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Dynamik der Kirche

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Das Werk hat den Zweck, drei schon früher veröffentlichte Aufsätze jetzt unter einem gemeinsamen Titel „verbessert nochmals vorzulegen“ (Vorwort) und sie so einem weiteren Leserkreis zugänglich zu machen.

Die erste Abhandlung: „Prinzipien und Imperative“, unterscheidet zunächst beide Begriffe sehr genau und beklagt (S. 35) beim heutigen Christen „das ohnmächtig-langweilige Anrufen der Prinzipien“, die ja ohnehin schon alles „geregelt“ haben, statt endlich den Mut zur konkreten Tat zu finden, die der sittliche Imperativ von uns verlangt. Das kirchliche Lehramt verkündet und begründet wohl die allgemeinen sittlichen Prinzipien unseres Handelns, kann aber dem Gläubigen die konkreten sittlichen Imperative „nicht fertig ins Haus liefern“ (S. 36), Z1B1. ob 1871 die katholischen Franzosen für oder gegen die Monarchie hätten stimmen sollen (S. 26), ob heute ein deutscher Katholik im Gewerkschaftsbund bleiben soll oder nicht (S. 36) und anderes. Der Verfasser weist in diesem Zusammenhang auf „das Selbstbewußtsein der Leute von Caux“ (S. 37) hin und schließt mit dem mutigen Satz: „Imperative wachsen nur da in Geist und Herz heran, wo die richtige Freiheit im Meinen und Suchen, im Propagieren und Diskutieren vorhanden ist“ (S. 37).

Im zweiten Abschnitt: „Das Charismatische in der Kirche“, greift Rahner ein uraltes und ewig neues „heißes Eisen“ an: das Verhältnis zwischen dem kirchlichen Amt und dem Charisma, dem Geist von oben. Beide sind da und müssen da sein, sonst wäre die Kirche schon längst eine Beute des Bösen geworden. Aber müssen beide immer beisammen wohnen? Die Kirchengeschichte zeigt eindeutig das Gegenteil, sie zeigt aber auch, daß das kirchliche Lehramt (vor und nach der vatikanischen Infallibili-tätserklärung) immer verschiedene Schulen und theologische Richtungen toleriert und eigentlich nie einer einzigen auf die Dauer ganz und allein rechtgegeben habe (S. 67). Freilich wird in einem eigenen Unterabschnitt ganz offenherzig auch „das Leid des Charismas“ (S. 68 ff.) geschildert. Es mußte und muß oft lange warten, bis seine Zeit, sein Kairos, kommt. Den heiligen Johannes vom Kreuz haben seine eigenen Mitbrüder auf Monate lang in den Kerker geworfen, eine Maria Ward wurde von der Inquisition nicht viel besser behandelt, ein J. H. Newman lebte jahrelang „unter der Wolke“ usw. (vgl. S. 72 ff.). Der Verfasser ist aber durchaus nicht einseitig und weiß, daß viele dieser Leiden fast unvermeidlich sind wie einst das Leiden Christi, denn das Charisma hat nicht selten auch „etwas Chokierendes“ an sich (S. 73) und kann sehr wohl mit Schwärmerei, Umsturzversuchen usw. verwechselt werden (denken wir nur an die Anfänge von Lourdes). Die apostolische Mahnung: „Prüft vielmehr die Geister, ob sie von Gott sind“ (1. Joh. 4, 1), wird die Kirche immer wieder nach beiden Seiten hin sehr ernst nehmen müssen.

Der dritte Aufsatz: „Die Logik der existentiellen Erkenntnis bei Ignatius von Loyola“, ist eine tiefschürfende Untersuchung zur Theologie seiner Exerzitien. Da diese nicht selten „ein Meisterwerk an Kürze, aber kein Meisterwerk an Deutlichkeit“ darstellen (S. 115), muß Rahner über die offizielle lateinische Ausgabe hinaus wiederholt auf den spanischen Urtext zurückgreifen, um den eigentlichen Sinn mancher Aussagen aufzuhellen. Hier wird freilich nur ein religionsphilosophisch hinreichend vorgebildeter Leser mitkommen.

Für eine Neuauflage des gehaltvollen Bandes sei auf zwei Druckfehler hingewiesen: Der Wiener Moraltheologe heißt nicht Hörer, sondern Hörmann (S. 11, Anm. 2), und das Fragezeichen hinter jenem Namen, der für das Imprimatur verantwortlich zeichnet, ist sicherlich nicht ernst gemeint. Auf Seite 54 ist mir folgende Stelle nicht ganz klar geworden: „Die Reformatoren des 16. Jahrhunderts haben ja die evangelischen Räte nicht als solche verwerfec wollen (wenigstens nicht in ihrem ersten Ansatz), sie stehen ja zu deutlich in der Schrift. Und erst eine liberale aufklärerische Vernünftigkeit, die auch vom Glauben der Reformatoren nicht mehr viel verstand, hat dann auch gemeint, gescheiter und weiser als die Schrift in diesen Fragen sein zu sollen.“

Wie weit reicht nun dieser „erste Ansatz“? Schon 1521 hat Luther in seiner Kampfschrift „De votis monasticis“ das Recht des Mönchtums grundsätzlich in Abrede gestellt. Daß es evangelische Räte gibt, sei die gottlose Weisheit der papistischen Schulen (WA 8, 580, 4 f.), und F. Lau bemerkt in RGG (1958) II, 787, zu unserer Frage folgendes:

„An den Motiven, die Luthers Kampf gegen die e. R. bestimmen, wird die ev. Ethik festzuhalten haben. Die exegetische Begründung der Lehre ist gänzlich brüchig . . . Von Überpflichtigen Werken ist nirgends die Rede. .. Das praktische Motiv für alles mönchische Leben ist immer gewesen, durch gesteigerte Leistungen eine höhere Seligkeitsstufe zu erreichen.“

Und gerade das Leistungsprinzip hat Luther bei seiner Rechtfertigungslehre von allem Anfang an abgelehnt. Vielleicht könnte Rahner diese seine Bemerkung näher begründen bzw. belegen.

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