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Die Stadt am roten Fluß

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Vom Zitadellenhügel aus sieht man anfangs nur einen lichten Pappelwald, in welchem blauschimmernde dünne Minarette sich fast verlieren. Dazwischen blinken glattpoliert vielgestaltig die perlmutterfarbigen Häuser auf, glasblaue Kuppeln der Mausoleen und Moscheen, während tulpengleich gewölbt türkisblaue Zwiebeln der großen Bäder erstaunt in den wunderbar klaren Hochgebirgshimmel Armeniens schauen. Weit ausholend umfängt der Kizil Yrmak, der „rote Fluß“, die gute Stadt, deren Straßenwirr^al von klarblauen Berggewässern eilig durchzogen sind: Sivas. Störche, Reiher, Pelikane bespiegeln sich stundenlang in den Fluten des Kizils, ab und zu einen zappelnden Fisch erhaschend. DocA majestätisch, goldblitzend zieht der rote Fluß dah in, eine flammende Riesenschlange — bis ans Ende der Welt, wie die Märchenerzähler sagen. „Eisgraue“ Berge werfen ihm metallische Schatten nach, daß man meint, düstere Gewitterwolken hätten sich herabgesenkt.

Am andern Ufer duckt sich ein baumloser hellgrüner Hügel, rundlich wie ein aufgespannter Seidenschirm. „Zelt des Tamerlan“ genannt. Zur Zeit der großen Mongoleninvasion sollen Timur Lenks schwarze Fellzelte dort gestanden haben. Er selber sah zufrieden zu, wie seine Horden die Stadt erstürmten, ausplünderten und in Brand steckten.

Hettitisdie, phrygische, griechische, römische, armenische, byzantinische, sel-dschükisch-persische Ruinen bezeugen das Kommen und Vergehen der Völker. Jeder Eroberer versuchte, alles Frühere zu vernichten und dann auf seine Weise die Stadt neu aufzubauen. Ruinen, noch immer bewundernswert, regen noch heute zu neuem Schaffen an.

Seit die Priesrerseminare durch Atatürk aufgehoben wurden, dient die einer spanisch-plateresken Abtei gleichende Gök Me-drest — Himmelsschule — musealen Zwecken. In den Priester- und Schülerzellen, die auf einen luftigen fayeneegeschnrückten Kreuzgang münden, sind alle in der Gegend gefundenen Skulpturen, Vasen, Gläser und Münzen aufgestellt Der vornehme Wächter ist der vormalige Seminardirektor, sprachkundig und überaus höflich.

„Sehen Sie diese verblüffend natürlich gebildeten Eulen! Sie halten dieselben wohl für griechische Kultbilder? N;in, die Hettiter haben sie schon vor 5000 Jahren auf ihre Stadttore gesetzt. Der basaltene zweiköpfige Vogel, der Sie an Ihren Doppeladler gemahnt, ist nicht byzantinisch, sondern auch ein Wahrzeichen der Hettiter.“ Mit Würde spricht der Wächter über einst und jetzt. „Eure Märtyrer schlafen in kunstvoll gearbeiteten Sarkophagen in Italiens Wunderdomen, unsere Heiligen ruhen in schmucklosen Türbes. Unsere Moscheen sind in Magazine gewandelt, das ist höchst zweckvoll und modern! In der Seldschukenburg hausen Grünzeuehändler, Schuster — wie vernünftig ist das eingerichtet! Zigeuner bewohnen die Grüfte griechischer Herrscher. Das alte Osmanen-reich ist begraben, das Leben s^eht weiter. Das Lan*d Atarürks, jung und stark, hat das Erbe all der untergegangenen Völker übernommen. — Sehen Sie unsere alten Friedhöfe, die Grabsteine, welche noch der uns Lebenden verbotene Turban ziert. In Ankara baut man neue Stadtviertel auf Begräbnisstätten! Es ist schon so, Erinnerungen an vergangene Epochen müssen ausgelöscht werden. Das ist nicht traurig — alles Irdische soll vergehen —, unsere Heimat ist bei Allah!“

Eine tagsüber von ehrbaren Kaufläden besäumte Häuserzeile wandelt sich nach Sonnenuntergang in die „Straße der Lustbarkeit“. Cafe1 neben Cafe, überall lärmend Grammophone, meckernder Gesang einheimischer Diseusen. In die lärmende Menge stürzt sich allabendlich unternehmend ein Freundespaar, der über hundertjährige Emin Hodja und der nur wenig jüngere Hüsni Hodja. Beide von schönen, rotgefärbten Barten geziert, um die fesche Pullmankappe das grüne Tuch der Mekkapilger geschlungen. Sie trinken verbotenen Sivaskaffee der .Verworfenen, in großen Tassen, rauchen gleichfalls verbotene Haschischzigaretten, trällern dazu mit heiseren Stimmen unordentliche Gassenhauer. Ja, die neue Zeit!

