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Die Ohnmacht der Gesprächspartner

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Was jedoch die Bedeutung des Dialogs wesentlich mindert, ist die Ohnmacht der Gesprächspartner. Der Kardinal nannte die prominentesten Wissenschaftler, die von selten der marxistischen Atheisten bisher am Dialog beteiligt waren: Ernst Bloch, Branko Bosnjak, Roger Garaudy, Lucio Lambardo-Radice, Caesare Luporini, Milan Machovec und Adam Schaff. Die geistige Bedeutung dieser Männer in der westlichen Welt mit ihrem pluralistischen System, das sie allesamt ablehnen, soll nicht abgestritten werden. In den kommunistischen Staaten ist ihre Bedeutung dagegen gering. Sie werden einfach f totgeschwiegen oder als Revisionisten . und Abweichler angeprangert. , Stellen wir deshalb nach der Lage, s wie sie sich derzeit darbietet, nüch- i fern fest: Weder die marxistischen i Atheisten außerhalb des kommuni- 3 stischen Machtbereichs noch das Christentum sind heute in der Lage, r die politisch-soziale Struktur der Gesellschaft zu gestalten oder ent-scheidend zu verändern. Sie können bloß das pluralistische System des Westens, das schon seiner Struktur nach der Gefahr der Auflösung am stärksten ausgesetzt ist, nur noch schneller zur Auflösung bringen. Am Ende aber würde wieder nur ein monistisches System stehen, das selbst in seiner humansten Form zahlreiche Freiheiten aufheben müßte. Ob unter den aufgehobenen Freiheiten auch die religiöse wäre, bliebe abzuwarten.

Herbert Marcuse und Harvey Wheeler

Bei dem Dialog kann meines Erachtens das Christentum mehr verlieren als . der marxistische Atheismus, weil es in seiner Bereitschaft zum Aggiornamento eher bereit ist, Positionen aufzugeben, als der Marxismus. Bezeichnend dafür ist das Gespräch zwischen Herbert Marcuse und dem amerikanischen Politologen Harvey Wheeler über den Dialog zwischen Christen und marxistischen Atheisten („Neues Forum“, Heft 176177, AugustSeptember 1968). Darin erklärt Marcuse:

„Ich sehe die Gefahr, daß dieser Dialog damit endet, die wirklichen Differenzen zu verwischen. Mißverstehen Sie mich nicht. Es ist bestimmt besser, diese Dialoge zu führen, als sie nicht zu führen. Dessen ungeachtet kann ich mir kaum ein Christentum vorstellen, ohne sein transzendentes Element, ohne das Bekenntnis zu Christus als dem Messias und ohne den Glauben an ein jenseitiges Leben — und das steht im absoluten Gegensatz zum Marxismus, welcher glaubt, daß die menschlichen Verhältnisse verbessert werden können und sollen durch die Kraft des Menschen, und daß jede Verheißung einer jenseitigen Welt nur dazu dienen kann, das Leiden des Menschen auf Erden zu verlängern.“

Als Wheeler darauf hinweist, daß Marcuse selbst eine Theorie der Transzendenz entwickelt hat, entgegnet der Prophet der „Außerparlamentarischen Opposition“, daß seine empirisch-historische Transzendenz eine andere Form der Gesellschaft anstrebe, während die christliche eine Transzendenz aus dieser Welt in eine andere Welt ist. Dazu meinte Wheeler:

„Vielleicht ist eine angeblich neue Spielart von Theologen gerade dabei, die Transzendenz im Christentum dahin zu entwickeln oder zu reduzieren oder zu transponieren, daß sie Ihrer Transzendenz gleich wird?“

Darauf Marcuse:

„Aber dann weiß ich nicht, in welchem Sinn das dann noch Christen sind.“

Darauf Wheeler:

„Ein guter Hieb. Aber es bleibt doch Tatsache, daß die aufregendsten Entwicklungen in der christlichen Theologie in diese Richtung gehen.

Die Leute, die diese theologische Entwicklung vorantreiben, sind zugleich jene, die den christlich-marxistischen Dialog am aktivsten und fruchtbarsten führen.“

Darauf Marcuse:

„Ja, das ist wahr. Aber die wirklich große Veränderung im Christentum wird von jenen Priestern und anderen repräsentiert, welche zum Beispiel im lateinamerikanischen Guerillakrieg aktiv mitwirken.“

Dieses Gespräch scheint mir aus verschiedenen Gründen interessant zu sein. Marcuse zeigt klar die geistige Unüberbrückbarkeit zwischen Christentum und marxistischem Atheismus auf.

Im Gegensatz zu Marcuse wollen viele Theologen, von christlichen Laien gar nicht zu reden, die große Scheidewand zwischen dem Dialogpartnern nicht sehen. Christliche Theologen versuchen zu beweisen, daß das Christentum eine sehr diesseits gerichtete Religion darstellt, und der Atheist Wheeler ist fasziniert von dieser christlichen Transzendenz vom Himmel weg zur Erde hin. An die Stelle des Christkönigs tritt Jesus, der Bruder, Opfer des politischen und religiösen Establishment. Man beginnt, die Dogmen ihres religiösen Kerns zu berauben.

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