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Der siebente Tag

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Die beiden wichtigsten bisher vorliegenden Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils sind die „Konstitution über die heilige Liturgie“ und die „Dogmatische Konstitution über die Kirche“. Leider ist eine offizielle deutsche Ausgabe der letzteren bisher noch nicht erschienen, so daß sich viele noch kein eigenes Bild über den theologischen Fortschritt im Denken über die Kirche machen konnten. Beide Dokumente ergänzen einander in vielen Punkten und kommen in der Feststellung überein, daß die Kirche nichts Fertiges, keine vollendete Gemeinschaft ist (was nichts gegen die bisherige „societas perfecta“ aussagt), sondern die von den uner-forschlichen Gesetzen der Geschichte geprägte und umgetriebene Menschheit repräsentiert, ein Volk auf der Wanderung durch die Wüste, das mit dem Namen „Volk Gottes“ einigermaßen adäquat erfaßt werden kann. Von der Geschichte, in deren Strömungen sie wandert, weiß die Kirche allerdings, daß Gott ihr Herr ist. So heißt es in der Konstitution über die Kirche: Sie ist „das neue Israel, das auf der Suche nach der kommenden und bleibenden Stadt in der gegenwärtigen Weltzeit einherzieht“ (Kapitel 2: Das Volk Gottes) und in der Liturgiekonstitution: „In der irdischen Liturgie nehmen wir vorauskostend an jener himmlischen Liturgie teil, die in der Heiligen Stadt Jerusalem gefeiert wird, zu der wir pilgernd unterwegs sind“ (Nr. 8).

Dieser Geschichtsrealismus bedeutet nichts weniger, als daß der vorläufige Charakter der Kirche wieder mehr in die Mitte des christlichen Bewußtseins rückt: die adventliche, von der Ankunft des Herrn zu Seiner Wiederkunft hin lebende Kirche. Was sie tut und feiert, hat somit vorausnehmende, proleptische Bedeutung oder — was geläufiger ist — prophetischen Charakter. Ihre Zukünftigkeit ist zwar nicht der einzige Aspekt, denn neben ihm gibt es auch die „Vergangenheit“, das historische Ein-für-allemal, das freilich nie zu einer vergangenen Historie werden kann. Hier aber zeigt sich das Merkwürdige: In der Beurteilung des offiziellen Tuns der Kirche in der Liturgie überwiegt die retrospektive, der Vergangenheit zugewandte Betrachtung. So ist die Messe „Erneuerung des Kreuzesopfers“ (was als ein Aspekt am Ganzen sicher richtig ist), der Vollzug der übrigen Sakramente Erfüllung des einstmals gegebenen Auftrages Christi, also auch Einholung des Früheren; Verkündigung ist oftmals nur Bericht, wenn nicht nur Erzählung des Vergangenen mit einigen moralischen Nutzanwendungen. Mit einer so verkürzten Schau bringt man sich aber fast unweigerlich um die volle Wirklichkeit, die aus dem Zusammenwirken aller drei Dimensionen des Heiles zustande kommt: aus der Vergangenheit, als dem durch Christi Blut besiegelten Faktum, aus der Gegenwart, als dem je neu angebotenen Wort der Rettung, und aus der Zukunft, als der noch ausstehenden Erfüllung.

Ein Kriterium dafür, ob wir aus dem vollen Verständnis der Heilszeit leben oder nicht, ist unser Verhältnis zum Sonntag. Wir meinen hier nicht die Frage, die mehr die Kalendermacher angeht, ob nämlich der trennende Wochenstrich vor oder nach ihm gesetzt werden soll, ob man also vom Wochenende oder von einem neuen Anfang sprechen soll. Der Begriff „Wochenende“ hat sich mit der Hochflut von Parolen und Slogans eingebürgert, und an einer Fehlbezeichnung mehr oder weniger sollen wir uns nicht mehr stoßen. Was steht aber jenseits dieses fragwürdigen Vokabels? Ist der christliche Sonntag als „Tag des Herrn“ nur Memoria, Denkmal des historischen Ereignisses der Auferstehung, oder ein Zeichen für das fortdauernde Ostern, das sich erst in der Zukunft bei der universalen Auferstehung des Fleisches vollenden wird? Ist er ein Wegweiser mit zwei Armen oder zeigt er nur die Richtung, aus der wir kommen — und hat somit wenig Wert für das Leben heute und morgen? Kurz gefragt: Was meinen wir mit dem „Tag des Herrn“? Diese Frage steht vor der anderen, nicht minder wichtigen, um die es uns hier eigentlich geht: Womit begründen wir sowohl die Art und Weise als auch die Zeit der Sonntagsheiligung? Es soll sich zeigen, daß dafür nicht nur der Gedächtnisgehalt, sondern auch sein zukunftsweisender Charakter Gewicht hat. Doch läßt sich das nur mehr im Zusammenhang mit der konkreten heutigen Gestalt des Wochenendsonntages feststellen.

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