Gastfreundlicher als selbst der Araber ist der Anatolier. In Sivas feiert diese orientalische Tugend wahre Orgien. Die Fremden aus Österreich können kein Speisehaus, kein Cafe aufsuchen, ohne bei Verlangen der Rechnung die Antwort zu erhalten: „Es ist alles bezahlt.“ Ja, wieso denn? Wir sind hier doch unbekannt! — Nun gerade deshalb! — Wer ist der Spender? — Achselzucken. „Hier ist Sivas!“ — Unabweisbare Gastgeschenke kommen ins Haus. Wer hat sie geschickt? — Achselzucken. „Hier ist Sivas!“ — Wenn Fremde ahnungslos einer harmlosen Einladung folgen, wird daraus selbstverständlich ein üppiges Fest, daß sich der rote Fluß, Vergangenes und Heutiges zu einer einzigen Hammelhonighelvakugel zusammenballen.

Ob hier soziale Unterschiede bestehen? Nicht im abendländischen Sinn. Handwerker, Köche, Offiziere, Beamte, Schuhputzer, Arbeiter, Lehrer, alle haben den gleichen Rang, alle sind „Herren“. Bei nächtlichen Gastmählern während des Ramasans sitzt der Arbeiter neben dem Beamten an der Tafel des Statthalters, der Bauer und der Ingenieur am Tisch des Edelsteinhändlers. Jeder Gast wird gleich geehrt. Höflichkeit und gute Sitte eint alle.

Anders bei den Frauen, die sich unerbittlich an eine starre Rangordnung halten. Im großen Hamam, dem Dampfbad, wird über Abstufungen des Reichtums Gericht gehalten. Das blaue - Badebassin unter der gläsernen Tulpenkuppel spielt nur eine Schattenrolle. Rund um diesen dampfenden Teich steigen wie in einer antiken Arena Marmorbänke auf; in den höchsten Sitzreihen, erstarrt vor Hochmut und Reichtum, paradieren goldbehangene Götzenbilder: auf dem Kopfe tragen sie eine Haube aus enggereihten Goldmünzen, um den Hals ebenso vielfach gereihte Schnüre von Goldstücken. Hände, Arme funkeln von Edelsteinen, die Augen glitzern vor Stolz. Je tiefer die Sitze, desto leichter die goldene Bürde, und in der untersten Reihe lagern die armen Ungeschmückten. Manchmal begibt es sich, daß Frauen aus den unteren Rängen hinaufsteigen, dann beginnt ein strenges fragen:

„Hat dein Mann so vorteilhafte Geschäfte gemacht? Wieviel Goldpfunde trägst du jetzt?“

Ehrlichkeit ist in Sivas zu Hause. Trotzdem wird man nach morgenländischer Art bei Einkäufen im Basar nach Kräften geschröpft.

Freund Ettem-Efendi, der Edelsteinhändler, hat einen schönen Silberbart und blickt aus blauen Kinderaugen unschuldig in die Welt. Grenzenlos ist seine Gastfreundschaft. Als Atatürk zuletzt in Sivas weilte, besuchte ihn Ettem, mit vielen Bündeln und Schachteln bepackt, in denen er seine merkwürdigsten Antiquitäten und seltsam gefaßte Schmuckstücke dem illustren Gast zur Ansicht überbrachte. Dieser fand Gefallen an dem Alten, bewunderte daher dessen Raritäten und wählte zögernd einige derselben aus. Da Atatürk alles eher als reich war, erkundigte er sich nach dem Preis der Dinge. Preis? Ettem war tief gekränkt. Keinen Para hat er genommen, der Gazi war doch in Sivas zu Gast! —

Wenn wir manchmal nachmittags durch den Basar schlenderten, mochte es vorkommen, daß uns Ettem bat, seinen Platz einzunehmen und seine Schätze solange zu hüten, bis er in der nahen Ulu Djami sein Gebet verrichtet habe. Unbegrenztes Vertrauen zu Österreich! — Trotzdem: „Oh, Ettem-Efendi! Wie kannst du von deinen Freunden für ein wertloses, grünes Glasstückerl 500 Pfund fordern und beim Leben deiner Enkel, die du gar nicht besitzest, schwören, besagtes Glas sei ein herrlicher Smaragd, würdig, in einer Krone zu prangen?! Oh, Ettem-Efendi, was hilft es dir, den Namaß pünktlich in der Ulu Djami zu beten, wenn du so sündigst!“

„Ich, sündigen? Beim Tudjaret — Handel — ist alles gestattet, der Prophet hat es ausdrücklich erlaubt!“ —

Liebes Sivas! Ich denke deiner meerblauen .Nächte, wenn leuchtende Sternbilder sich tief zu dir neigen, wenn die schräggeneigte Milchstraße wie eine hellstrahlende Leiter vom Zenit bis zu Tamer-lans Zelt niederreicht und die silberne Mondsichel wie eine Ballerine auf ihrer Spitze steht. Über die hohen Berge des Kiz:ltals hat die Nacht mitunter einen weißen Spitzenvorhang gezogen. Unsichtbare Hände lassen ihn auseinandergleiten, um den Gläubigen auch die albrfernsten Gestirne zu offenbaren, wenn der Gesang des Muezzins sie zum Nachtgebet in die Moschee ruft.

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