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Die Sache war neu

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Während des Zweiten Vatikanischen Konzils war Josef Kardinal Frings einer der profiliertesten Konzilsväter, der mutig und konsequent die fortschrittliche, auf die Zukunft ausgerichtete Meinung vertrat. Das kam unerwartet für das katholische Deutschland; es war überrascht, erfreut und dankbar. Daher werden die jetzt aufgezeichneten Erinnerungen des Kardinals bei den kirchlich engagierten Katholiken Deutschlands Interesse finden und Leser wahrscheinlich auch über die deutschen Grenzen hinaus.

Frings, der wegen eines Augenleidens seit etwa zehn Jahren nicht mehr lesen und schreiben kann, hat seine Erinnerungen erzählt und aufschreiben lassen. Sie wirken als gesprochenes Wort mit unmittelbarem, frischem Erzählstil, sind lebhaft und gewandt berichtet, von rheinischem Humor gewürzt, ins Detail gehend und von einem Gegenstand auf den andern überspringend.

Frings liebt kleine, unscheinbare Episoden und flicht sie mit leichter Hand ein. So schmückt er seine Erzählung aus und gibt ihr ein buntes Muster. Seite 88 und 175 stehen solche Episoden. Einmal öffnet er auf einer Fahrt nach Holland unterwegs unversehens die Tür, das andere Mal verliert er einen Stein aus seinem Ring. Über sich und sein Werk berichtet er schlicht, aber nicht mit übertriebener Bescheidenheit. Wo er mit sich zufrieden oder gar auf seinen Erfolg stolz ist, sagt er es, und das empfindet man als sympathisch.

Was erzählt Frings? Die Auswahl der Gegenstände und Ereignisse wirft Fragen auf und gibt dem Buch seine spezifische Note. Schon die Durchsicht des Personenregisters ist aufschlußreich. Frings zeichnet seinen Lebensweg von der Geburt in Neuß am 6. Februar 1887 an, erwähnt das tief fromme Elternhaus, die Stationen seines Theologiestudiums: Innsbruck, das seiner Lebensauffassung eine „kosmopolitische Richtung“ gab; Bonn, das ihn Vorsicht in der Beurteilung theologischer Systeme lehrte, Freiburg und Rom. Dann folgen die Orte seines priesterlichen Wirkens als Vikar, Pfarrer und Regens bis zur Ernennung zum Erzbischoi: am 1. Mai 1942.

Nur geringen Raum nehmen die Kriegsereignisse ein und die Nazizeit, ausführlicher spricht Frings von der Nachkriegszeit, in der erzürn Sprecher der Deutschen gegenüber der Besatzungsmacht wurde. Persönliche wichtige und für die Erzdiözese Köln bedeutende Ereignisse werden spritzig und anschaulich erzählt, etwa die Kardinalserhebung, das Kölner Domfest 1948, die Diözesansynode 1954 und der Kölner Katholikentag 1956, was für Köln packend zu lesen ist. Zur Person spricht Frings von seiner Liebe zur Musik, über Shakespeare und seine verschiedenen dienstlichen und privaten Reisen. Die politische Atmosphäre unter Adenauer wird heraufbeschworen und positiv erlebt, von der Konfessionsschule ist die Rede und von des Kardinals demokratischer und sozialer Einstellung. Diese ließ ihn für die Menschen in der „Dritten Welt“ eintreten und die bischöfüchen Werke „Misereor“ und „Adveniat“ ins

Leben rufen, führte auch zum „sozialen Kreis“, der sich wissenschaftlich mit sozialen Fragen beschäftigt ..

Den Werdegang seiner sozialen Einstellung legt Frings ausführlich dar.' Man versteht, warum er sich in sozialen Fragen engagierte. Wenn man seine Erinnerungen liest, ist man jedoch von neuem wie in den Konzilsjahren davon, daß Frings auf dem Konzil die neubelebte, pastoral ausgerichtete Theologie vertrat, überrascht. Sein Standort kann doch nicht allein auf seine Berater, wie etwa Ratzinger, zurückgehen. Es zeigt sich in dem Buch kein früherer Ansatz, auch keine gründliche Überlegung nach dem Krieg angesichts der heraufkommenden Zeit und kaum eine Auseinandersetzung mit den geistigen Inhalten und Bewußtseinsströmungen der Gegenwart. Man brennt darauf, von einem exponierten Mann wie Frings zu hören, wie er sich den Ideen der Moderne stellt. Es wäre daraus ein großes Buch geworden. Frings sagt von der Nachkriegszeit: „Es war nichts von was den Glauben selber angeht“ (S. 99). Wie die sozialen Impulse und die Anregungen für modernen Kirchenbau von Köln ausgingen, so hätte auch eine geistige Strahlkraft von Köln her wirken können. Davon ist aber im Buch nicht die Rede. Selbst von der Fuldaer Bischofskonferenz werden fast nur Werke wie das Katholische Büro, das Zentralkomitee der Katholiken, Misereor und Adveniat erwähnt, aber keine Stellungnahme zu Problemen, wie sie die Naturwissenschaften oder moderne Auffassungen vom Menschen, etwa die Futurologie, aufwerfen. Einmal bekennt Frings offen: „Ich muß gestehen, daß mir selbst die Sache auch neu war...“ im Zusammenhang mit dem Schema „Religionsfreiheit“ (S. 285).

Von der vermißten geistigen Auseinandersetzung abgesehen, sind die „Erinnerungen“ des Kardinals ein interessantes und liebenswertes Buch, ein beachtliches Dokument der vierziger, fünfziger und teilweise der sechziger Jahre, das geistigen Charme und Esprit zeigt, vor allem in den Berichten über die Sessionen des Konzils.

„FÜR DIE MENSCHEN BESTELLT! ERINNERUNGEN DES ALTERZBISCHOFS VON KÖLN“. Von Josef Kardinal Frings. Bachem Verlag, Köln, 317 S., 25 DM.

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