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Umschau nach großen Tagen

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Dieser Katholikentag 1952 war ein Geschehen besonderer Art. Er versammelte ein Volk, das, vereinigt um die obersten Hüter seiner Heiligtümer, dip geheimsten Tüfen seines Herzens auftat, als es vor allbr Welt, wie Hugo Rahner sagte, sein Confijeor in freimütigem Bekennen sprach, beifor es seine Vorsätze und Entschlüsse, gefaßt in gnaderivollen Stunden, kundgab. Und dann bei strömendem Regen, unter Blitz und Donner, der Marsch der Sechzig- tausend zum Stadion, im nächtlichen Dunkel der Altar im weiten Rund umleuchtet von dem Schimmer der Kerzen, die in einer Massenversammlung kaum sichtbarer Be

ter brannten. Und wiederum nach einem Tage, da die Arbeiter- und Landjugend ihre Delegierten aus allen Bundesländern zusammengerufen hatte, von ihrer Versammlung am Rathausplatze weg, der dreistündige Zug der jungen Fackelträger über den Ring, eine Manifestation Jungösterreichs, wie sie die Großstadt schon lange nicht gesehen. Verwandelte, verklärte sich nicht in diesen Tagen das Antlitz dieser Stadt, hörte man nicht aus den zusammengeströmten Volksmassen das Herz Österreichs schlagen? Fast hätte der größte Freiraum der Stadt, der Heldenplatz, nicht die Hunderttausende zu fassen vermocht, die sich am Sonntag zweimal hier zu Gebet und feierlichem Entschlüsse versammelten.

Imposant und ergreifend der äußere Ablauf dieser Tagung eines gläubigen Volkes. Aber der hätte nicht das Wesent- liche wahrgenommen, der nicht den strengen Ernst des Wollens, den unbarmherzigen, hellsichtigen Realismus verstanden hätte, mit dem sich der österreichische Katholizismus zu den Tatsachen der Umwelt stellt. Und da war es auch noch etwas anderes: Auf diesem Katholikentage haben sich Dinge von großem öffentlichem Gewjicht zugetragen, die über die Grenzen des konfessionellen Raumes und über die ftarteidogmatischen Wegmarken hinausreichen und denen man in diesen Zeiten ier harten Geräusche und des leidenschaftlichen politischen Propagandalärmes wegen des vernehmlichen Widerspruches zu dem Gewohnten, mit besonderer Aufmerksamkeit zu lauschen verpflichtet ist.

Die Erscheinungen liegen weit auseinander. Zum ersten Male in der fünfund- siebiigjährigen Geschichte der österreichischen Katholikentage war es — und es ist, möchte man sagen, ein innerchristliches Ereignis —, daß diesem Katholikentage; einer in aller Form ergangenen Einladung folgend, ähnlich wie jüngst dem Berliner Katholikentage, eine Vertretung unserer protestantischen Mitbürger beiwohnte. Die minutenlange Begrüßung, die ihr cjlurch die ganze Versammlung zuteil wurde, redete eine beredte Sprache. Heute ist die ganze Christenheit gegen dämonische Bedrohungen aufgerufen. Aber das ist njcht das Einzige und Erste. Vor allem steift das Verlangen, unter Christen das gebührende christliche Verhältnis — auch hier Ider Freiheit und der Würde der Men- scheiji wegen — herzustellen; dieses Verlangen war das Motiv des Willkommens, das den protestantischen Gästen entgegengebracht wurde. Stehen wir in diesem Geiste zusammen, so wird uns alles

andere nach Gottes Willen hinzugegeben werden.

