Die Heilige Woche der Maya

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Wasser, Feuer und Weihrauch, Honig und Blumen und ein unerschütterlicher Glaube: Das ist der Stoff, mit dem Katholiken der guatemaltekischen Provinz Alta Verapaz für eine Woche in das Leiden und Sterben Christi eintauchen. Die Reportage entstand im Vorjahr bei einem Besuch des Autors bei seinen Mitbrüdern der Missionare vom Kostbaren Blut.

Die Sonne ist im Westen hinter den Kordilleren verschwunden, die Nacht kriecht in das Tal des Rio Polocchic. Auf einem Hügel am Rande des Städtchens La Tinta schlagen aus einem Feuer funkensprühende Flammen und werfen zuckende Menschenschatten auf die nackte Betonwand der Kalvarienkapelle. Die Osternacht beginnt, das Finale der Semana Santa. Vor drei Jahren ist diese Heilige Woche von Guatemala in die Unesco-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen worden. Denn untrennbar sind in diesen Tagen die alten Bräuche und Riten der Mayareligion mit der katholischen Liturgie verschmolzen.

In einem weiten Kreis um das Feuer stehen Menschen, 200 vielleicht: Männer mit mächtigen Kerzen. Frauen und Mädchen haben ihr Festgewand angelegt, die Morga, einen weiten Rock, und eine kunstvoll brokatierte Bluse, die sie Huipil nennen. Sie warten auf den Padre, der den steilen und ausgewaschenen Weg zur Kapelle hochkommt. Darío Caal heißt er. Dem kleinen Mann mit indianisch geschnittenem Gesicht, kupferfarbener Haut und pechschwarzen Haaren sind die Strapazen dieser Woche anzusehen. Während er die Stola über die Schultern legt, begrüßt er die Anwesenden in Q’eqchi’, der Sprache der Menschen von La Tinta. Dann segnet er das Feuer. Die Osterkerze wird entzündet. Männer schaufeln die Glut des Osterfeuers in einen gusseisernen Topf. Andere heben diesen Feuertopf mit langen Stangen auf, und die Prozession setzt sich in Bewegung.

Versammelt um das (Maya-)Kreuz

Es geht hinab in das Städtchen zur Wallfahrtskirche der heiligen Katharina. Der Zug wirkt bedächtig, still. Einige Frauen beginnen leise zu singen, andere stimmen ein. Am Rand des Städtchens ignorieren sie, so gut es geht, den ohrenbetäubenden Lärm von rhythmischen Liedern, der ihnen elektronisch verstärkt aus offenen Hallen entgegendröhnt. Die Katholiken nehmen diese Störversuche ihrer Feier durch radikale evangelikale Gruppen gelassen. Anders als in der Hauptstadt, wo die Zahl der Katholiken bei geschätzten 40 Prozent liegt, ist die große Mehrheit der indianischen Bevölkerung von Alta Verapaz katholisch.

Während die Massen in die Kirche drängen, bemühen sich Männer am Kirchplatz, die mitgebrachte Glut des Osterfeuers in die Nischen am pyramidenförmigen Fuß eines gewaltigen Steinkreuzes zu schieben. Dieses verschnörkelte Mayakreuz verbindet den christlichen Erlösungsglauben mit der kosmischen Theologie der Mayareligion. Es symbolisiert den Weltenbaum, den Kapok, der um Wasser bittend die Arme ausstreckt, und den Mais, den Stoff, aus dem die Menschen geformt sind, von dem sie leben. Es erinnert an Tzuul Taq’a, eine geistbelebte Welt, in der ewiges Leben herrscht. Christen nennen sie Himmel und den verbindet das Mayakreuz mit dieser Erde. Es wacht wie der Erzengel Michael vor der Kirche, um Unheil abzuwenden. Im Kirchenraum wird die Luft zum Schneiden dick vom penetranten Geruch Hunderter Paraffinkerzen, vom Schweiß der Gläubigen und vom Weihrauch, dem sichtbaren Zeichen ihrer Gebete. Alte Frauen mit tönernen Weihrauchgefäßen umschreiten den Altar, inszenieren den Priester, das heilige Buch, die Wanne mit Taufwasser, die Gläubigen. Mit Holzkohle beheizt schmilzt in diesen Incencarios das Harz des guatemaltekischen Weihrauchbaumes, vermischt mit Gewürzen, Kräutern und Honig.

