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Proteste, Revolten, Reformen

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Die Tagung der Wiener Diözesansynode, die Mitte Jänner 1969 in der Konzilsgedächtniskirche der Jesuiten in Lainz stattfand, war ein Ereignis in der Klimax:• Papst Paul VI. hatte kurz vorher mehrmals und in bewegten Worten seine tiefe Besorgnis über die Desordre zum Ausdruck gebracht, die neuerdings in der Kirche, vor allem unter den Intellektuellen, um sich greift.• Der Diözesanbischof von Graz-Seckau, Doktor Josef Schoiswöhl, hatte zum Jahreswechsel die erbetene Enthebung vom Bischofsamt erhalten und bei dem ganzen eine ebenso verantwortungsbewußte wie entschiedene Haltung inmitten der heftigen Bewegungen des Tran-sitoriums der nachkonziHaren Ära gezeigt. • Die Pastoralkonferenz der katholischen Kirche in den Niederlanden hatte den da und dort in sensationeller Aufmachung angekündigten „Bruch mit Rom“ nicht vollzogen; der niederländische Katholizismus (dieser Begriff ist dort seit der Reformation bodenständig) erwies sich ganz im Gegenteil und wie so oft in seiner bisherigen Geschichte als römisch-katholisch.

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Die Tagung der Wiener Diözesansynode, die Mitte Jänner 1969 in der Konzilsgedächtniskirche der Jesuiten in Lainz stattfand, war ein Ereignis in der Klimax:• Papst Paul VI. hatte kurz vorher mehrmals und in bewegten Worten seine tiefe Besorgnis über die Desordre zum Ausdruck gebracht, die neuerdings in der Kirche, vor allem unter den Intellektuellen, um sich greift.• Der Diözesanbischof von Graz-Seckau, Doktor Josef Schoiswöhl, hatte zum Jahreswechsel die erbetene Enthebung vom Bischofsamt erhalten und bei dem ganzen eine ebenso verantwortungsbewußte wie entschiedene Haltung inmitten der heftigen Bewegungen des Tran-sitoriums der nachkonziHaren Ära gezeigt. • Die Pastoralkonferenz der katholischen Kirche in den Niederlanden hatte den da und dort in sensationeller Aufmachung angekündigten „Bruch mit Rom“ nicht vollzogen; der niederländische Katholizismus (dieser Begriff ist dort seit der Reformation bodenständig) erwies sich ganz im Gegenteil und wie so oft in seiner bisherigen Geschichte als römisch-katholisch.

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Zur gleichen Zeit wurde eine Rede an Theologiestudenten, die der katholische Universitätsprofessor Johann Baptist Metz (Universität Münster) unlängst gehalten hat, verbreitet. Zum Thema Gegenreformation 1969 sprechend, wendet sich Metz gegen eine in Gang befindliche „Gegenreformation“, von der er meint, sie habe eingesetzt, bevor eine Reformation stattfinden konnte. Es gebe „Formen der Inquisition“, die deswegen, weil sie verschleiert geübt werden, nicht harmloser, sondern bedenklicher seien. Reformiert soll aber nach Metz alles werden, was an Haupt und Gliedern nicht mehr zu retten ist; dieser Ruf werde nicht mehr verstummen. Längst sei es zu spät, zerbrochene Strukturen wieder zusammenzubasteln. Metz geht nicht mehr auf die Mätzchen der „Modernität“ und der „Nicht-modemität“ ein, sondern stellt die existentielle Frage nach der „Chance des Glaubens“. Und deswegen dürften die Reformer nicht zögern, den „anderen“ den guten Willen und das gute Gewissen abzustreiten, Im Gegenteil zu der in allen übrigen Reformen, Revolten und Revolutionen zutage tretenden Parole, es gehe bei dem ganzen um den Kampf der Vernunft gegen die Mythen der Vergangenheit, ruft Metz nicht nur den kaltblütigen Rationalismus auf, sondern eine heiße Leidenschaftlichkeit. An anderer Stelle hat Metz in einem Sammelwerk der Futurologen vom „Primat der Zukunft“ gesprochen, der jetzt das menschliche Bewußtsein prägt; das Verhältnis zur Zukunft sei nicht mehr kontemplativ, sondern operativ. Der letztere Satz entspricht dem, was Karl Marx in den Thesen über Feuerbach vermerkt: Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern. Das Denken im Zeitalter der „Revolutionären Theologie“ und der „Theologie der Revolution“ folgt auf weite Strecken der marxistischen Denkweise.Berichten aus der Bundesrepublik Deutschland war unlängst zu entnehmen, daß im Umkreis gewisser theologischer Fakultäten und Seminare (so wie in lateinischen Ländern diesseits und jenseits des Atlantiks) ein „politischer Katholizismus“ auftritt, der diesmal von links her angreifend operiert. Wenn ich mich nicht täusche, dann war in diesem Zusammenhang von Münster die Rede.

Wir leben nicht ungestraft im geistigen Klima des Freudianismus, jener Ideologie, von der sich Sigmund Freud zu Lebzeiten ebenso distanziert hat wie Karl Marx vom Marxismus. Auch im Umkreis der Lainzer Komziilskirche geisterte die Angst, die angeblich die einen Synodalen vor den anderen hatten. Es geschah dies weniger in den Human Relaitdonis der Synodalen als vielmehr in den Public Relations. Da war von der „Statusunsicherheit“ des Klerus die Rede; von der Fragwürdigkeit des traditionellen Führungsstils; von der Angst: der- Autokraten, sie könnten Mächt-, einbüßen: Aus sdieser - Angst müßten Aggressionen kommen; so wie Angst bei denen vermutet wurde, die im Sinne Metz' den Beginn der Gegenreformation vor dem Ende der Reform befürchteten. In der Tat drohte dem geistigen Klima des bisher unerhörten Geschehens einer Synode von Klerikern und Laien in Wien die meiste Gefahr von jenen, die dem ganzen entweder in starrer Abwehr oder in hilfloser Anpassung gegenübertraten. .

Es war daher von entscheidender Bedeutung, daß im Verlauf der Beratungen, etwas von jener „Wohltemperiertheit“ zutage getreten ist, über die der österreichische Dichter Hans von Hammerstein sagt, sie gehöre zum Besten, dessen die Österreicher in ihren guten Zelten fähig seien. Wohltemperiert dm Sinne von Töleranz, Ordnung in der Gesprächssituation, Bereitschaft zur Einigung im Sachlichen.

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