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Römische Wintertage

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Hoch und hell, wie zarte, blaugrüne Lasur, wölbt sich auch in diesen Tagen der Himmel über der Ewigen Stadt. Fern, wie eine stille Sage, sind die schneevergrabenen Landschaften der nördlichen Gebirge, der grauverhangene, flockenkündende Himmel über den weihnachtsseligen Städten. An der Porta Pinciana blühen, goldschimmernd und zart, die Mimosen, die Blumenhändler an der Spanischen Treppe warten mit all der Buntheit ihrer frühlingsfrischen Ware auf. So spannt der Weihnachtstag seinen leuchtenden Bogen über das edle Altgelb und das matte Terrakott der römischen Innenstadt. Heller Lichtschein fällt, da der Abend dämmert, aus all den Kirchenpforten. Umrahmt vom üppigen Grün dichter Blattpflanzen stehen die Krippen in Grotten und Nischen bereit, doch keine so : prächtig und so besucht, wie die in der kleinen Kapelle der Kirche Santa Maria in i Aracoeli. Hier wird der „bambino san- l tissimo“ verehrt, eine Staue des Jesus-

Kindes, aus Olivenholz vom Berge Geth-

semane geschnitzt und, nach hiesiger Sitte,

in prunkvolles Gewand gekleidet, das un

glitzernden und funkelnden Pracht der zahllosen Votivgeschenke verschwindet, die i dem wundertätigen Jesuskind darge

, das bis in die jüngste Zeit in eige- i ner, vergoldeter Karosse ausfuhr, um

Kranke zu besuchen und Leidenden beizu- , stehen. Nun wird der Santo Bambino von Aracoeli bis zum Tage Epiphanias in seiner großartigen Wiege ruhen, und wie in jedem Jahr in diesen Tagen werden die kleinen Römer kommen, um vor dem Schnitz- Werk des Franziskanerpaters von Jerusalem zu beten und von der kleinen Kanzel aus, die eigens diesem Zwecke dient, Ansprachen an das Jesuskind zu halten. In köstlichen

Versen und originellen, von kindlicher Einfalt ebenso wie von romanischer Beredsamkeit zeugenden Reden ehren die kleinen Römer hier ihr Christkind.

Es kommt nicht, wie jenseits der Alpen, mit zuckerbehangenem Weihnachtsbaum, schimmerndem Engelshaar, mit strahlenden Lichtern, es baut keine bunten Geschenke auf dem Tisch der Wohnstube auf, ihm klingt hier kein „Stille Nacht“ im Familienkreise auf — es ruht in Brokat und Goldstickerei, und die Jugend dieser Stadt, die den Zauber winterlich-verträumter Weihnachtsabende nicht kennt, in der aber jeder Tag des Jahres ein einziges Fest ist, huldigt ihm in wohlgesetzten Reden. Die Geschenke bringt, den Kindern der urbs aeterna erst der römische Bescherengel, die „Fee Befana“, ins Haus. Sie stopft am Abend des 5, Jänner ihre Gaben in die längst vorbereiteten Strümpfe, während der Lärm ungezählter Kindertrompeten und anderer Geräuschinstrumente die Piazza Navona erfüllt, deren rundum geschlossene Schallmauer diesem „Konzert“ eine einzigartige Resonanz verleiht. Hier, zwischen der Front der alten Palazzi und den einzigartigen Brunnen, ist ein bunter Budenzauber, eine Art „Christkindlmarkt“, entstanden, und wenn der Vorabend des Dreikönigstages hier lärmend und in ausgelassener Fröhlichkeit jung und alt als Auftakt zu Epiphania gefeiert wird, so knüpft das an die Agonalien, an die Kampfspiele an, die stets um den 9. Jänner herum im alten Rom gefeiert wurden! Im Namen dieses prächtigen Platzes — navona leitet sich von „in agone“ ab — klingt die frühere Bestimmung noch nach: Circus Agonalis hieß die für Kaiser Domitian errichtete Kampfbahn, deren Umrißlinien von den Profanbauten der Piazza Navona genau nachgeahmt werden. Bernini, der unter Papst Innozenz X. berühmt gewordene Bildhauer, schuf den die Mitte de Platzes ausfüllenden Brunnen. Die vier damals bekannten Erdteile sind durch ihr mächtigsten Ströme symbolisiert: Donau, Nil, Gange und Rio de la Plata. Hoch über den Figuren ragt der antike Obelisk auf, den ebenfalls Innozenz X. hier aufstellen ließ. Noda ein anderesmal, an den Wochenendtagen des August, spielte die Piazza navona früher eine große Rolle. Bis ins 19. Jahrhundert herein pflegte man da den Platz durch Verstopfen der Abflußkanäle unter Wasser zu setzen, dann fuhren die Wagen und Kaleschen des römischen Adels auf und ab, während die Jugend mit großem Hallo durch das Wasser watete.

