Rahner - © Foto: Gürer, IHS

Verweigerte Antwort

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Mit Karl Rahner die Frage nach dem Leid offen lassen.

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Mit Karl Rahner die Frage nach dem Leid offen lassen.

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Ich habe Karl Rahner persönlich nicht mehr kennen gelernt, ihn als Student aber noch das eine oder andere Mal bei Vorträgen und Diskussionen erlebt. Der große Theologe konnte dabei schon recht zornig werden: So bei einer Studientagung im Vorfeld des Österreichischen Katholikentags 1983 in Wien, wo Rahner lautstark gegen vatikanische Einflussnahmen auf die deutsche Kirche zu Felde zog.

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Diese (für mich zu Recht geäußerte) öffentliche Verärgerung des Konzilstheologen über römisches Bremsen nachkonziliarer Entwicklungen war aber nicht mein prägendstes Rahner-Erlebnis. Dieses ereignete sich schon einige Jahre zuvor: Gesteckt voll war das Auditorium Maximum der Universität Wien an jenem Herbstabend des Jahres 1978. Karl Rahner sprach über "Warum lässt uns Gott leiden?" - also zum Thema, das Glaubensverkünder wie Glaubenssucher seit jeher umtreibt: Auch ich - Nicht-Theologe - wollte hören, welche Antwort der große Rahner auf diese Urfrage geben würde.

Religiöses Aufatmen

Und nicht nur ich wurde überrascht: Da ging der schmächtige alte Mann im Saal auf und ab und zerpflückte jede gängige Erklärung der Theodizee. Von der Dialektik des Dualismus, dass also jedes Gute das Böse zu seiner Existenz brauche, wollte Rahner gleich gar nicht reden. Er verneinte heftig auch jede Erklärung des Leides als unvermeidliche Begleiterscheinung der Natur; dann widerlegte er die Sicht des Leides als "Wirkung der schuldigen Freiheit", also dass es das Leid gibt, weil der Mensch schuldig geworden ist. Schließlich weigerte er sich auch, das Leid als "Verweis" auf das ewige Leben zu rechtfertigen.

Gut eine Stunde lang hatte der kleine, schwarz gekleidete Weißhaarige Erklärungsmodell um Erklärungsmodell verworfen - und stand dann ganz und gar mit leeren Händen da: "Die Unbegreiflichkeit des Leides ist ein Stück der Unbegreiflichkeit Gottes." Punkt. So lautete Rahners Conclusio. Für mich 19-Jährigen war diese Nicht-Antwort eine Befreiung: Die Gewissheiten und vorschnellen Antworten, die der eben überstandene, sehr konservative Religionsunterricht vorgegeben hatte, trugen nicht mehr. Dass eine existenzielle Frage eben eine Frage - und somit antwortlos - bleiben kann, das war für mich Teenager ein großes religiöses Aufatmen, wie ich es danach kaum je wieder erfahren durfte.

Die geschilderte Begegnung mit Karl Rahner ist für mich aber bis heute ein Glaubenserlebnis geblieben - jedenfalls viel mehr als das, was die katholische Kirchenleitung auch mir später wieder apodiktisch näherzubringen versuchte - so im Weltkatechismus, wo sie erneut auch mich umtreibende Fragen auf einfache Formeln reduzierte, indem dort (in Nr. 1521) etwa das Leiden zur "Folge der Erbsünde" erklärt wurde.

Den Menschen im Blick

Meine - bislang - jüngste Rahner-"Begegnung" fand im Februar 2004 statt, im letzten Interview, das Kardinal König vor seinem Tod gegeben hat, und das ich für die Furche mit ihm über Karl Rahner führen durfte. Ich habe den Kardinal da auch zu kritischen Stimmen befragt, die Rahner vorwarfen, er habe die Theologie zu "anthropozentrisch", zu einseitig auf den Menschen bezogen gemacht, kurz: Rahner hätte die Theologie weg von Gott gebracht. Kardinal König widersprach dieser Kritik an "seinem" Theologen (er hatte Rahner ja als seinen Berater aufs Konzil mitgenommen): "Das stimmt so nicht! Man kann sich nicht theoretisch mit der Gottesfrage, mit der Christusfrage, ja mit der religiösen Frage insgesamt beschäftigen, ohne den Menschen im Blick zu haben!"

Mir scheint, diese Einschätzung des kurz darauf verstorbenen Kardinals trifft auch Karl Rahners verweigerte Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Leidens: Den Menschen im Blick zu haben heißt hier gleichfalls, ihn nicht mit vorgefertigten Antworten abzuspeisen, sondern zuzugeben, dass die Frage nach wie vor offen bleibt. Solche Demut macht Karl Rahner aktuell wie eh und je.

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