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Gibt es eine neue Modernismuskrise?

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Die Modernisten wurden vor hundert Jahren von der Amtskirche ausgegrenzt und verurteilt. Doch ihr Bemühen nach Reformen war nicht umsonst.

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Die Modernisten wurden vor hundert Jahren von der Amtskirche ausgegrenzt und verurteilt. Doch ihr Bemühen nach Reformen war nicht umsonst.

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Verweigerung der Lehrerlaubnis, Veröffentlichungsverbot, Maßnahmen gegen Priester und Laien, Mangel an Dialogbereitschaft ... - es ist ein merkwürdiges Rauschen aus einer vergangenen Zeit, das da und dort in der Kirche zu hören ist, auch wenn der neue Fundamentalismus derer, die das Zweite Vatikanum am liebsten ungeschehen machen möchten, sicher nur eine Seite der Kirche von heute darstellt. Gott sei Dank läßt sich, wie Karl Rahner überzeugt war, das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen. Es gibt noch immer, nicht nur in den Ortskirchen, sondern bis hinauf in die Kurie Christen - Laien, Theologen, Kirchenmänner —, die offen sind für den Anruf der Zeit, für ein Ag-giornamento, eine Verheutigung von Kirche. Sie wissen: Kirche ist immer Kirche auf dem Weg durch die Zeiten, ist Volk Gottes auf dem Weg zur Reife. Immer neu muß das Wort Gottes Fleisch werden in der Geschichte.

Das Wachsen zur Reife geht nicht ohne Krisen vor sich. Die Kirche hat sich nach der anthropologischen Wende schwer getan, Kirche für die Gegenwart zu sein. Manche Kirchenmänner waren überzeugt, nur ein Rückzug auf feste Normen und Dogmen könne die adäquate Antwort auf die Herausforderung durch die Moderne sein. Doch immer wieder hat Gottes Geist inmitten der Kirche Frauen und Männer erweckt, die dem Anruf der Zeit gerecht werden wollten, nicht in selbstherrlicher Besserwisserei, sondern in personaler Antwort auf den Anruf Gottes in der jeweiligen geschichtlichen Stunde, in Geduld und Gottvertrauen. Oft wurden sie an den Band gedrängt, verfolgt und verurteilt.

Auf die Dauer blieb ihr Bemühen nicht ohne Wirkung. Als hervorstechende Phase, ja als Aufgipfelung der neuzeitlichen Identitätskrise der katholischen Kirche, stellt sich der sogenannte Modernismus am Beginn des 20. lahrhunderts dar. Seine Vertreter in Frankreich, Italien, England, Deutschland und Österreich suchten nach neuen Antworten auf die Herausforderung der Zeit in der Begegnung mit der zeitgenössischen Philosophie und Geschichtswissenschaft sowie in der Forderung nach Reform der Kirchenstrukturen, der Priestererziehung, Pastoral und Liturgie, nach Mitarbeit der Laien. Nicht alle „Reformer" waren von gleich lauterer Gesinnung, nicht immer waren sie Männer, denen die Gabe der Unterscheidung der Geister geschenkt war. Im Kern jedoch war der Modernismus eine positiv zu wertende Wachstumskrise, eine zutiefst religiöse, ja mystische Rewegung, ein Streben nach Verlebendigung des Glaubens.

Die offizielle Kirche zu Jahrhundertbeginn hat die religiöse Unruhe der Modernisten nicht verstanden. Sie fühlte sich bedroht und suchte die Reformer auszugrenzen. In der Enzyklika „Pascendi dominici gregis" von 1907 wurden sie verurteilt. Im sogenannten Antimodernisteneid hatten kirchliche Amtsträger durch fünf Jahrzehnte jeder Neuerung abzuschwören.

Da berief der große charismatische Papst Johannes XXIII., der selbst im religiösen Aufbruch der Jahrhundertwende wurzelte, das Konzil, das wie ein neues Pfingsten durch die Kirche wehte. Konzilsväter und Konzilstheologen - Karl Rahner, Yves Congar, Bernhard Häring ... - entdeckten die Freiheit in Christus neu, prägten das Kirchenbild vom Volke Gottes auf dem Wege durch die Wüste und von der Communio aller Bischöfe, Priester und Gläubigen. Es war kein Zufall, daß im Gefolge des Konzils auch der unselige Antimodernisteneid fiel.

Auch wenn man sich hüten muß, vereinfachende Ursachenverbindungen herzustellen, so, läßt sich doch nicht leugnen, daß vieles, was die „Modernisten" oft unter großer Mühsal und Seelennot anstrebten, jetzt zum Ziele kam. Vor allem amerikanische Autoren, wie der Jesuit James G. Livingston, haben festgestellt: Das gegenwärtige Interesse für George Tyrrell, den Vater aller Modernisten, habe eine Hauptursache in der Ähnlichkeit seiner Gedanken mit der Theologie des Konzils. Tyrrell wie das Konzil wüßten darum, daß gegenüber der Größe der Offenbarung ein „ehrfürchtiges Nichtwissen" am Platze sei, beide wüßten um eine natürliche intuitive Erkenntnis Gottes, beide seien überzeugt, daß alle Religionen ein Suchen und Tasten nach der göttlichen Wahrheit darstellen.

Die ganze Konstitution „De Eccle-sia" erscheine als die Erfüllung der Ideen von Tyrrell: die Kirche - ( Volk Gottes, nicht eine juridische Im stitution und eine sorgfältig ausbalan eierte hierarchische Pyramide, son dem Bischöfe und Papst in Gemein schaft Diener der Diener Gottes, die Kirche selbst berufen zum Dienste ar der Welt, die Laien berufen zum Apo stolat. Man könnte im Aufzeigen der Ähnlichkeiten fortfahren. Es würde) sich zeigen, daß nicht nur die Gedanken Tyrrells, sondern auch die anderer Modernisten heute aktueller sine denn je.

Die Prinzipien des Konzils sine nicht unwirksam geblieben. Aber sie; haben nicht verhindert, daß die vor-konziliare Kirche und ihre restauratii ven Kräfte sich durchzusetzen suchenj Namhafte Theologen sprechen von einer erneuten Modernismuskrise. Da mag es gut sein, sich auf die frühere Krise wie auf ihre Überwindung zu besinnen. Alles ist zu tun, damit die Hoffnung des Konzils nicht untergeht.

Der Autor ist

Historiker und arbeitet im Archiv des Generalats der Redemptoristen in Rom

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