Nun, da die Steineichen der Villa Borghese ihr immergrünes Laubdach dicht und frisch wie eh und je über den Alleen schließen, an den Kameliensträuchern in den Villengärten des Gianiculo die Knospen schwellen und nur ab und zu die Tramontana einen kühlen Aufruf des Winter aus den verschneiten Abruzzen herüberträgt, erfüllt sich auch für die sehnsüchtig harrenden Kinderseelen der Festkreis der Weihnachtszeit. Die alte Frau, die so sehr in da Reinigen ihres Hauses versunken war, daß sie sich keine Zeit nahm, den Einzug der Heiligen Drei Könige zu sehen, ist zur „Fee Befana“ geworden, deren Name schon andeutet, daß er sich aus Epiphania entwickelt hat. Der „He.lige Abend“ selbst, in Santa Maria Maggiore, dem „römischen Bethlehem“, mit Vigil und feierlicher Mitternachtsmette gefeiert, vereint die Familien, ähnlich wie auch in Frankreich, zu einem frohen Festschmaus. Der Kinderjubel über die Befanabescherung erklingt erst 14 Tage später.

Will man die heimatlich-traute Weihnachtsstimmung nicht entbehren, dann kehrt man am besten schon am frühen Nachmittag in Maria Maggiore ein, wenn die Sonne noch durch Bogenfenster der Apsis dieses großartigen Gotteshauses fällt und dann das schimmernde Gold um den Krippenaltar in milder Wärme aufleuchtet, als ob das Licht der Christbaumkerzen auf die kleine Kinderkrippe fiele, die uns aus fernen Jugendtagen in Erinnerung blieb. Hier ruht im kunstvoll gearbeiteten Schrein des Hochaltars, den Benedikt XIV. mit einem von kostbaren Porphyrsäulen getragenen Baldachin überwölbte, die Reliquie von der heiligen Krippe aus dem Stall zu Bethlehem. Wenn in der Weihnachtszeit dann in aller Welt die Glocken zur Mitternachtsmette rufen, ist jeder, der einmal hier in der ehrwürdigsten aller Marienkirchen weilen durfte, im Geiste wieder in der kleinen Grotte der Unterkirche von Santa Maria Maggiore, hinter dem prunkvollen Hochaltar, wo die Krippenhöhle nachgebildet ist.

Mit feierlichem Gepränge wird im Dom zu

St. Peter am Weihnachtsmorgen der eigentliche Weihnachtsgottesdienst gefeiert, klingt das Leitmotiv der „dritten Messe“ der heiligen Nacht, das „Puer natus est“ in hellem Jubel auf, und wenn man dann aus dem Glanz der unzähligen Lichter des Riesendomes in das helle Sonnenlicht des weiten Platzes hinaustritt, den die Kolonnaden souverän flankieren, wenn man, schier ungläubig ob solchen Wunders, den Bilde zum seidenblauen Himmel hebt, der sich auch heute in heiterer Milde über der feiertäglich-stillen Stadt wölbt, wenn man, vom Pincio etwa, über das Dächergewirr nochmals zur ragenden Kuppel blickt, dann zieht jene selige Ruhe ins Herz ein, die in der Heimat aus dem Rauch der sdimelzenden Kerzen und des trocknenden Reisigs käme. Jene Ruhe, der das ganze Jahr hindurch unsere Sehnsucht gilt und die uns nur dort zuteil wird, wo das Gef

Heimat aufkommt. Ein Weihnachtstag in der Fremde, wenn rundum die familiäre Abgeschlossenheit der Festesfreude spürbar ist und kein Reiz der ungewohnten Umgebung das Fehlen der altgewohnten Vertrautheit aufwiegen kann, ist meist recht bittet und, selbst wenn Freunde uns in ihren Kreis aufnehmen, von der Trauer der Einsamkeit überschattet. Doch wer ihn je auf den sieben Hügeln über dem Tiber erleben durfte, mit all dem Trost dieser so völlig offenen, gütigen und sich niemals versagenden Landschaft, mit den schon grünen Feldern der frühlingsnahen Wintersaat, dem heiteren Graubraun der ölbäume über der sich in den Horizont verlierenden Campagna, den ficht kein Heimweh an. Wohl aber spürt er es, wenn er einst später, fern von Latium, des weihnachtlichen Tages gedenkt, da die Glocken von Rom ihn zur Andacht riefen ...

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