6886520-1979_29_08.jpg
Digital In Arbeit

Dem Glauben ein gutes Gewissen geben

19451960198020002020

Sind Glaube und Wissenschaft miteinander vereinbar? Diese seit Galileo Galilei umstrittene Frage hat auch heute noch ihre Brisanz nicht verloren. Der neue Fundamentaltheologe der Universität Wien, Univ.-Prof. Johann Reikerstorfer, griff diese Frage auch in seiner Antrittsvorlesung auf. In einem FURCHE-Gespräch mit Gerhard Klein meinte er:

19451960198020002020

Sind Glaube und Wissenschaft miteinander vereinbar? Diese seit Galileo Galilei umstrittene Frage hat auch heute noch ihre Brisanz nicht verloren. Der neue Fundamentaltheologe der Universität Wien, Univ.-Prof. Johann Reikerstorfer, griff diese Frage auch in seiner Antrittsvorlesung auf. In einem FURCHE-Gespräch mit Gerhard Klein meinte er:

Werbung
Werbung
Werbung

REIKERSTORFER: Die Wissenschaft unserer Tage definiert sich in einem ganz bestimmten Sinne selbst. Dieses methodisch saubere Bewußtsein ist auch nicht zuletzt der Grund für die großen Erfolge unseres technischen Zeitalters. Gleichzeitig werden wir von einer bestimmten wissenschaftlichen Rationalität bis hinein in unsere alltägliche Praxis bestimmt. Wie kann aber in einem solchen Bewußtsein christlicher Glaube auch heute noch lebendiger Glaube sein, wenn er von ganz anderen Wirklichkeiten redet als die Wissenschaften? Eine direkte Begegnung des wissenschaftlichen Betriebes auf der einen Seite und des Glaubens auf der anderen - etwa mit Hoffnung auf Konvergenz der beiden - scheint sich immer mehr als undurchführbar herauszustellen. Ich halte nicht viel davon, Naturwissenschafter zu Glaubensaussagen zu provozieren, weil diese doch nur Ausdrucksweisen eines gläubigen .Menschen sein können, als solche aber recht wenig naturwissenschaftlich vermittelt sind.

FURCHE: Ist für Sie damit die Trennung von Wissenschaft und Glaube endgültig besiegelt? ,

REIKERSTORFER: Keineswegs. Vielmehr wird es heute darauf ankommen, daß sich der Wissenschafter auf der einen Seite und der Gläubige auf der anderen Gedanken über den Sinn ihrer Aussagen machen, aber auch über deren Grenzen. Vor allem wird die Theologie kritisch angehalten werden müssen, sich sauber Rechenschaft über die Wirklichkeitsbehauptungen ihrer Aussagen zu geben. Dann erst kann meines Erachtens der Punkt in Sicht kommen, auf den hin eine solche Begegnung von Wissenschaft und Glaube sinnvoll angestrebt werden kann. Dieser gemeinsame Bezugspunkt wäre die Reflexion darauf, was der Sinn von Wirklichkeit im Ganzen ist.

FURCHE: Wie würden Sie im Zusammenhang von Wissen und Glauben die Aufgabe der Fundamentaltheologie im Hinblick auf die Glaubensentscheidung des einzelnen formulieren?

REIKERSTORFER: Es gibt natürlich schon ein vom Wissen her nicht ausschaltbares Risiko der Glaubensentscheidung, das ganz zur Definition des Glaubens gehört. Dieses darf aber nicht einfach eine solche Zumutung werden, daß alles Denken, alles Fragen nach der Vernünftigkeit einer solchen Glaubensentscheidung von vornherein ausgeschlossen ist. Der Glaube wäre sonst ein blindes Wagnis. Noch schlichter gesagt: Die Fundamentaltheologie möchte dem Glauben ein gutes Gewissen geben, gegenüber den verschiedenen religionskritischen Entlarvungen, der Wissenschaftsgläubigkeit unserer Zeit, damit er wirklich lebendiger Glaube sein kann, als neue Praxis in der Welt und auch als bekennender Glaube in einer bestimmten Religionsgemeinschaft.

FURCHE: Sie definieren den Glauben als Praxis in der Welt. Nun wird aber außerhalb der Kirchen Glaube vielfach als Hindernis auf dem Weg zu einer menschenwürdigen Zukunft angesehen, wenn er als Vertröstung auf ein Jenseits verstanden wird.

REIKERSTORFER: Diesem Argument liegt eine Vorstellung von christlicher Hoffnung zugrunde, die meines Erachtens den Sinn von Glauben total verfehlt. Diese zeigt sich dort, wo man in der Erwartung eines seligen Jenseits die Welt gleichsam wie in einem Sprung zurücklassen möchte. Ich frage mich demgegenüber, ob nicht gerade christliche Hoffnung — mehr als irgendeine politische Zukunftserwartung - den Menschen hineinzwingt in das konkrete Engagement in und an unserer Welt und so etwas ganz anderes ist, als jenes Schielen nach einer auskalkulierbaren Zukunft. Nur ein Glaube, der sich im Vertrauen auf die Wirklichkeit Gottes hineinwagt in unsere Welt der Aufgaben, Verbindlichkeiten, Nöte und Leiden, um sich darin zu bewähren, darf und muß hoffen und hofft dann eben wirklich in der Welt und für die Welt und nicht an ihr vorbei.

