Theologie "mit dem Gesicht zur Welt"
Det katholische Theologe Johann Baptist Metz feiert am 5. August seinen 90. Geburtstag. Seine "Politische Theologie" versucht, den christlichen Glauben in einer pluralen säkularen Welt neu zu denken und als praxisrelevant zu erweisen.
Det katholische Theologe Johann Baptist Metz feiert am 5. August seinen 90. Geburtstag. Seine "Politische Theologie" versucht, den christlichen Glauben in einer pluralen säkularen Welt neu zu denken und als praxisrelevant zu erweisen.
Einer der profiliertesten und weltweit einflussreichsten Theologen feiert in diesen Tagen (5. August) seinen 90. Geburtstag: Johann Baptist Metz. Er konnte in unserer säkularen Welt die theologische Landschaft wie kaum ein anderer innovativ verändern. Seine oft kühnen Vorstöße haben sich auch weit über die Grenzen der Kirchen hinaus Gehör verschafft. "Radikal" ist dieses Denken vor allem deshalb, weil es sich mit biblisch-geschärftem Weltblick weit vorwagt an die Fronten der gegenwärtigen Kämpfe um die bedrohte Zukunft der Menschheit.
Nach den Worten des in religiöser Hinsicht gewiss unverdächtigen Zeitgenossen Jürgen Habermas ist Metz "in seiner praktischen Wirksamkeit der eindrucksvollste deutsche Theologe der Gegenwart, weil er an der Kirche festhält und sich zugleich mit großer Offenheit allen geistigen Kämpfen der Zeit stellt".
In einer Phase des Übergangs vom abendländisch-europäischen Christentum zu einem kulturell vielfach verwurzelten Weltchristentum mahnt Metz das Recht auf Anerkennung "der Anderen" ein und sucht in diesem weltweit umkämpften Anerkennungspathos einen kommunikativen Neuaufschluss der biblischen Gottesrede unter säkularen Prämissen.
Adorno, Horkheimer, Habermas
Der 1928 in Auerbach (Oberpfalz) geborene Johann Baptist Metz studierte Philosophie und Theologie in Bamberg, Innsbruck und München. Er promovierte 23-jährig in Philosophie mit einer Arbeit über Martin Heidegger und anschließend bei Karl Rahner mit einer Studie zur Denkform des Thomas von Aquin. 1969 wurde der wohl bedeutendste Rahner-Schüler zum Professor für Fundamentaltheologie an die Universität Münster berufen.
Die frühe Begegnung mit Martin Heidegger, mit Ernst Bloch und der Frankfurter Schule um Theodor Adorno, Max Horkheimer und Jürgen Habermas, aber auch die Anregungen durch Walter Benjamin, Emmanuel Levinas und andere jüdische Denker haben das eigene Denken alsbald auf den Weg gebracht.
Bereits der junge Metz spürte hellsichtig die Defizite "individualistisch-existentialistischer" Theologie-Entwürfe auf, in denen die gesellschaftliche Verflochtenheit des Einzelnen ausgeblendet bleibt. Der "Andere" in seiner Andersheit rückte immer weiter in dieses Denken ein und rief nach einer "öffentlichen" Verantwortung des Glaubens im Blick auf die Herausforderungen der Mit-Welt. Die Anfänge ließen noch kaum erahnen, wohin diese Schritte führen sollten, bis dann in dem tastenden Suchen als "roter Faden" die Konturen einer "Neuen Politischen Theologie" sichtbar wurden, die in Zeiten der Differenz, der Andersheit und Pluralität ihre Kompetenz entfaltet.
Bereits der junge Metz spürte die Defizite ,individualistischer' Theologie-Entwürfe auf, in denen die gesellschaftliche Verflochtenheit des Einzelnen ausgeblendet bleibt
Wien war für Metz wiederholt Diskussionsort und Exerzierfeld kühner Denkvorstöße: So schon 1965, als der junge Theologe nach seinem Vortrag beim Universitätsjubiläum öffentlich mit Ernst Bloch über den Utopie-Gedanken diskutierte, bis hin zu den Veranstaltungen "Pro-Wien" des damaligen Wissenschaftsministers Erhard Busek. Und schließlich von 1993 bis 1996 im Rahmen einer Gastprofessur an der Universität Wien, die ihm 1994 die Ehrendoktorwürde verlieh.
Im Horizont der politischen Aufklärung Europas war der Theologie längst schon eine "politische Denkform" abverlangt, auch wenn dies erst spät erkannt und im katholischen Raum erstmals von Metz eindrucksvoll und konsequent entwickelt wurde. Der theologisch bislang noch unaufgeschlossene "Primat des Praktischen" sollte nun auch für die Theologie reklamiert und gesichert werden, um die praktische Verfasstheit eines Christentums im Verhalten zu den Anderen sichtbar zu machen. "Praxis" rückt in bisher ungewohnter Weise gegenüber einer bloß lehrhaften Orthodoxie zum Ort der Wahrheitspräsenz auf. Schließlich geht auch einem nur "geglaubten Glauben", der dieses praktische Zeugnis eliminiert, die Tröstungskraft der biblischen Verheißungen verloren. Auf dieser Linie kritisiert Metz aber auch jene forsche Säkularisierungstheologie, die in den neuzeitlichen Emanzipationsprozessen und Fortschrittsideologien bereits eine Umsetzung und Einlösung der biblischen Glaubenshoffnung erblicken möchte. "Erlösung" ist der Grundimpuls für eine politische Befreiungsgeschichte, die sich in produktiver Solidarität mit den Armen, den Unterdrückten und Ausgegrenzten bewährt.
