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Ideologische Koexistenz?

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„Dialog auf Probe“ lautet der Titel eines in Italien zur Zeit heftig diskutierten Buches, das unlängst im Verlag „VaUecchi Editore“ in Florenz erschien und binnen kürzester Zeit zu einer Art Bestseller wurde. Es ist in der Tat ein sehr bemerkenswertes Buch; seine Verfasser sind je fünf Katholiken und marxistische Kommunisten, die sich unter der Patronanz des Florentiner Bürgermeisters La Pira zu einem umfassenden Dialog über zentrale Fragen der Philosophie, der Weltanschauung und der praktischen Politik zusammengefunden haben.

Solche Gespräche zwischen Christen und Marxisten gibt es heute nicht nur in Italien; es gibt sie auch in Frankreich und seit Jahresfrist sogar im deutschen Sprachraum, wo sich die Paulus-Gesellschaft mehr und mehr zu einem offenen Diskussionsforum entwickelt hat, auf welchem Christen und Marxisten einander begegnen. Besonders die letzte dieser Begegnungen, die Ende April in Salzburg stattfand, hat sehr deutlich gezeigt, daß hüben wie drüben die innere Bereitschaft für ein solches „Gespräch mit dem Feinde“ wächst.

Rein innerwestlicher Dialog

Die gegenwärtige Wirklichkeit des Kommunismus im Osten scheint freilich Veränderungen struktureller Art wenig Spielraum zu bieten. Immerhin ist es bemerkenswert, daß heute solche Gedanken im geistigen Raum des Marxismus überhaupt gedacht werden. Die Frage ist nur, ob und inwieweit die östlichen Marxisten, auf die es doch auch und vielleicht sogar vor allem ankommt, da mitgehen. Es ist kaum vorstellbar, daß Gespräche, wie sie in Florenz, Köln, München, Paris und Salzburg geführt wurden, auch in einem osteuropäischen Land stattfinden können. Das zeigt, wie sehr der Dialog zwischen Christen und Marxisten bis jetzt eine rein innerwestliche Angelegenheit geblieben ist, an der sich die Vertreter des östlichen Marxismus und des östlichen Christentums nur nach Maßgabe der politischen Opportunität beteiligen dürfen.

So hat das mutige Engagement des polnischen Ideologen Adam Schaff auf der Herbsttagung der Paulus-Gesellschaft in Köln keine Nachfolge gefunden, und bei der jüngsten Salzburger Tagung war der Osten — wenn man von inigen jugoslawischen und einem bulgarischen Marxisten absieht — überhaupt nicht vertreten.

Wagnis um der Zukunft willen

Anderseits erheben sich auch im Westen schwerwiegende politische Bedenken gegen die Fortführung derartiger Gespräche, die in den Augen mancher Kritiker nur das stark ramponierte Prestige der westlichen kommunistischen Parteien aufwerten.

Fragt man sich also, wer oder was nun eigentlich hinter einem sol-

chen Gespräch zwischen Christen und Marxisten steht, so muß man sagen: Im Grunde eigentlich nur das mehr oder minder klar reflektierte Gefühl vieler Menschen in beiden Lagern, den Dialog — allen Schwierigkeiten und Rückschlägen zum Trotz — doch zu wagen, und zwar um der Zukunft willen! Um den

italienischen Marxisten Luporint zu zitieren: Es geht um ein neues Modell des menschlichen Zusammenlebens und der sozialen Wirklichkeit, die mit den Kategorien des 19. Jahrhunderts nicht mehr zu bewältigen ist!

Zweifellos haben die bisherigen Gespräche zwischen Christen und Marxisten in diesem Punkt einen Fortschritt erzielen können. Beide Seiten zeigten eine gewisse Bereitschaft, zumindest probeweise den eigenen Standpunkt zu relativieren, um den anderen besser verstehen zu können. Hierbei hat sich die Wissenschaft, die ja von beiden Seiten anerkannt wird, als ein ausgezeichnetes Mittel der Verständigung erwiesen. Freilich: das Tiefste und Letzte ist mit den Methoden wissenschaftlicher Rationalität nicht auszuloten. Müssen Christentum und Marxismus im Tiefsten unverträglich sein und — was vielleicht noch wichtiger ist — auch in Zukunft unverträglich bleiben?

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