FURCHE: Besteht hier nicht die Gefahr, daß Christen in einem )rAkti-vismus“ ersticken?

REIKERSTORFER: Im Gegenteil Ich meine, daß gerade christliche Hoffnung von einem Aktivismus, ja auch Moralismus befreit, daß sie den Menschen, der im Engagement für diese Welt Hoffnung lebt, frei macht.

FURCHE: Was halten Sie von einer politischen Theologie, die immer wieder vom „befreienden Anspruch“ des

Christentums spricht?

REIKERSTORFER: Zunächst würde ich meinen, daß Befreiung niemals als bloß innerliche, geistige verstanden werden darf, sondern auf den ganzen, konkreten, in der Geschichte stehenden Menschen zielt. Daraus würde ich ableiten, daß der Glaube von sich her in eine neue Solidarität drängt mit den am Rande Stehenden, den Armen, Geknechteten, den Ausgestoßenen, mit denen, die in unserer Leistungsgesellschaft nicht Schritt halten können, wo immer also Menschen unterdrückt werden.

Was ich aber auf keinen Fall ableiten würde, ist dies, daß die Kirche unmittelbar zu den Waffen greifen sollte und unmittelbar politisch tätig wird. Das halte ich schon deshalb für gefährlich, weil ja die Kirche die eigenständige Ebene der Politik voll respektieren muß.

Dennoch hat die Theologie - heute mehr denn je - in die oft unbefragten Tendenzen und Stile politischer Praxen hineinzuleuchten und in einer politisch sich selbst regelnden Gesellschaft Kurzschließungen der menschlichen Sinnfrage zu verhindern, oder diese schonungslos aufzudecken. Nur wird sie - das möchte ich gegen gewisse Tendenzen heutiger Befreiungstheologen hervorkehren -eine Humanisierung der Gesellschaft nicht schon unmittelbar mit der notwendigen Gesinnungserneuerung als Umkehr des Menschen verwechseln dürfen.

FURCHE: Der Begriff der Tradition hat im Christentum immer eine bestimmte Rolle gespielt. Beklagen heute einige Theologen - und nicht nur konservative - einen gewissen Traditionsverlust, so werden andere nicht müde, Tradition als Hemmschuh zu bezeichnen.

REIKERSTORFER: Grob gesprochen, gibt es zwei Auffassungen von Tradition, die beide ganz genau an dem vorbeigehen, was echte Tradition bedeutet. Erstens das, was man am besten „Traditionalismus“ nennen kann, der Tradtition um jeden Preis bewahren möchte, der auf Tradition setzt, um ja keine schmutzigen Hände mit der Gegenwart zu bekommen. Dazu zähle ich all die Versuche, Urkirche im heutigen Wirklichkeitshorizont einfach wiederholen zu wollen, indem man Theologie sofort verdächtigt, das ursprüngliche Wort der Schrift zu entstellen, oder daß man unmittelbar auf Praktiken zurückgreift, die in der Urkirche gang und gäbe waren.

FURCHE: „Zurück zur Urkirche“ ist also nicht möglich?

REIKERSTORFER: Das wäre ein Anachronismus, der die gelebte Wahrheit der ersten Christen unterbieten würde. Die zweite Form, Tradition mißzuverstehen, würde ich als „Nonkonformismus“ bezeichnen. Das ist jene Bilderstürmer ei, die wie eine „blinde Raserei der Negation“ anmutet, wenn man zur Vergangenheit ein absolutes Nein spricht und gleichsam seine Existenz vom Nullpunkt aus entwerfen will. In letzter Konsequenz würde ein solcher Nonkonformismus bei einer geistigen Verarmung und damit bei einem unheimlichen Sinnverlust enden. Demgegenüber kann Tradition nur bedeuten, das Überkommene in der Gegenwart immer wieder neu anzueignen.

FURCHE: Welche Folgen ergeben sich daraus für die Theologie?

REIKERSTORFER: Nun, sie kann nicht einfach Lösungen, die einmal angeboten wurden und die damals unter bestimmten geistigen Bedingungen gefordert und richtig waren, bloß kopieren wollen, sondern sie muß immer wieder neu, in der kritischen Konfrontation mit dem jeweils herrschenden Bewußtsein, schöpferisch die befreiende Botschaft des Evangeliums verbindlich auszusagen versuchen. Zuletzt muß sie sich als eine Einweisung in die Praxis gläubiger Existenz verstehen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung