Eine selbstbewusste Kirche

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Vor 50 Jahren fand in Wien der erste Katholikentag nach dem Krieg statt. Die eindrucksvolle Großmanifestation war Ausdruck entscheidender Weichenstellungen des österreichischen Katholizismus, die nach wie vor aktuell sind. Auch Hugo Rahners Katholikentagsrede zeugt davon.

Ohne ihn wäre die geistige Erneuerung Österreichs der ersten Nachkriegsjahre nicht denkbar: Hugo Rahner (1900 bis 1968). Heute zählt der deutsche Jesuitenprofessor freilich zu den Vergessenen und steht im Schatten seines vier Jahre jüngeren Bruders Karl, der ihn um 16 Jahre überlebte und als Konzilstheologe weltweit Ansehen und Anerkennung erfuhr.

Hugo Rahner jedoch war die Programmrede auf dem Österreichischen Katholikentag 1952, dem ersten seit 1933, anvertraut. Auch wenn in der Erinnerung weiter Kreise der Bevölkerung hauptsächlich die feierliche Einweihung der neuen Pummerin vom 26. April 1952 hängengeblieben ist, darf nicht unterschätzt werden, welch tiefe Spuren Hugo Rahners Rede "Österreichisches Cofiteor und Gloria" hinterlassen hat. Zum Auftakt der "katholischen Heerschau" (Papst Pius XII.) am Abend des 12. September gehalten, zählte sie - neben der am 14. September 1952 von Radio Vatikan übertragenen Botschaft des Papstes, für den von der Veranstaltung "ein Signal zum Wiedererwachen und zur Erneuerung des religiösen Lebens im österreichischen Volke" ausgehen sollte, und der am selben Tag proklamierten "Erklärung" mit ihren zehn Forderungen bzw. "Geboten" - zu den drei "Angelpunkten" des Katholikentages.

Lässig und liebeleer

Die nächtliche Pontifikalmesse im Praterstation, der Fackelzug von 60.000 Jugendlichen über den Ring und die Kärntner Straße sowie die Haupt- und die Schlusskundgebung auf dem Heldenplatz gehören zur emotionalen Hinterlassenschaft der ersten großen Demonstration katholischen Selbstbewusstseins nach dem Krieg. Inhaltlich ragt - zusammen mit dem "Mariazeller Manifest", das ein neues Verhältnis von Kirche(n), Staat und Gesellschaft anstieß - Hugo Rahners Rede heraus, die von der damaligen Furche-Redaktion als so "außerordentlich bedeutsam" gewertet wurde, dass ihre Ausgabe zum Katholikentag einen halben Tag später erschien, um sie in voller Länge abdrucken zu können.

In der katholischen Öffentlichkeit Österreichs wie Deutschlands galt Hugo Rahner als einer der profiliertesten Theologen und Sprecher der Kirche. Er traf den Ton der Zeit: nicht selten pathosbeladen und metaphernreich, aber auch mit einer Direktheit, die heutige kirchliche Verlautbarungsrhetorik blass, ja inhaltsleer erscheinen lässt.

Rahner vergleicht den Katholikentag mit "hohen Messe", die auf eine "Wandlung der Herzen" ausgerichtet sei. Am Beginn hat für den deutschen Jesuiten deswegen "das Confiteor einer lauteren Selbstbesinnung" zu stehen. Erst wenn Schuld eingestanden sei, könne man "das Gloria der Freude an unserem heiligen katholischen Glauben" anstimmen, selbstbewusst und demütig zugleich: "Wir sind also nicht hierhergekommen, um nur halb ängstlich und halb stolz zu sagen: Wir sind auch noch da. Wir wollen nicht bloß einen Achtungserfolg erzielen, den man uns beeindruckt und widerwillig zugleich erteilt, um dann wieder beruhigt in die befreibareren Gefilde der von katholischen Überspanntheiten nicht mehr beunruhigten Politik und Sozialordnung zurückzukehren, indem man den Katholiken ab und zu eines ihrer offenbar unvermeidlichen Feste zubilligt."

Olympiade des Geistes

Rahner fordert dazu auf, sich "in der Olympiade des Geistes", in der "um Würde und Freiheit des Menschen" gekämpft wird, "nicht eben nur mit einer bronzenen Medaille zu begnügen, während die goldenen schon anderswohin angewandert sind". Katholiken sollen nicht anderen das Feld überlassen und sich in Sakristeien zurückziehen. Zum "Mea culpa unseres Katholikentages" gehört deshalb das nüchterne Eingeständnis, dass sich Katholiken "seit den Tagen der Katastrophe von 1945 wieder eingerichtet (haben) in den mühsam ergatterten Winkeln unserer augenblicklichen, vom Staat mühsam garantierten Geborgenheit".

