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Gesprch ohne Ende?

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CHRISTENTUM UND MARXISMUS - HEUTE. Von Erich Kellner (Herausgeber). (Ge. Sprache der Paulusgesellschaft). Europa-Verlag, Wien-Frankfurt-Zürich, 1966. 336 Seiten,

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CHRISTENTUM UND MARXISMUS - HEUTE. Von Erich Kellner (Herausgeber). (Ge. Sprache der Paulusgesellschaft). Europa-Verlag, Wien-Frankfurt-Zürich, 1966. 336 Seiten,

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Die Tagungen der Paulusgesellschaft, einer der vielen institutionellen Reaktionen des Konzils und auch der Liberalisierung von intellektuell argumentierenden Grenzschichten im orthodoxen Marxismus, haben spektakuläre Bedeutung erlangt. Die Presse konnte bisher nur in dürftigen Andeutungen den Inhalt der Diskussionen darstellen, die auf den Tagungen der Paulusgesell-sehaft stattgefunden hatten. Nun liegt endlich der Wortlaut der großen Dialoge vor, die auf der ersten Tagung der Paulusgesellschaft in Salzburg (1965) gehalten, ein Ausweis des Standpunktes von Marxisten und gläubigen Christen (im allgemeinen: Theologen) sein sollten, ein Versuch mittels besonders konzilianter Selbstdarstellung der eigenen Grundthesen, der jeweiligen Gegenseite Chancen für die Weiterführung eines Gespräches „ohne Ende“ anzubieten.

Gesprächsteilnehmer waren auf Seite der Marxisten u. a. die Professoren Garaudy, Lombardo-Radice, Hollitscher, Luporini und Bosnjak. Von christlicher Seite sprachen u. a. die Professoren Rahner, Cal-vez, Girardi, Metz, Dantine, Reding, Wetter, Weingarten und Schäfer.

Die Dialoge waren in der Art ihrer verbalen und systematischen Darstellung dadurch gekennzeichnet, daß auf beiden Seiten die dominanten Sprecher Hochschullehrer gewesen sind. Ein zweites Kennzeichen war die Tatsache, daß auf Seite der Marxisten nur Vertreter des (wenn auch „rechtsrevisionistischen“) Marxismus-Leninismus das Wort ergriffen, wogegen die Vertreter der Orthodoxie und eines nichtkommunistischen Marxismus (vom nichtmarxistischen Sozialismus ganz abgesehen) fehlten, wodurch das Repräsentationsgewicht der marxistischen Aussagen unzureichend war. Auf katholischer Seite sprachen jene Theologen, die sich in einer besonders nachdrücklichen Weise den Gedanken Johannes XXIII. und der Beschlüsse des Konzils verpflichtet fühlen.

Die bereits während der Tagung erkennbaren Resultate wurden von den Teilnehmern zum Anlaß genommen, einer „Entwicklung“, das heißt einer Fortführung des Dialoges zuzustimmen. Von 240 Teilnehmern waren nur sechs Personen geigen eine Resolution, die den Dialog als „fruchtbar“ bezeichnete.

Die Ergebnisse des ersten groß angelegten und gerade repräsentativen Dialoges zwischen leninistischen Marxisten und gläubigen Christen ergab einige Resultate, die ich zugleich an Stelle eines angesichts des begrenzten Publikationsraumes unmöglichen Eingehens auf die einzelnen Referate darstellen will. Ich kann jedoch nicht leugnen, daß man bei Durchsicht der Texte auch zu wesentlich anderen Feststellungen kommen kann, als ich sie zu treffen suche:

1. Positiv.

Beide Seiten waren, durch die Gesprächsgegner provoziert, zur präzisen Definition ihrer Standpunkte gezwungen. (Auf katholischer Seite ist man sich übrigens heute der Mängel einer Religionspädagogik bewußt, die das Lehrgut allen Alters- und Bildungsschichten mit einem gleichen Wortlaut anzubieten sucht.) Die Tagung, vor allem die jeweiligen Repliken, zwang die Referenten zu Aussagen, die derart waren, daß auch der jeweils „un-gläubige“ Gegner sie zumindest verstehen konnte. Das gilt etwa für den Bereich des „Gottesbegriffes“, dessen pädagogische Bewältigung noch nicht angemessen gelungen zu sein scheint.

Alle Hinweise auf den letzten Bezugspunkt der Lehren ergaben, daß es beiden, bekennenden Marxisten wie auch bekennenden Christen, beim Vollzug ihres Bekenntnisses nicht um einen intellektualistischen Pallaver, sondern um den Menschen schlechthin geht, darum, für diesen materielle und immaterielle Bedingungen schaffen zu helfen, als deren Folge er die Chancen hat, zum Vollmenschen aufzuwachsen. Daher verstehen sich, angesichts der gegenwärtigen Lebensbedingungen, beide, Marxismus und Christentum (auch), als Lehren über die Zukunft der menschlichen Gesellschaft.