Eine junge Frau singt das Osterlob in Q’eqchi’. Sie wird begleitet vom sanften Spiel der Marimba. Dann drängen alle zum Taufbecken. Sie wollen ihre Osterkerzen darin segnen. Denn die werden weiterbrennen in ihren Häusern, von denen viele Tagesmärsche weit entfernt in den umliegenden Hügeln liegen. Die Kerzen werden brennen, wenn in den armseligen Hütten der Kaffeebauern geboren und gestorben wird, und sonntags werden sie brennen, um ihrem tristen Alltag einen Rhythmus zu geben. In dieser Nacht werden 30 Erwachsene getauft. Morgen im Hochamt werden es 80 Kinder sein.

Höhepunkt der Feierlichkeiten: Karfreitag

Mit der Nacht zum Karfreitag strebt die Semana Santa ihrem Höhepunkt entgegen. Es ist eng in La Tinta, denn unzählige Campesinos aus den kleinen, zur Pfarre gehörenden Gemeinden sind gekommen. Nach der Eucharistiefeier spielen Jugendliche vor Hunderten von dicht gedrängten Zuschauern die Abendmahl-Szene, Jesu Gebet in Getsemani, die Gefangennahme und das Verhör des Hohenpriesters. Dann wird es ruhig in dem Städtchen. Und während die Alten sich noch einige Stunden Schlaf gönnen, verwandeln Jugendliche die drei Kilometer lange Straße zwischen Kirche und Kalvarienkapelle in einen bunten Teppich. Mit gefärbtem Sägemehl und Schablonen legen sie Ornamente und Symbole für den großen Kreuzweg. Morgens ist die Straße von einer Militäreinheit bewacht. Es handle sich um eine "vertrauensbildende Maßnahme“, erklärt Padre Darío nicht ohne Ironie, denn der Terror und die Massaker, die das Militär in dem dreieinhalb Jahrzehnte dauernden Bürgerkrieg über die indianische Bevölkerung gebracht hat, sind nicht vergessen.

Punkt neun setzt sich die Karfreitagsprozession in Bewegung und sprengt alles vorher Dagewesene: Ein Meer von Blumengestecken umrahmt eine überlebensgroße Figur des Nazareners. Sie muss von 24 Männern getragen werden. Gemessenen Schrittes zieht die Prozession der Kalvarienkapelle entgegen. Und noch während sie dort ankommt, beginnt an der Pfarrkirche ein Schauspiel, das Mel Gibsons Christusfilm zum Kindergartenevent herabstuft. Die Jugendlichen setzen ihr Passionsspiel fort: Nun von Pilatus verurteilt treibt eine Horde berittener Legionäre und grobschlächtiger Knechte Christus mit Fußtritten und Peitschenhieben zum Kalvarienberg. Staub, Schweiß und Geschrei, Hitze und Hass hüllen ihn ein. Mit Gewalt drängen die römischen Legionäre Zuschauer an den Straßenrand zurück. Und die werden, von diesem dramatischen Realismus gepackt, zu Mitspielern, zu Schaulustigen der Kreuzigung eines Gerechten vor 2000 Jahren. Auf dem Hügel von Kalvaria sind die Kreuze aufgerichtet. Und mit dem Todesschrei des Jesusdarstellers wird es still in La Tinta.

Hoffen auf den Ostermorgen

Wenige nur sind in der düsteren Kalvarienkapelle geblieben, um mit dem Priester die Karfreitagsliturgie zu feiern. Ein schlichtes Holzkreuz liegt auf dem nackten Betonboden. Mit Küssen und Tränen bringen alte Frauen dem Gekreuzigten ihre Zuneigung. Allzu gut verstehen sie seinen Schmerz. Sie kennen ihn aus eigener, bitterer Erfahrung. Der Gekreuzigte war ihnen Trost, als die Todesschwadronen kamen. An ihm halten sie sich fest, wenn Dürre oder Wolkenbrüche die spärliche Ernte vernichten und wieder Hunger droht. Sie verstehen den Gekreuzigten. Und der Gekreuzigte, das wissen sie, der Gekreuzigte versteht sie. Auch Padre Darío versteht die Sorgen dieser Menschen. Er ist einer aus ihrem Volk. Und für dieses Volk hofft er auf den Ostermorgen.

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