Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Ein Prager marxistischer Atheist spricht
Welchen Standpunkt nimmt nun der Gesprächspartner, der marxistische Atheist, ein? Aus dem Dialog, den der Prager Universitätsprofessor Milan Machovec mit den beiden katholischen Theologen Johannes B. Metz und Karl Rahner in Münster führte („Neues Forum“, ‘ Heft 173, Mai 1968) möchte dch die Quintessenz der Ausführungen von i Machovec in’, drei- Punkte ‘iusam- t menfassen:
1. „Zum Atheismus gehört eben, i daß wir nicht an Gott glauben, daß . wir im Christentum nicht nur das . Problem der Anthropologie sehen, i sondern auch gewisse mythologische ! Strukturen.“
2. „Die mythologische Struktur des i Christentums ist für die moderne Menschheit nicht mehr zu retten. , Die Menschheit muß deshalb die t anthropologischen Werte des Chri-stentums weitertragen auf einer | anderen nichtmythologischen Basis.“
3. Das Christentum hat versagt in i seiner t a) Beziehung mit dem Ketzertum, i b) Begegnung mit den Hochreligionen, i c) Stellung zur industriellen 3 Gesellschaft.
i Allerdings gibt Machovec zu, daß : der Marxismus „dishumanistische“
Gefahren berge, vor allem durch die „Fetischierung der Institution“. Die große Möglichkeit der Zusammenarbeit zwischen Christentum und marxistischem Atheismus lieget nach ‘ Machovec auf dem Gebiet der Humanisierung. Doch müsse das Christen- 1 tum mit der wissenschaftlichen Analyse der modernen Jahrhunderte aufs engste verbunden werden. Voraussetzung ist deshalb die Selbstkritik des Christentums.
… und die katholische Erwiderung
Dieser Selbstkritik kam der Theologieprofessor Metz dadurch nach, s daß er feststellte: „Wir Christen kön- ‘ nen kein Stück unserer Geschichte vorzeigen, in dem Humanität wirk-lieh praktiziert worden ist.“ Dazu wäre zu sagen, daß dies ebenso vom Marxismus wie von allen anderen Systemen, die Machtpolitik betrieben : haben, gilt. Im Rahmen der realen i Welt jedenfalls hat daS Christentum ; wohl Humanität praktiziert, wenn auch, wie jeder aufgeschlossene : Christ zugeben wird, in viel zu geringem Ausmaß. Allerdings kenne ich keine andere Institution, die mehr Humanität praktiziert hat.
i Nun gelten die Vorwürfe, die Machovec gegen das Christentum richtet, auch für den Marxismus, und zwar dort, wo er die politische ; Macht erlangte und wo deshalb der i alleinige Prüfstein der Bewährung zu finden ist. Auch der Marxismus mythologisiert die Lehre, behauptet er doch, daß er ein „allumfassendes und vollendetes System“ sei, was jedem wissenschaftlichen Denken widerspricht.
Das Versagen des Marxismus
Däs gleiche Versageh ‘ übrigens, däi Machovec den Christen, dem Ketzer- turh, den Hochreligidnen “ und* der industriellen Gesellschaft gegenüber vorwirft, trifft auch den Marxismus. Hier heißen die Ketzer eben Revisionisten, Trotzkisten und dergleichen. Auch der Marxismus-Leninismus sowjetischer Prägung fühlt sich als der einzig wahre Marxismus und versteht es auch, diese seine Wahrheit machtvoll und erbarmungslos durchzusetzen, wie die jüngsten Ereignisse in der CSSR bewiesen haben. Und das Versagen der kommunistischen Staaten gegenüber der industriellen Gesellschaft ebenso im humanen, wie im ökonomischen Bereich ist evident.
Nicht überschätzen!
Wenn wir deshalb die Bedeutung des Dialogs zwischen Christen und marxistischen Atheisten abstecken wollen, so gilt das Wort Marcuses, daß sie nicht überschätzt werden soll. Mehr als ein Austausch von Ideen, ein Bekenntnis zum Humanen und eine gemeinsame Stellung gegen Krieg und Hunger sind kaum zu erwarten. Vielleicht gibt es auch eine Zusammenarbeit auf humanitären Gebieten.
In entscheidenden machtpolitischen Fragen aber sind beide Dialogführenden ohnmächtig. Auf geistigem Gebiet dagegen droht dem Christentum vom marxistischen Atheismus keine Gefahr, da dieser selbst in einer tiefen geistigen Krise steckt. Die geistige Entscheidung über Sein oder Nichtsein des Christentums ist nicht abhängig vom Wohl- oder Übelwollen des marxistischen Atheismus, der selbst um seine geistige Existenz ringen muß, sondern von der Wissenschaft und ihrem Einfluß auf die Entwicklung der Gesellschaft. Die technologische Planungsgesellschaft ist das eigentliche Problem der Zukunft des Christentums. Die geistigen Anstrengungen der Christen sollten sich deshalb nicht verzetteln, sondern alle darauf gerichtet sein, dem Christentum einen Platz in der szientifizierten Gesellschaft der Zukunft zu behaupten. Hier wird das Christliche und Humane vielleicht zusammenfallen, womit das Christentum dem Leben und Sterben seines Gründers am nächsten käme.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!