Wider falsches Versöhnungspathos
Metz ringt um die Universalität des biblischen Gottesgedächtnisses. Denn Gott ist ein "Menschheitsthema" oder überhaupt kein Thema. Und deshalb hat jeder - auch der Ungläubige - ein Recht, bei diesem Thema gehört und nicht nur belehrt zu werden. So durchbricht Metz den in sich geschlossenen Zauberkreis einer kirchlich verschlüsselten Gottesrede, die mit ihrem Zuviel an Antworten und Versöhnungspathos die beunruhigenden Lebensfragen der Menschen verdrängt. Nicht nur die singuläre Katastrophe von Auschwitz im Herzen Europas, auch das zum Himmel schreiende Leid auf den Kriegsschauplätzen unserer Erde wie auch das Elend blind wütender Naturkatastrophen - solche Einbrüche verlangen eine Theologie, die sich das Unheil nahegehen lässt und es in eine Frage an Gott selber bringt. Das Gespür für das Negative, das Unversöhnte und Unversöhnbare, für unverjährbare Schuld und noch mehr für das Leid Unschuldiger lässt das christliche Gottesgedächtnis auch in andere Lebenswelten hinein entgrenzen und Gott als das "noch nicht zu Ende gebrachte Geheimnis der Zeit" erahnen. "Den Leidenden ein Gedächtnis geben" lautet ein Basissatz dieser Theologie, die dem Vergessen um Gottes und des Menschen willen zu widerstehen sucht.
Theologie ist zuletzt nur als eine sich an Gott selber adressierende Rückfrage aus der Geschichte möglich. Sie wurzelt in der "Rede zu Gott", weiß sich fundiert im menschheitlichen "Schrei nach Gott", ist "reflexive Gebetssprache" und erzwingt in ihr den Raum eines ungetrösteten "Vermissens", das Gott und der Würde der Leidenden standzuhalten sucht. So bleibt das biblische Gottesgedächtnis mit der Passionsgeschichte der Menschheit unzertrennlich verbunden und ist in ihr "Hoffnung im Widerstand". Deshalb widersetzt sich diese Politische Theologie den Tendenzen zur Selbstprivatisierung des christlichen Glaubens gerade in einer vom Vergessen bedrohten Gesellschaft.
Immer deutlicher drängt zuletzt die "Verzeitlichung der Zeit" in den Fokus theologischer Weltwahrnehmung: Zeit nicht als unendliche Zeit des "Immer-Weiter", sondern als "befristete Zeit", als leiddurchkreuzte Geschichtszeit - und Gott als verheißungsvolles Ende der Zeit. In dieser "Verzeitlichung" verdichtet sich die eschatologische Hoffnung in den "apokalyptischen" Ruf ("Schrei") nach Gott selbst und seiner rettenden Gerechtigkeit.
"Mystik der offenen Augen"
In solchen Perspektiven "mit dem Gesicht zur Welt" wird "Hoffnung für die Welt" selbst zum Programmwort für "Lernorte" und "Lernzeiten" einer kirchlichen "Lerngemeinschaft". Deren Aufgabe ist es, sich für das Fremde zu öffnen und christliche Hoffnung "erinnernd" und "erzählend" in konkrete Geschichtskontexte hineinzutragen. Theologie muss lernen - sie muss lernen, dass das Interesse an einer ungeteilten Gottesgerechtigkeit sie immer neu auf die Gerechtigkeit unter Lebenden in praktisch-politischer Absicht verpflichtet. Sie muss sich von den Antlitzen der Armen selber sehen und "unterbrechen" lassen, um in diesem Perspektivenwechsel die Zwänge einer entwürdigenden Angleichung und Beherrschung der Anderen zu brechen. Hier spiegeln sich Erfahrungen, die Metz mit Teilen der lateinamerikanischen Kirche bis heute verbinden. Dieser innerkirchliche Lernprozess erweist sich auch als Stachel für einen produktiven Erfahrungsaustausch zwischen Kulturen und Religionen in gegenseitiger Inspiration und Kritik.
Vor diesem Hintergrund gewinnt die schon früh gesuchte "Brudermystik" als Einheit von Gottes- und Nächstenliebe in dem leidgeschärften Weltblick immer mehr die Züge einer "Mystik der offenen Augen" bis hin zu der am Leid der Anderen orientierten "Mystik der Compassion". Diese Vertiefung zur tätigen Anteilnahme am Schicksal der Anderen ist im zusammenschließenden Pluralismus der Religionen und Kulturen das heute geforderte Zeugnis eines authentischen Nachfolge-Christentums.
Der Autor, emeritierter Professor für Fundamentaltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, durfte auf Einladung des Jubilars das Projekt seiner "Gesammelten Schriften" konzipieren, bearbeiten und herausgeben (Verlag Herder: 2015-2018). Es soll das Gesamtwerk des weltweit einflussreichen Theologen der Öffentlichkeit in Kirche und Gesellschaft näherbringen und seine oft kühnen Denkvorstöße als verheißungsvolle Impulse christlicher Weltverantwortung in den globalen Herausforderungen unserer Weltgesellschaft erhalten.
Johann Baptist Metz
Geb. 5. August 1928 in Auerbach (Oberpfalz), Studium der Philosophie und Theologie, ab 1969 Professor für Fundamentaltheologie an der Universität Münster.