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Deuter des Schwierigen

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Verehrter Karl Rahner!

Am 5. März 1984 vollenden Sie Ihr 80. Lebensjahr. Aus diesem Anlaß wurde ich von der FURCHE eingeladen, über Sie einige Zeilen zu schreiben. Ich entschloß mich, es in Form eines öffentlichen Briefes zu tun.

Ich hatte nicht das Glück, Ihr Schüler zu sein, auf das nicht wenige in aller Welt immer wieder, besonders aber bei Anlässen wie etwa Ihrem 80. Geburtstag, gerne verweisen. Ich stehe nicht an, zuzugeben, diese darum zu beneiden.

Der Glanz Ihres Namens fiel aber dennoch früh in mein allzu durchschnittliches Leben. Ich gab nicht nach, plagte mich zäh durch viele Ihrer theologiewissenschaftlichen Publikationen, die in diesen Tagen auf die stattliche Summe von 4.000 angewachsen sind.

Ich erinnere mich: 1973 erhielten Sie wieder einmal einen Preis, den Sigmund-Freud-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Begründet wurde die Verleihung mit den Worten: „Karl Rahner, der Meister des literarischen Wortes, hat ein neues Gehör für das Wort der Religion ermöglicht."

Mit dieser Begründung bin ich auch heute noch sehr einverstanden, wenngleich ich Ihnen sagen muß, daß es mich oft unendliche Mühe gekostet hat, ehe ich zum berauschenden Hören Ihres Wortes vordringen konnte.

Ich weiß schon, daß Sie bei solchen Andeutungen die Ansicht vertreten: Es gäbe eben Dinge in der Theologie, die sich nicht einfach sagen ließen.

Ich habe mich hier an eine bewährte Regel gehalten: labor im-probus vincit omnia, und ich bin froh, mich diesem labor immer wieder unterzogen zu haben, um so als „Fernschüler" gelegentlich auch in den Genuß des süßen und glaubenskräftigenden Kerns Ihrer Theologie zu kommen.

Was ich schlicht und einfach sagen möchte: Ihre Theologie hat über Ihr gesprochenes Wort hinaus im Geschriebenen bei vielen Wirkung angerichtet. Sie haben sich auf diesem Wege zu Ihren eigentlichen Schülern eine zumindest ebenso große, begeisterte Anzahl von „Fernschülern" erzogen. Für die täglich geleistete Mühsal des Konzipierens, Schreibens und Diktierens sei Ihnen, lieber Karl Rahner, großer Dank gesagt.

Viele Menschen verehren und bewundern Sie. Das Wort vom. theologischen Genie weisen Sie erregt von sich. Wie achtsam und sorgfältig gehen Sie mit Ihrer zugemessenen Lebenszeit um! Man ist versucht, in Ihrem Leben von einem zweiten Evangelium, nämlich dem Evangelium der Arbeit nebst dem der Bibel, zu sprechen. •

Nichts bringt Sie so auf wie Faulheit und Zeitverschwendung. Ihre so stattliche Publikationsliste scheint sich nicht zuletzt der Regelmäßigkeit (nulla dies sine linea) zu verdanken.

Es gibt kaum eine theologische „Materie", die nicht vom Schweiß Ihres theologischen Ringens und Ihres demütigen Betens berührt ist. Sei es, daß Sie das Wesen des Christentums bedenken oder das Geheimnis menschlichen Daseins oder den lebendigen Gott, dem immer Ihre stärkste Leidenschaft gehörte, sei es das Geheimnis Jesus Christus in seinem unaus-schöpfbaren Reichtum oder das Bleiben des Heiligen Geistes, die Trinität und der Monotheismus, die Wahrheit und die Geschichte des Dogmas, das Problem der Entmythologisierung, die heilige und die sündige Kirche, die Frage: „Trennt Maria die Konfessionen?"

Oder aber: die Kirche als kleine Herde, die entklerikalisierte Kirche, die Demokratisierung der Kirche, aber auch Sünde und Schuld, Beten als Grundakt des Christen, die missionarische Sendung des Christen, Glaube und Kultur, der Mensch des Advents, christliches Todesverständnis, Ewigkeit in der Zeit und nicht zuletzt Hoffnung des ewigen Lebens und Auferstehung des Fleisches.

Verehrter Karl Rahner, ich weiß, daß Ihr Leben auch nicht nur pure Freude ist. Es umgeben Sie nicht nur Liebende, Dankbare und Wohlwollende, es umstehen Sie auch Neider, Bösewichte und Verleumder. Man kann Ihnen manches vorwerfen, da und dort kritische Marginalien . an den Rand Ihres breiten theologischen Textes setzen.

Sie waren immer bereit, fair, redlich und demütig zu disputieren. Immer bewiesen Sie ein hohes Maß Eigenkritik Ihrer Theologie gegenüber. Der Begriff der Analogie in der theologischen Aussage ist für Sie unerläßlich.

Eines darf man Ihnen aber nie und nimmer vorwerfen: Daß Sie eine beiläufige, subversive, den Glauben aushöhlende Theologie betrieben! Dagegen steht Ihr großes theologisches Lebenswerk als einzige Empörung.

Einer Ihrer Lieblingsschüler, Johann Baptist Metz, nennt Sie einen theologischen Meisterdenker, einen gotterfahrenen und Gott suchenden Theologen. Sie seien von einem Gott-Pathos erfüllt, fährt er fort, und lebten und buchstabierten diese Leidenschaft für Gott in den Verhältnissen unserer Zeit, die wir „späte Moderne" nennen. Ihre Theologie sei ein einziger Aufstand gegen die gefühlte oder auch verkündete Geheimnislosigkeit unserer Moderne.

Lieber Karl Rahner, das ist mir erneut bewußt geworden in jener langen Nacht, in der ich mich in den Sog Ihrer jüngst veröffentlichten Gebete ziehen ließ.

Daß Sie den Mut fanden, Ihr Wort an Gott preiszugeben, so daß wir es jetzt gebrauchen können, um es neu zu versuchen: das Beten dafür sei Ihnen an Ihrem 80. Geburtstag am allermeisten gedankt.

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