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Freiheit der Christen und der Marxisten

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Die Geschichte der Freiheit, die sie beide meinten, Christen wie Marxisten, versuchte Professor Molt-mann von ihren christlichen Ursprüngen her als eine große — eschatologische — Freiheitsbewegung, als die Aufeinanderfolge mehrer Wellen von Freiheitsrevolutionen zu deuten — Christentum als Religion der Freiheit, als Religion der Hoffnung auf eine neue, freie Schöpfung, alle Teilrevolutionen menschlicher Geschichte als Vorwegnahme der letzten Revolution, der End- und Totalrevolution Gottes. Dieser Hereinholung des Marxschen Freiheitsbegriffs in die große Geschichte der Freiheit durch den protestantischen Theologen aus Tübingen entsprach auf marxistischer Seite die Aufwertung des Christentums als sozialkritisches Element der Geschichte, als Katalysator im Prozeß der menschlichen Emanzipation. Die Geschichte des christlichen Nonkonformismus, wie er sich im Urchristentum, in dien sozialkritischen Sekten des Mittelalters, in den chiliastischen Hoffnungen einer revolutionären Romantik finde, habe seine Erfüllung im Marxschen Gedarakenigebäude gefunden.

Der Begriff des Friedens und seine Beziehung zur Gewalt, zur Idee der Revolution stellt für die christliche Lehre von der Gesellschaft nach wie vor eines der umstrittensten Themen dar, auch wenn die letzte Enzyklika „Populorum progressio“ erstmals die Anerkennung der „gerechten Revolution“ brachte. Im Eintreten für die Revolution im Namen der Gerechtigkeit erblickten die Marxisten östlicher wie westlicher Provenienz die ideale Plattform nicht nur eines theoretischen Dialogs, sondern gemeinsamer Aktionen mit den Christen. Spanische Marxisten richteten flammende Appelle an die Katholiken ihres Landes, gemeinsam für die Demokratie zu kämpfen. Osteuropäische Marxisten wurden nicht müde, die Katholiken zur Zusammenarbeit, zur Mitarbeit am Aufbau des Staates aufzufordern. Daß es bei solchen propagandistischen Appellen zur völligen Pervertöerung der Begriffe kommen kann, demonstrierten besonders schlagkräftig die Vertreter aus der DDR, die nicht nur Ulbricht zum ersten Pionier des Dialogs erhoben, sondern auch die letzte Fapstenzyklika als Dokument zum 50. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution erklärten. Unvermittelt schlug der auf philosophisch-theologischer Ebene geführte Dialog um in eine heftige ideologisch-kirchenpolitische Debatte, provoziert durch Fragen nach der Religionsfreiheit der Katholiken in kommunistischen Ländern, untermauert durch Statistiken über das dortige kirchliche Leben. Reihenweise erhoben sich die Redner aus Polen, der CSSR, aus Rumänien und Ungarn, um das gute Einvernehmen zwischen Kirche und Staat zu bekräftigen, ein Einvernehmen, das, wenn überhaupt, so nur durch die Schuld der nicht kollaborationswilligen Katholiken gestört worden sei. Eingeständnisse, daß auch den Regierungen in der Religionspolitik Fehler unterlaufen seien, wirkten als eher isolierte Zeugnisse bemerkenswerten Mutes zur Offenheit.

Nach solchen politischen Intermezzi fand die Tagung immer wieder zurück zu sachlichen Referaten, wenngleich diese mehr Monologen als einem echten Dialog glichen. Radikal formulierte Professor Metz das Unbehagen vieler Tagungsteilnehmer in der Frage: Ist dieser Dialog noch typisch für die Gesellschaft von morgen? Stehen wir nicht schon vor neuen Fronten — hie Christen und Marxisten — hie Wissenschaft und moderne Gesellschaft? Diese Fragestellung griffen die jungen deutschen Sozialwissenschaftler auf: Selbst wenn sich Christentum und Marxismus heute als Werthaltungen, als Verteidiger des „Humanuni“ in einer „versachlichten“, „verwissenschaftlichen“ Welt verstünden, müßten sie ihre Werturteile an der heutigen Realität, nicht an der Realität des 19. Jahrhunderts ansetzen.

Ohne das Instrumentarium der Gesellschaftswissenschaften laufen alle Dialoge zwischen Christentum und Marxismus Gefahr, aus der Avantgarde der Zukunft zur Nachhut der Vergangenheit zu werden. Daß es im Lauf der ersten großen Konfrontationen vorerst zu globalen Seibst-darstellungen kam, lag in der Logik der Dinge: jahrzehntelang kannte man einander nur aus Apologetik und aggressiven Traktaten. Auseinandersetzungen dienten primär der Intention: Den Feind kennen, um ihn zu überleben. Was sich heute vollzieht, die Revision der alten Positionen, der Wandel überholter Begriffe, die Beseitigung von theoretischen Mißverständnissen und sehr praktischen Fehlentwicklungen,erfordert geduldige und langwierige Bemühungen auf beiden Seiten, Bemühungen, die kurzschlüssige Synthesen und allzu schnelle Birük-kenschläge vermeiden müssen. Das Christentum ist auf diesem Weg bereits weiter fortgeschritten — die Revision ideologisierter Begriffe ist nicht mehr das Ziel einzelner, sondern das Programm der ganzen Kirche. Der Marxismus, vor allem dort, wo er nicht politische Theorie, sondern massive Realität ist, kann sich vom Ballast der Vergangenheit viel schwerer lösen: sein „Aggiorna-mento“ steht noch aus. Gespräche wie die der Paulus-Gesellschaft sollten nicht unterschätzt werden, auch wenn sie weder greifbare wissenschaftliche Ergebnisse noch unmittelbare politische Wirkungen zeitigen: auf lange Sicht bilden sie wichtige Keime im großen geistigen Gärungsprozeß der Zukunft.

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