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Von der Kirche geprägt

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In diesen Tagen blicke ich auf 60 Lebensjahre zurück. Mit fünf Jahren begann ich zu ministrieren, seit damals erlebe ich bewußt Kirche.

In meiner Taufpfarre St. Ulrich in Wien VII lernte ich Liturgie kennen und lieben. Priester aus dem Missionshaus St. Gabriel begeisterten mich und wiesen mir den Weg. Die Pfarre war meine zweite Heimat. In einer lebendigen Jugendgruppe teilte ich diese Erfahrung mit vielen. 1954 wurde ich zum Priester geweiht. Die Kirche war in ihrer Aufbauarbeit nach dem Krieg am Höhepunkt. Die Gruppen der Katholischen Aktion waren ständig im Wachsen, die Gottesdienste voll. Man war stolz, zu dieser Kirche gehören zu können.

1960 kam ich zum Weiterstudium nach Rom. Ganz unerwartet wurde ich Zeuge der Vorbereitung auf das Konzil, als Stenograph war ich bei der ersten Session sogar dabei. Ich erlebte einen Papst der zuversichtlich Fenster in der Kirche öffnete. Auseinandersetzungen zwischen der römischen Kurie und mutigen Bischöfen aus aller Welt bewegten mich. Das Konzil ging andere Wege, als viele zuerst vermuteten. Konzilsväter begannen umzudenken. Der Heilige Geist brachte sichtlich viel in Bewegung.

Nach Wien zurückgekehrt wurde ich Pfarrer. Es galt, das Neue vom Konzil ins Alltagsleben der Basis umzusetzen. Die Wiener Diözesansynode gab Wegweisungen dazu. Anfangs tat ich mich nicht leicht. Manches ging mir zu schnell, nicht alles war solide argumentiert. Heute bin ich denen dankbar, die mich damals zum Weiterdenken herausforderten. Mir wurde immer klarer, daß die Kirche in einer sich so stark ändernden Gesellschaft eine unersetzliche Aufgabe hat.

Sie kann sie aber nur leisten, wenn sie den am Konzil eingeschlagenen Weg konsequent weitergeht. Kirche sah sich selbst neu, als Gemeinschaft, die mit der Menschheit und ihrer Geschichte engstens verbunden ist. Sie wollte alles, was nach Herrschaft aussieht, ablegen. Sie war bereit zu einem vorbehaltlosen Dialog mit der Welt. Es galt, die „Zeichen der Zeit" zu verstehen und zu deuten. Ich meine, daß viele ihres Christseins neu froh wurden und viele in eine so erneuerte Kirche ihre große Hoffnung setzten.

Heute scheinen Verantwortliche in der Kirche Angst vor einer so offenen Kirche bekommen zu haben. Sie beteuern, auf dem Boden des Konzils zu stehen und bedauern doch, was dieses ausgelöst hat. Was heute da und dort geschieht, ist sicher nicht im Sinne des Konzils. Ich fühle mich verpflichtet, solches immer wieder aufzuzeigen und Entstehung und Aussageabsicht der Konzilstexte möglichst vielen zu vermitteln.

Ob ich die Kirche heute liebe wie vor 55 Jahren? Gewiß. Nur frage ich mich mehr als damals, was Kirche ihrem Geheimnis nach eigentlich ist.

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