Die andere Begebenheit hegt im politischen Bereiche. Man kann zu ihrer Kategorie nicht das Verhalten des Bundespräsidenten zählen, der zum Empfang des Kardinallegaten und zur feierlichen Eröffnung der Tagung kam. Ihm wurde dafür von der Versammlung ein Dank von ungeheuchelter Herzlichkeit zuteil, der Dank dafür, daß er sein Amt als Staatsoberhaupt für das ganze Staatsvolk versteht, gleich nahe jedem, der zum Staate steht. Zum ersten Male ereignete es sich, daß zu repräsentativen Akten des

Katholikentages die gesamte Regierung einschließlich aller sozialistischen Minister und der sozialistische Bürgermeister erschienen. Die Gemeinde Wien übte eine Gastlichkeit, die über das normale Maß hmausging. Ihre Schulverwaltung stellte für den Massenbesuch aus den Bundesländern alle notwendigen Schulen zur Einquartierung zur Verfügung; die Gemeinde sorgte für den Fahnenschmuck, überall wehte, zwischen den Farben der Stadt, das

Weiß-Gelb der päpstlichen Fahne. Sie empfing auf dem Kahlenberg die Repräsentanten der Tagung freundlich als ihre Gäste, und mit Staunen vermerkten die Freunde aus dem Ausland, was in Wien möglich und in dem Nebeneinander der Menschen gezeigte harmonische Wirklichkeit sein kann. Durch das „Königreich Waldbrunner“ geleitete den Kardinallegaten ein festlich bekränzter Zug — vielleicht war es nur ein technischer Grund oder ein bürokratischer Versager in Abwesenheit des Ministers, daß die Anbringung der Transparente, welche die ankommenden Katholikentagsbesucher willkommen hießen, nicht zugelassen wurde.

Noch niemals ist in Wien ein Katholikentag in ähnlich milder Atmosphäre gehalten worden, und schon lange ist es her, daß sich ein so ungeteiltes Österreich darstellte. Nur dem Auge? Da ist die Stimme des Zweiflers: Allgemeine Wahlen stehen im nächsten Jahre zuvor, und ihr Vorspiel hat schon begonnen. Um die Wähler geht es. Innerlich hat sich nichts geändert. Gutmütig christlich gesinnte Menschen sollen angelockt werden, lassen wir uns nicht täuschen durch papierene Kulissen und die Blendlichter einer trügerischen Theaterszenerie. — Doch es ist unfair, bei dem Andersgesinnten nur das Schlechte, die gewollte Täuschung, die Lüge anzunehmen und nicht den Beweis oder Gegenbeweis abzuwarten. Die nahegerückte Gelegenheit kann man erwarten. Ganz außerhalb der Parteipolitik liegen die Herzensangelegenheiten der Katholiken. Sie sind unzweideutig klar in diesen Tagen vorgetragen worden. Die Abschaffung Hit- lerischer Regimereste aus dem Eherechte, des Mummenschanzes bürokratischer Eheschließungszeremonien, bei voller Berücksichtigung gesetzlicher Ehehindernisse die freie kirchliche Eheschließung, das freie Elternrecht in der Wahl der religiösen Erziehung der Kinder und die Freiheit des Lebensraumes der katholischen und so auch der protestantischen Privatschule, dann aber auch die Wiederherstellung des von der Hitlerherrschaft zerstörten Konkordates, eines damals einseitig aufgelösten, durch gemeinsamen Konsens geschaffenen und nur einverständlich in friedlicher Weise lösbaren Vertragsverhältnisses, damit Beseitigung eines Ge-

waltaktes, der noch keine Gutmachung erfahren hat.

Noch einmal: in allen diesen Dingengeht es nichtumPartei- sachen, sondern um die Ge- wi s s e n s a n g e 1 eg en h ei t en des österreichischen Katholiken, die seine Haltung bestimmen, um den unveränderlichen Maßstab für sein Vertrauen und seine Orientierung auf dem weiten Felde des öffentlichen Lebens.

Noch ganz erfüllt von der Größe und der Harmonie dieses Katholikentages, zeigen wir hier Treffpunkt und Scheidelinie auf. Freilich, wäre der Sinn der Politik nur Herrschaft, Macht, alleinige Macht und nicht Behauptung in dem geistigen Wechselspiel der freien Kräfte, wäre alles nur Fanfare und nicht ernstes Wollen, dann hätten die Zweifler recht, und im ewigen unfruchtbaren zermürbenden Einerlei ginge es weiter.

Der Katholikentag hat höher hinauf gezeigt — zu den leuchtenden Sternen für die Gemeinschaft und die Lebensverbundenheit im Staate. Nicht nur für den Gläubigen, sondern für jeden gutwilligen Menschen.

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