6580227-1951_13_08.jpg
Digital In Arbeit

Die Ankunft des guten SdiäcJiers im Himmel

Werbung
Werbung
Werbung

Nach diesem Augenblick der feierlichen Entscheidung, den so manches Herz seitdem durchgemacht hat, öffnete sich etwas und gab nach. Unter dem unmerklichen Schlag des Meißels wurde eine Seele von oben bis unten aufgerissen. Und wir hören plötzlich, man hört plötzlich den guten Schacher erbarmungswürdig rufen: „Herr, gedenke meiner, wenn du In deiner Königsherrlichkeit erscheinst!“ (Lk. 12, 42.) Wogegen jener, der den Galgen zur Linken einnimmt, mannhaft in der energischen Haltung verharrt, die ihm so viel Sympathie bei „Freigeistern* einträgt. Das ändert nichts! Denn auf seiner Seite fühlt dieser Gefolgsmann der tiefsten Erniedrigung und des Todeskampfes, dieser dreiste Nutznießer, der zur Rechten Aufgehängte, sich wie ein weit aufgähnendes Gefäß, das plötzlich überbordet, erfüllt von jener wunderbaren Verheißung: Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein.

Heute noch! Mit einem Schlag ist er nicht nur losgesprochen, sondern auch geheiligt! Die Gnade hat sich in einem einzigen Augenblick überN diesem widerlichen Gerippe das Nachlassen der Kräfte zunutze gemacht, über dieser Schandgabel haucht nicht mehr ein Bösewicht sein Leben aus, hier ist ein Märtyrer, der als Hostie dient und sich entzündet. Der Mörder, der Unkeusche und Dieb, der Galeerensträfling, der Berufsverbrecher ist zum Heiligen geworden. Die Bereitschaft zur Annahme war eine genügende Grundlage hiefür. Es genügte dazu jene unmerkliche Verrückung, der feine Riß in dem hermetischen Behältnis unseres Egoismus. Es genügt ein Blick unter den blutenden Lidern hervor, um bei dem Geladenen zur Rechten jene Bußumwälzung auszulösen, jene Wiederauferstehung, die sich mit dem Todeskampf überkreuzt, jenen nicht mehr aufzuhaltenden Ausbruch der Ewigkeit.

Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein. Es ist geschehen. So hat sich die Weissagung, wonach die Zöllner uns im Königreich des Himmels vorangehen werden, buchstäblich erfüllt. In dieser weiträumigen Lokalität ist für den Augenblick niemand da als er, er ist dort ganz allein. Vorerst ist nur er dort angekommen. In Gegenwart der Heiligen Dreifaltigkeit und der unzähligen Engel, die sich einer nach dem andern an ihren Augen entzünden wie die Sterne an einem Juniabend, ist er da, bestürzt, versunken, unbemerkt. Der Thron der Immakulata steht noch leer. Weder Petrus noch Johannes noch Paulus noch Gregor noch Benedikt noch Franziskus noch Dominikus noch Thomas noch Ignatius noch Therese sind zugelassen. Die Legionen des Alten Bundes erwache., eben erst im Sheol, und Johannes der Täufer erteilt den heiligen unschuldigen Kindern ihre Katechismusstunde. Jesus selbst, sein Jesus, ist in fleischlicher Gestalt nicht hier. Er ist in der Hölle beschäftigt, einem zu bekannten Ort, mit dem unser Gesmas nichts mehr ins reine zu bringen hat. Man könnte sich denken, daß sich in ihm Gefühle von jemandem regen, der zu früh eingetroffen ist. Man stelle sich den Sohn eines kleinen Beamten vor, der von einem seiner Kameraden in ein prächtiges Schloß eingeladen wurde. Er steht da, völlig erschlagen, mitten zwischen gewaltigen Möbeln, dem unbegreiflichen Luxus, den gewachsten Parkettböden, die sich um ihn herum erstrecken wie ein grenzenloses Meer. Und dort hinten in der Ferne die seltsamen bunten Lichter, die Palmen, die er bis dahin nur vom Tag der Preisverteilung her kannte. Warum ist sein Kamerad noch nicht da? Was macht er nur? Und wenn das Geräusch eines Schrittes sich aus dem Hintergrund dieser erschreckenden Flucht von Salons vernehmen läßt, worauf muß man da nur gefaßt sein, besonders in diesem unzulänglichen Anzug, und ganz verzehrt von dem Gefühl der eigenen Armut und Bedeutungslosigkeit? Mögen die Engel nur aufmerksam darauf achten, wer soeben eingetreten ist. Dank dieses gewaltigen Erlösungswerkes, das die Schöpfung seit Äonen bis in ihr Innerstes durchwühlt und dessen Verkündigung den Sturz Lu-zifers verursachte, ist er da, er, Gesmas, noch ganz nach Alkohol riechend und seinen persönlichen Ausdünstungen, er ist die erste Frucht. Hiezu also hat das Blut eines Gottes gedient. Er ist wie jemand, der ganz verlassen in der Kathedrale kniet, die Priesterschaft und die Gläubigen sind dort hinten gerade dabei, sidi zur Prozession zu ordnen, und man hört ihre Gesänge, die uns bruchstückhaft erreichen. Die Kerzen sind angezündet, der Altar ist mit Pflanzen und prächtigen Blumen geschmückt, die Stufen zum Allerheiligsten sind mit unvergleichlichen Teppichen bedeckt, ein Baldachin aus Seide und Gold erhebt sich anmutig über dem Kardinalsessel, alles ist bereit, man hat. die Gänge und Seitenschiffe bestreut und mit frischem Wasser in Achterfignren besprengt. Aber um mich herum ist alles leer: diese Reihen, diese unzählbare Bevölkerung von Stühlen und Betschemeln, die bis ins Endlose geht. Und plötzlich trifft es mich mitten ins Herz, mein Gott, über mir im Glockenturm ertönt mit ungeheurem, gewaltigem Dröhnen die große Glocke!

Aus: „Ausgewählte Prosa“, Verlag Benziger, Einsiedeln

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung