ad gentes“ beteiligt.

In einem im September 2012 in den Stimmen der Zeit veröffentlichten Brief vom Allerseelentag 1963 berichtet Karl Rahner seinem älteren Bruder Hugo von einem Pamphlet französischer Integralisten, "in dem mit einer wilden Polemik ins Französische übersetzt jener harmlose Entwurf zu einem Offenbarungsschema wiedergegeben wird, den ich im letzten Oktober 1962 mit Ratzinger auf Wunsch von Frings gemacht habe. Wir werden darin greulich beschimpft und als Häretiker abgekanzelt, die die Hölle leugnen und schlimmer als Teilhard und die Modernisten seien.“

Rahner und Ratzinger: Häretiker?

Dieser Brief ist zusammen mit anderen archivalischen Kostbarkeiten, in einer vom 9. Oktober Ausstellung anlässlich des 50. Jahrestags der Konzilseröffnung in der alten Münchener Karmeliterkirche zu sehen (noch bis 9. Dezember).

Die Ausstellung konzentriert sich auf sechs Protagonisten: die beiden Päpste Johannes XXIII. und Paul VI., die Kardinäle Julius Döpfner und Augustin Bea SJ - sowie auf die Konzilstheologen Karl Rahner und Joseph Ratzinger.

So wie es die "Stunde der Bischöfe“ gab, als diese sich gegen die Bevormundung der Kurie auflehnten, lässt sich auch von der "Stunde der Theologen“ sprechen: Sie brachten sich ein. Trotzdem sollte man sich bewusst halten, dass Karl Rahner und Joseph Ratzinger auf dem Konzil als Teamarbeiter in Erscheinung traten und aufgrund der Vernetzung der Experten und Theologen in einen Prozess der kollektiven Wahrheitsfindung eingebunden waren. Dass das Konzil ein Erfolg wurde, verdankt sich auch der Zuarbeit von Theologen, die dabei nicht aufs Copyright schielten.

Nach dem Konzil gingen die Wege der beiden Theologen - und oft auch ihre Einschätzungen - auseinander.

Der Autor leitet in München das Karl-Rahner-Archiv und ist Chefredakteur der von den Jesuiten herausgegebenen Monatsschrift "Stimmen der Zeit“

Das Konzil - ein neuer Beginn

Von Karl Rahner, Hinführung Kardinal Karl Lehmann. Hg. Andreas R. Batlogg, Albert Raffelt. Herder 2012

90 S., kt. € 10,30

"Gott einen Ort sichern“

Madeleine Delbrêl und die französischen Arbeiterpriesterals Vorläufer des Konzils

Vortrag, Annette Schleinzer (D)

Do 29.11., 19 Uhr

Universitätszentrum Theologie

Heinrichstr. 78, 8010 Graz theol.uni-graz.at

In Kooperation mit der FURCHE

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