2. Negativ.

Die Marxisten erklärten, wenn man ,von dem genialen Deuter Garaudy absieht, daß jede Form von Religiosität und ihre Institutionalisierung in Form von Kirche lediglich Menschenprodukt und im besonderen Widerspiegelung von geschichtlichen und dabei vor allem von materiellen Versorgungsbedingungen ist. Keineswegs ist das religiöse Gefühl etwas, das zur Struktur der Menschen gehört (Pavicevic, S. 125). Keine Rede von Gott, sondern, wie bei Bloch, nur von Gottesvorstellungen, wenn auch deren sozialökonomisch interpretierte ursprüngliche Konstitution als gerechtfertigt angesehen wird. Der Marxismus will nunmehr nach Aussage einiger Gesprächsteilnehmer, die Hilfe der Christen bei seinem Werk annehmen und auf diese Weise auch eine besondere Form von politischem Christentum akzeptieren. Die Lebensbedingungen werden nun, nach marxistischer Annahme, dank dem Marxismus so geändert, daß die Menschen keinen Anlaß haben, Diesseitiges in Absolutes zu projizieren und etwa ihren Hunger in religiöses Denken („in Protestation“ nach Marx) zu übersetzen. Das Religiöse und damit jede Form von Christentum hat im sozialistischen Endreich, weil nur eine Illusion, keine Lebenschance. Das Absterben von Religion (an sich) und Kirche wurde gerade „vergnüglich“ von so gut wie allen Marxisten vorausgesagt. Nicht weil die Marxisten dies so wollen, sondern weil das Religiöse mit dem Absterben bestimmter Lebens- und Bildungsbedingungen, an die es gebunden ist, unvermeidbar liquidiert wird. Diese Liquidation erfolgt daher synchron der Absterbeordnung von Zuständen, wie sie in einer prämarxistischen Ordnung, also noch vor der Etablierung des marxistischen Endreiches, herrschen. Die Versuche katholischer Sprecher, eine Präsenz dös Religiösen auch in einem realisierten System des Marxismus gleichsam „anzubieten“, wurden insgesamt abgelehnt, wenn man von verbalen Konzessionen absieht. Nicht einmal eine Anpassung im Sinn der Adaptionstheorie von Parsons wurde für möglich gehalten (es sei denn in der Art der Bildung eines „ethischen Christentums“) und lediglich die Duldung eines sozial sündenlosen und ohnedies das Zeichen des Ab-sterbens an sich tragenden Christentums zugesagt. Das Christliche und die christlichen Institutionen haben, wenn man nun die Hinweise der marxistischen Sprecher angesichts des vorliegenden Materials und ohne Beachtung der bei Tagungen oft üblichen verbalen Konzilianz interpretiert, eigentlich nur einen instrumentalen Charakter; sie sind ein Beschleuniger, versehen mit der Aufgabe, die Bedingungen des Ab-sterbens aller religiösen Phänomene mitproduzieren zu helfen.

Jedenfalls ist, im Sinn der im Buch dargestellten Selbstaussagen, die für einen wesentlichen Teil des Marxismus repräsentativ sind, jede Form des Marxismus positiv-atheistisch.

Das heißt: So lange sich Christentum nicht im Rahmen einer totalen „Entmythologisierung“ als „secular religion“ versteht, als eine symbolische Paraphrase, als ein System von Verhaltensformen mit nurprofanen Bezügen, ist wohl ein Gespräch am Kranken- wenn nicht am Sterbebett des Christentums möglich und im Sinn des absoluten Humanismus des Marxismus geboten: Zu einem Inkorporieren genuin-christlichen Gedankengutes im Marxismus kann es aus dessen Natur heraus, wenn er Marxismus bleiben will, nicht kommen. Christentum und Marxismus (in der Art, wie er in Salzburg in Selbstaussagen von Marxisten präsentiert wurde) bleiben einander fremd und können sich nicht gegenseitig durchdringen (Lombardo, S. 252).

Anderseits will der Marxismus jener Richtung, die Garaudy vertritt, im Mythos des Religiösen jenen Sinn zu erkennen versuchen, der ihm als Bedürfnis (etwa als Hunger) zu Grunde liegt, wenn nicht überhaupt das Bemühen sichtbar wird, in der christlichen Lehre einen „positiven Kern“ zu sehen (Lombardo in „Weg und Ziel“, Wien 1/1967, S. 9), wodurch es möglich ist, aus dialogisierenden Christen und Marxisten eine Art „Gesprächspartei“ zu machen (ebenda, S. 10).

Die Tagung in Salzburg war nur ein Beginn. Ihre Ergebnisse gleichen jenen sozialen Kontakten zwischen primitiven, prähistorischen Stämmen in den Anfängen des Handels, die man heute als „stummer Tausch“ klassifiziert. Noch fehlt eine gemeinsame Sprache, eine Sprache, deren elementare Begriffe so formuliert sind, daß sie der jeweils andere zu verstehen, wenn nicht gar anzunehmen vermag.

Das Buch bedarf, angesichts der Bedeutung der Problematik und des hohen wissenschaftlichen Ranges der Autoren, keiner weiteren Empfehlung: Es hat das Gewicht eines historischen Dokumentes.

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