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MUSIK FÜR DAS AUGE

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Da sich heute die diversen Festspiele, -wochen und -raonate bereits fast über das ganze Jahr erstrecken, ergibt sich immer wieder der Anlaß, bedeutende Konzerte im Fernsehen zu übertragen. Daß solche Übertragungen grundsätzlich der Vermittlerrolle des Fernsehens entsprechen, bedarf wohl keiner Erwähnung. Da anderseits der Anteil der Konzertübertragungen am gesamten Fernsehprogramm sehr gering ist, heben sie die auf diese Weise ausgezeichneten Konzerte aus dem gesamten Konzertprogramm heraus, und es muß wohl erwartet werden, daß der jeweilige Anlaß eine solche Übertragung rechtfertigt. Der Anlaß mag in dem aufgeführten Werk, in den mitwirkenden Künstlern oder in einem besonderen Rahmen gegeben sein. Zweifellos geholt es zu den wesentlichen Aufgaben des Fernsehens, seine Zuschauer mit solchen außergewöhnlichen künstlerischen Ereignissen bekannt zu machen.

Diese Aufgabe allein nimmt bereits einem oft vorgebrachten Argument gegen die Übertragung von Konzerten im Fernsehen den Wind aus den Segeln: Immer wieder wird, auch in grundlegenden Schriften zur Ästhetik des Fernsehens, darauf hingewiesen, daß eine musikalische Darbietung, insbesondere eine solche aus dem Bereich der ernsten Musik, ausschließlich als Hörerlebnis anzusehen sei und diemzufolge nur durch den Rundfunk eine adäquate Übermittlung finden kann.

Nun besteht aber, erlebnismäßig gesehen, ein sehr beträchtlicher Unterschied zwischen dem Anhören eines Konzertes über den Rundfunk und der Anwesenheit im Konzertsaal. Allein' schon die Atmosphäre des Konzertsaales, das festlich gestimmte Publikum, machen einen wesentlichen Erlebnisfaktor aus.

Nun hat aber gerade das Fernsehen die Möglichkeit, dem Zuschauer das Erlebnis des Dabeiseins in besonders hohem Maße zu vermitteln. Es besteht kein Zweifel darüber, daß durch eine Fernsehübertragung ganz allgemein auch ein Gutteil der „Atmosphäre“ der Veranstaltung, sei es nun Fußballspiel, Theater oder Konzert, dem Zuschauer vermittelt werden kann. (Daß diese Erlebnisvermittlung auch im Falle des Konzertes eine unvollständige ist, da der Kontakt von Mensch zu Mensch, zwischen Auditorium und Podium, einen integrierenden Faktor dieses Erlebens darstellt, enthebt uns der Sorge, daß infolge von Fernsehübertragungen die Konzertsäle leerbleiben könnten.) Zu alledem kommt noch, daß gerade der ernsthafte Musikfreund durchaus ein Interesse daran haben kann, den Dirigenten, die Solisten, ja auch die Orchestermusiker bei ihrer nachschöpferischen Tätigkeit zu beobachten.

Diese beiden Gesichtspunkte, das Erlebnis des Dabeiseins und die Beobachtung der Ausführenden, bestimmen aber auch die Richtung, in der sich die bildmäßige Gestaltung einer solchen Übertragung zu bewegen hat.

Immer wieder ist das krampfhafte Bemühen festzustellen, die Musik durch eine im üblichen Sinne möglichst „fernsehgemäße“ Bildfolge zu begleiten. Das geschieht einmal dadurch, daß in unablässig wechselnder Folge Ausschnitte aus dem Konzertsaal gezeigt werden: der Dirigent, das Orchester von vorne, von links, von rechts, Teile des Orchesters, andächtig lauschende oder auch schlafende Zuhörer, Schwenks über architektonische Details des Konzertsaales usw. Ein andermal wird versucht, den Bildschirm durch irgendwelche, auf das Werk odler den Komponisten mehr oder minder Bezug habende Bilder zu beleben: Porträts des Komponisten, Bilder seines Geburts-, Wohn- und Sterbehauses, Partituren, Briefe und allenfalls irgendwelche andere Bilder, die mit dem Thema der Musik in einem — angeblichen — Zusammenhang stehen.

Für Konzertübertragungen gelten aber zum Teil andere Maßstäbe als für die übrigen Fernsehsendungen. Das Primäre und Wesentliche ist und bleibt die Musik; und das Bild sollte möglichst wenig von ihr ablenken. So interessant im Zusammenhang mit der Musik stehende Bilder, Partituren und dergleichen auch sein mögen, ihre Darbietung auf dem Bildschirm zwingt zu einer Teilung der Aufmerksamkeit.

Die Bildführung wird sich also im allgemeinen auf den Konzertsaal und vor allem auf die Ausführenden zu beschränken haben. Zur Erfüllung der beiden oben angedeuteten Auf gaben genügt zweifellos ein viel gemäßigterer Bildrhythmus, als er ansonsten im Fernsehen üblich und notwendig ist. Durch sorgfältige Wahl der Schnitte muß ein möglichst weicher, kontinuierlicher Bildfluß erzielt werden, so daß die Bildwechsel diem Zuschauer möglichst wenig bewußt werden und ihn so von der Musik nicht ablenken. Werden der Dirigent, Solisten, einzelne Gruppen des Orchesters oder einzelne Orchestermitglieder gezeigt, so muß der Zuschauer Gelegenheit haben, die Betreffenden auch wirklich beobachten zu können. Es ist sicher nicht leicht, hier immer den richtigen Kompromiß zwischen Möglichkeit der Beobachtung und Vermeidung der Ablenkung zu finden.

Ein besonders in einzelnen Fällen anwendbares Verfahren dürfte zwar die Möglichkeit eröffnen, der Übertragung eine eigenständige künstlerische Form zu geben, birgt aber wieder die Gefahr in sich, daß die Musik dabei ihre dominierende Stellung einbüßt: Man kann nämlich, neben dem Dirigenten, konsequent immer wieder jene Orchesterinstrumente zeigen, die gerade eine besondere musikalische Funktion haben, und die Schnitte streng synchron mit der Musik durchführen. Das setzt allerdings voraus, diaß man dieses Verfahren während der gesamten Dauer des betreffenden Werkes durchhält, was sicher eine beträchtliche Anzahl von Proben erfordert. Die einer Egmont-Aufführung des Hessischen Rundfunks vorangestellte Beethoven-Ouvertüre — vor wenigen Monaten vom Österreichischen Fernsehen übertragen — stellt einen der ganz wenigen gelungenen Versuche dieser Art dar.

Es darf nicht übersehen werden, daß es viele musikbegeisterte Menschen gibt, die nur ganz selten Gelegenheit haben, ein Konzert zu besuchen, und denen das Fernsehen Konzerterlebnisse in einer Intensität vermitteln kann, wie es auf keine andere Weise möglich ist. Zuschauem aber, die für die dargebotene Musik kein Interesse haben, kann man die Konzertübertragung durch keine noch so bewegte — der Musik noch einigermaßen adäquate — Gestaltung schmackhaft machen. Aber schließlich muß man bei den meisten Fernsehsendungen erwarten, daß sie grundsätzlich nur bei einem mehr oder minder großen Teil des Fernsehpublikums Interesse finden können. Diesen Teil aber sollten sie optimal ansprechen.

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