Österreich braucht Katholikentage

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Um die brennenden Probleme von Österreichs katholischer Kirche produktiv angehen zu können, müssen Foren des Dialogs geschaffen werden. Ein Beitrag zur aktuellen Kirchendiskussion: Es geht darum, nach einer „Kirche des Volkes“ nach dem Auslaufen der „Volkskirche“ zu fragen.

Der Hirtenbrief der Österreichischen Bischöfe vom 16. Februar trifft drei bemerkenswerte Aussagen. Er fordert von der Piusbruderschaft, und damit von allen Katholikinnen und Katholiken, die „vorbehaltlose Annahme des II. Vatikanums“, er erwartet vom Vatikan die Einhaltung des „im Kirchenrecht vorgesehene(n) Verfahren(s) zur Auswahl und zur Prüfung von Kandidaten“ für die Bischofsweihe und er dokumentiert eine differenzierte Sicht auf die Diözese Linz. Die mahnende Frage des Briefes schließlich, wie denn „die sakramentale Identität der katholischen Kirche“ heute pastoral zu realisieren sei, sie ist ja wirklich ein brennendes Problem. Sie betrifft auch nicht nur Linz, sondern tatsächlich die ganze Kirche und muss auf der Grundlage des Zweiten Vatikanischen Konzils immer wieder neu gestellt und beantwortet werden.

Eine Position der Mitte

Der Hirtenbrief der österreichischen Bischöfe dokumentiert eine Position der Mitte. Er ist die Basis eines Gesprächs über die Zukunft der Kirche in Österreich. Dieses Gespräch muss jetzt geführt werden. Leider fehlen dazu die geeigneten Foren. Es fehlt das repräsentative Forum einer innerkirchlichen kritischen Öffentlichkeit, auf dem die ganze Breite der Kirche innerhalb des konziliaren Verfassungsbogens sich verständigt – und zwar erlebbar und konkret. Was also fehlt sind von den Laien verantwortete, regelmäßige gesamtösterreichische „Katholikentage“. Was in Österreich so heißt, das sind Veranstaltungen einer repräsentativen kirchlichen Öffentlichkeit, und sie haben als solche natürlich ihren Wert. Sie ersetzen aber nicht Orte einer freien innerkirchlichen Diskussion, in der die katholische Tradition immer wieder neu auf ihre individuelle wie politische Bedeutung hin ausbuchstabiert wird.

Dass es in Österreich keine regelmäßigen Katholikentage dieser Art (mehr) gibt, hat historische Gründe. Die Bischöfe Österreichs haben nach 1945, anders als in Deutschland, den durch den Nationalsozialismus aufgelösten Verbandskatholizismus, ein Erbe und eine Errungenschaft des 19. Jahrhunderts, nicht wiedergegründet und stattdessen die hierarchienähere Organisationsform des Laienkatholizismus als „Katholische Aktion“ weitergeführt. „Katholische Aktion“ und verbandlicher, primär zivilgesellschaftlich organisierter Laienkatholizismus waren tatsächlich einmal grundlegend alternative Konzepte.

Diese Differenz verblasst freilich in einer spätmodernen Gesellschaft, welche alle kirchlichen Handlungsorte unter den Zustimmungsvorbehalt ihrer eigenen Mitglieder stellt. Der Unterschied zwischen dem deutschen Laien- und Verbandskatholizismus, repräsentiert im „Zentralkomitee der deutschen Katholiken“, und der österreichischen, hierarchieangebundenen „Katholischen Aktion“ hat sich aufgrund der nachkonziliaren Emanzipationstendenzen der KA und der unübersehbaren finanziellen Abhängigkeit auch des ZdK nach und nach nivelliert. Freilich wirkt manches noch nach. Eine dieser Nachwirkungen: Es gibt keine großen, von Laien selbständig und regelmäßig organisierten Katholikentage, die in Abstimmung (nicht mehr und nicht weniger) mit der Bischofskonferenz und mit dem jeweiligen Ortsbischof veranstaltet werden, Katholikentage, die der ganzen Breite des katholischen Volkes Gottes Raum geben und aus der Mitte dieses Volkes Gottes heraus veranstaltet werden.