Ähnlich wie bei seiner Rede als erster Nachkriegsdekan der Innsbrucker Theologischen Fakultät Anfang Oktober 1945 ("Christlicher Humanismus und Theologie") fragt Hugo Rahner, ob "wir katholischen Christen dieses Landes schon heimlich zu Barbaren geworden" sind: "Lässig und liebeleer". Denn - "gestehen wir es in Mut und Demut: wir erheben unsere Stimme zu feige". Der Katholikentag und sein Mea Culpa müssten "die Gewissen der Christen in Österreich" wieder aufwecken, "sodass jeder in aller Stille und ohne seine Verantwortung auf Programme und Organisationen abzuschieben, anfängt, ein besserer Christ zu sein, dann (und nur dann) ist die Menschenwürde gesichert."

Dieses Eingeständnis erst und die daraus folgende Tat erlaubten das Einstimmen ins Gloria eines demütigen, aber selbstbewussten Glaubens, der die Kirche Forderungen stellen lassen könne - "im Namen des Menschen und aller Menschen", also nicht nur der Katholiken oder Christen. 10 Jahre vor dem Konzil ("Gaudium et spes") ist es noch keine Selbstverständlich zu hören, dass die Kirche "nicht nur die Würde ihrer Kinder, sondern aller Menschen beschwörend verteidigen" will.

Fundamentale Sätze

Hugo Rahner erinnert dabei an die den Katholikentag vorbereitende Studientagung in Mariazell vom Mai 1952, auf der "fundamentale Sätze" gefallen seien. Und er zitiert zustimmend eine längere Passage aus einem der beiden Grundsatzreferate, das sein Bruder Karl, der Dogmatiker, dort gehalten hatte (vgl. Kasten links).

Eben weil die Kirche für die Würde und Unantastbarkeit des Individuums einstehe, sei sie berechtigt, Forderungen zu stellen, wie sie in Mariazell erhoben worden waren. Da das "Schuldbekenntnis unserer missbrauchten Freiheit" geleistet worden sei, müssten sich Katholiken auch fragen, welches ihr Einsatz in der Gesellschaft sei, wo sie ihre Stimme laut und selbstbewusst erheben sollten: "Man glaubt uns unsere Botschaft von der Freiheit nur widerwillig, wenn man auf unser Leben sieht. Denn man kann sich nicht mehr allenthalben im Lande auf die Integrität unseres katholischen Gewissens verlassen". Genau darauf jedoch könne Österreich nicht verzichten: "Nun mag die hohe Messe dieser Tage ihren Gang nehmen bis zur Wandlung der Herzen und der Communio der katholischen Gemeinschaft."

Es mag erstaunen, zu welch realis-tischer Einsicht der Lage der Kirche Hugo Rahner schon Anfang der fünfziger Jahre gekommen war. Trat er verschiedentlich für die (recht verstandene) Idee eines "christlichen Abendlandes" ein, war er sich nur zu sehr bewusst, dass Österreich längst kein "katholisches Land" sei. Wie sein Ordensmitbruder Ivo Zeiger, der 1948 in Mainz auf dem deutschen Katholikentag zur religiös-sittlichen Lage das ernüchternde Wort in die öffentliche Diskussion geworfen hatte, Deutschland sei "ein Missionsland geworden", gab er sich keinen Illusionen hin.

Doch Hugo Rahner warb auch für eine sich einmischende, kraftvolle Kirche, die für ihn "Gottes Kraft", wenn auch "in menschlicher Schwäche" war, wie er 1956 in seiner Kölner Katholikentagsrede sagen wird.

Der Autor ist stv. Redaktionsleiter der Jesuiten-Zeitschrift "Stimmen der Zeit" in München.

Österreichischer Katholikentag 1952

"Unser Tag". Mit dieser Schlagzeile, einer seitengroßen Abbildung der Marco d'Aviano-Statue vor der Wiener Kapuzinerkirche und einem Leitartikel von Kardinal Theodor Innitzer erschien am 13. September 1952 die Festnummer der Furche zum Österreichischen Katholikentag: In der damaligen Ausgabe dieser Zeitung finden sich Beiträge mit unterschiedlichsten gesellschaftlichen Perspektiven - darunter aus den beiden großen politischen Lagern und auch aus der evangelischen Kirche: Die erste öffentliche Großmanifestation des österreichischen Katholizismus nach dem Krieg zeigte deutliche Spuren des Ausbruchs aus der konfessionell und christlichsozial geprägten Ära, welche die Erste Republik so traumatisiert hatte. Die dafür prägenden Worte: "Eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft" und: "Kein Protektorat einer Partei über die Kirche", waren bereits Anfang Mai 1952 bei einer Studientagung im Vorfeld des Katholikentages in Mariazell formuliert worden. Heute sind sie als "Mariazeller Manifest" bekannt (vgl. dazu Furche 18/2. Mai 2002). ofri

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