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Die sogenannten Linkskatholiken

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Grundsätzlich sei gesagt, daß sich die Linkskatholiken als bessere Christen fühlen und auf die sogenannten konservativen Katholiken und auf alle jene, die mit einer gewissen Skepsis dem „revolutionären“ Gehaben gegenüberstehen, herabsehen.

Was den Dialog mit den marxistischen Christen betrifft, so ist er von höchster kirchlicher Stelle gebilligt und kommt einer Zeitstimmung entgegen, die glaubt, daß die Gedanken nicht in der Stille, sondern im Gespräch geboren werden, und daß die Diskussion ebenso wichtig ist wie die Tat.

Papst und Sekretariat

Papst Paul VI. erklärte in seiner Enzyklika „Ecclesiam suam“, man müsse „aus seelsorglichen Erwägungen heraus in der Seele des modernen Atheisten auch nach den Motiven seiner Verwirrungen und seiner Leugnung suchen“. Der Papst anerkennt das Streben der „edelgesinnten“ Atheisten nach einer „vergöttlichten idealen Gesellschaft“ und hofft, der politisch-wissenschaftliche Atheist werde zur Einsicht kommen, „daß er an einem bestimmten Punkt haltmachen und auf eine weitere rein verstandesmäßige Erfassung des Universums verzichten müsse und so zu jenem Begriff der objektiven Wirklichkeit des kosmischen Universums gelange, der in der Seele den Sinn für die Gegenwart Gottes weckt“.

Für diesen Dialog mit den Nichtgläubigen wurde ein eigenes päpstliches Sekretariat gegründet, dessen Präsident Wiens Erzbischof, Kardinal König, ist. Dieser hat im „Neuen Forum“ (Heft 176177, AugustSep- tember 1968) sieben Thesen für den Dialog auf gestellt:

Sieben Thesen Kardinal Königs

„Es ist keine Preisgabe der Wahrheit.“ Die Christen sprecheh nicht mit den Marxisten, um ihre eigenen Prinzipien gegen die des Marxismus einzutauschen.

„Der Dialog ist keine Mission von .Primitiven“ “, das heißt, die Kirche führt ihr Gespräch mit gleichberechtigten Partnern. Der Dialog ist ein „brüderliches“ Mittel, die Wahrheit an den Tag zu bringen.

„Der Dialog ist keine bloße Konfrontation von Ideologien.“ Die Christen sollen sich nicht auf die Weise von Ideologen abkapseln und verschließen, sondern sollen sich zur Welt als Gesprächspartner öffnen. Sie sind sich ihrer Wahrheit sicher, „aber gerade deshalb bereit, diese Wahrheit gänzlich in Frage stellen zu lassen“. Die Christen erhoffen dabei von Seiten der Marxisten die gleiche Bereitschaft, „aus jedem geschlossenen System ideologischer Abkapselung auszubrechen“.

4. „Der Dialog ist nicht bloße Taktik.“ Durch den Dialog sollen zwischen Christen und Marxisten „wechselseitige Aggression verringert, wechselseitige Information ver- mehrt, wechselseitige Transformation anigestrebt werden“. „Es scheint legitim, wenn nach ehrlicher Neuschätzung der Religion sozialistische oder kommunistische Parteien mehr Stimmen, sozialistische oder kommunistische Staaten mehr Kooperation von Seiten der Christen gewinnen.-“

Kein Mißbrauch mit dem Dialog!

5. „Der Dialog darf nicht mißbraucht werden.“ Es ist selbstverständlich, daß Christen wie Marxi- sten von Worten zu Taten " fortschreiten wollen, was nichts anderes als „politische“ Aktion bedeutet. Der Kardinal wünscht nur, daß die Aktion primär von geistigen Zielen bestimmt sein soll.

„Der Dialog ist nicht einfach praktische Kooperation“, was nicht heißt, daß es auf bestimmten Gebieten, wie der Bekämpfung des Hungers und des Krieges, keine spontane Zusammenarbeit geben könne. Anders steht es aber mit der Frage, welche gesellschaftlich-politische Struktur angestrebt werden soll, um den „gegenwärtigen, himmelschreienden Zustand“ zu ändern.

„Der Dialog ist keine bloße theoretische Debatte… wenn der Dialog potentiell gemeinsame Vorstellungen aufdeckt, kommt die Stunde des gemeinsamen Handelns.“

Im Nachwort stellt der Kardinal noch ausdrücklich fest, daß es kein Monopol auf den Dialog geben kann, daß er „kein Gespräch von Establishment zu Establishment ist“, da es kein „ZK“ und keinen „Ersten Sekretär“ einer „Vatikanischen Partei“ gebe.

Die Furcht vor der Lawine

Nun gibt es aber in den kommunistischen Parteien immer ein „ZK“ und einen „Ersten Sekretär“. Spontane Aktionen sind deshalb nicht zu erwarten. Wie weit die marxistischen Denker des etablierten Kommunismus gehen können, bestimmen die’ ZKs1 und Ersten Sekretäre. Ein geistig aufgeschlossener Dialog ist deshalb nur mit marxistischen Atheisten möglich, die außerhalb des marxistischen Machtbereichs liegen.

Die Beurteilung des Dialogs der Christen mit den Atheisten steht im freien Ermessen jedes einzelnen Christen. Er kann ihn bejahen, er kann ihn aber auch ablehnen. Wenn Kardinal König meint, daß der Christ, weil er die Wahrheit besitzt, deshalb bereit ist, „diese Wahrheit gänzlich in Frage zu stellen“, so spricht er nur für einen kleinen Teil der Christen. Wesentlich mehr Christen besitzen das Christentum als ein ererbtes Gut und fürchten sich vor dessen allzu großer Belastung wegen der Lawinengefahr, die damit verbunden ist. Die meisten Christen aber halten am Christentum als einer Art geistigen Überbaues fest, da sie bis jetzt keinen besseren Ersatz finden konnten.

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