Zu sehr von den Rändern her

Das Fehlen eines solche Forums in Österreich hat zwei missliche Folgen: Zum einen diskutiert die katholische Kirche Österreichs zu sehr von ihren Rändern her. Der innerkirchliche Diskurs wird in Österreich vor allem aus der Konflikteskalation heraus geführt. Dass das möglich ist, ist gut, aber es reicht auf Dauer nicht. Denn zwischen den Eskalationsspitzen bricht das Gespräch zu schnell ab und in den Eskalationsspitzen wird es stark polarisiert geführt. Katholikentage aber, so sie gelingen, sind Institutionen der kontinuierlichen, unaufgeregten, aber ehrlichen und engagierten Dialogbereitschaft aller mit allen in der Kirche und aller in der Kirche mit allen gesellschaftlichen Gruppen.

Zum anderen verständigt sich die österreichische Kirche in ihrer Breite zu wenig über anstehende gesellschaftliche Fragen und Herausforderungen. Die kirchliche Hierarchie, allen voran natürlich der jeweilige Wiener Kardinal, die Bischofkonferenz, aber auch charismatische Persönlichkeiten wie Caritaspräsidenten und KA-Vorsitzende mögen die kirchlichen Optionen ins gesellschaftliche Gespräch einbringen. Das ersetzt aber nicht die breite innerkirchliche Verständigung über Herausforderungen des Glaubens durch die „Zeichen der Zeit“. Gerade weil die ÖVP keine katholische Partei (mehr) ist und umgekehrt auch innerhalb der Katholikinnen und Katholiken Österreichs zunehmend politische Pluralität herrscht, muss die Kirche selbst Räume schaffen, in denen sie politische Meinungsbildung treibt und sich über die politischen Konkretionen ihres Glaubens in pluraler Diskussion Klarheit verschafft.

Katholikentage sind von der Mitte her konzipiert, ohne die Ränder auszuschließen. Sie entwickeln nach innen Integrationskraft im Kontrast, nach außen politische Optionsfähigkeit in der demokratischen Gesellschaft. Österreichs Kirche braucht solch ein Forum kontrastiven und darin integrativen Diskurses jenseits der vor allem eskalationsgetriebenen Auseinandersetzungstradition der letzten Jahrzehnte.

Politik, Kirche, Spiritualität

Politik, Kirche, Spiritualität: Das hätten die Pole eines solchen Katholikentags zu sein. Man müsste ihn so konzipieren und organisieren, dass sich diese Pole gegenseitig bereichern, befruchten, voranbringen. Das tun sie nämlich im Christentum. Ein österreichischer Katholikentag hätte die brennenden gesellschaftlichen Fragen der Gegenwart (z.B. Zukunft der Marktwirtschaft, Migration und Globalisierung, Würde und Schutz des Lebens) konkret und auf Österreich bezogen zu diskutieren. Er könnte ansetzen, wo die Katholikentage 1974 und 1983 aufgehört haben. Er hätte nach der Zukunft des Volkes Gottes hier zu fragen, nach der Bedeutung des II. Vatikanums für diese Zukunft, nach dem Zueinander von Christgläubigen und Klerikern und überhaupt danach, wie eine „Kirche des Volkes“ nach allmählichem Auslaufen der „Volkskirche“ ausschauen könnte. Das weiß so genau nämlich niemand. Und ein solcher Katholikentag hätte nach den Quellen zu fragen, aus denen wir all diese Probleme bewältigen wollen.

Diskutieren, beten, streiten, singen, feiern …

Ein Katholikentag diskutiert, betet, streitet, singt, meditiert, feiert Liturgie und stellt sich in all dem der Gegenwart und ihrer Unübersichtlichkeit. Er lebt aus der Mitte der Kirche und, wenn er gelingt, aus der Mitte des Glaubens. Er integriert durch Pluralität und Dialog. Es hätte auf ihm nicht um „unmögliche Wirklichkeiten, sondern um wirkliche Möglichkeiten“ (M. Schüssler) zu gehen. Ich glaube, die Kirche in Österreich bräuchte ihn. Sie wäre dann auf die nächste Konflikteskalation besser vorbereitet – und übrigens auch auf die Herausforderung einer Gegenwart, von der wir erst zu ahnen beginnen, was sie eigentlich ausmacht.

* Der Autor ist Vorstand des Instituts für Pastoraltheologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz.

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