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Sender und Hörer

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Die Ravag veranstaltet gegenwärtig, jeweils an Sonntagvormittagen, eine zyklische Sendung von Wagners „Ring des. Nibelungen“. Neben der Bewältigung der künstlerischen Aufgabe stellt diese Sendereihe die Veranstalter auch vor eine ganze Reihe akustisch-technischer Probleme, zu deren Lösung die folgenden Ausführungen einen Beitrag liefern wollen.

Das Hauptproblem einer Opemauffüh- rung durch den Rundfunk liegt in der Tatsache, daß dem Zuhörer gleichzeitig mit den akustischen Ereignissen auch die optischen Ereignisse mehr oder minder prägnant vermittelt werden sollen. Es gilt also eine Apperzeption des Auges durch eine solche des Ohres zu ersetzen. Dies zu ermöglichen, schlägt der Rundfunk unterschiedliche Wege mit ebenso unterschiedlichem Erfolg ein.

Der bequemste Weg ist der der Opernübertragung. Ihr eigentlicher Zweck ist in erster Linie der, den Hörem die Illusion einer Teilnahme an Vorstellungen irgendwelcher repräsentativer Opernhäuser vorzugaukeln. Es ist nicht so wichtig, ein bestimmtes Werk zu hören, sondern vielmehr Zeuge einer Aufführung im Hause X oder bei den Festspielen Y zu sein. Damit aber ist eine wesentliche Verschiebung zugunsten der Reportage und zuungunsten der Oper eingetreten. Solange die versdiie- denen Sparten der Radiotechnik in den Anfangsgründen steckten, waren derartige Übertragungen die Sensationen des Programms. Mit zunehmender Verfeinerung der Sende- wie der Empfangsgeräte, ist jedoch die Unzulänglichkeit dieser Form der Rundfunkoper immer deutlicher geworden. Ihre Ursache liegt vorerst darin, daß der Sänger auf der Bühne gleichzeitig Schauspieler zu sein hat und daher keinerlei Rücksicht auf die Einhaltung einer minutiös genauen Distanz vom Mikrophon nehmen kann. Ist der Gesangssolist der kompakten Majorität des vollen Orchesters gegenüber in der Tonquantität schon an sich im Nachteil, so muß sich dieser Nachteil dann ins Riesenhafte vergrößern, wenn der Sänger durch seine schauspielerischen Aktionen ständig gezwungen ist, seine Stellung zum Mikrophon zu ändern, wahrend das Orchester naturgemäß in seiner Grundeinstellung verharrt. Hier eine vernünftige Relation herzustellen, bedeutet für den Tonmeister ein meist unlösbares Problem. Obendrein müssen die Bühnenmikrophone aus Gründen der ungestörten Publikumssicht immer so an der Rampe angebracht werden, daß ihre volle Kapazität gar nicht ausgenützt werden kann. Sie befinden sich in der Regel etwa in der Kniehöhe der Sänger. Die Folgen dieses Standortes sind klar. Außerdem hatte beispielsweise in der alten Wiener Staatsoper der Übertragungsraum keinerlei Bühnensicht, wodurch jede Opernübertragung zu einem musikalischen Blindflug mit allen Zufälligkeiten und Imponderabilien einer solchen Unternehmung wurde. Diese letzte Schwierigkeit ist durch die vorbildliche Einrichtung im Theater an der Wien wohl behoben worden. Die anderen sind jedoch vollinhaltlich aufrecht geblieben.

Diese Umstände haben die Sendegesellschaften schon frühzeitig veranlaßt, in ihren eigenen Studios Opernaufführungen zu veranstalten. Die Grundlage dieser Studioaufführungen sind die sogenannten

Rundfunkbearbeitungen. Wie dieses Wort bereits zum Ausdruck bringt, werden hier die Opernwerke von eigenen Fachleuten nach den praktischen Erfordernissen des Sendebetriebes eingerichtet. Soweit mit diesen Einrichtungen nicht auch beträchliche, den Sendezeiten angepaßte Kürzungen verbunden sind — sogenannte „Kurzopern“ —, erreichten diese sehr beachtliche Ergebnisse, wobei jedoch nicht verschwiegen werden soll, daß diese Methode vorwiegend auf wenig bekannte Werke angewendet wird. Der Grund hiefür ist, daß diese Bearbeitungen vielfach die Einfügung rezitativischer Dialoge vorsehen, die der akustischen Verdeutlichung optischer Vorgänge dienen sollen. Derartige kompositorische Zutaten sind jedoch bei den Standardwerken der Opernliteratur, vor allem bei den durchkomponierten Opern, undurchführbar. Darüber hinaus bedienen sich diese Rundfunk- bearbeitungen eigentlich nur noch der schon vom Hörspiel her bekannten Kniffe der Hörkulisse und der die Stimmung vorbereitenden Inhaltsangabe. Einer tieferen akustischen Ausdeutung steht der Umstand entgegen, daß diese Opern in der Form der „direkten Sendung“, also unmittelbar aus dem Sendesaal im Programm erscheinen und somit allen Zufälligkeiten dieser Sende- type ausgeliefert sind.

Das Wesentliche der akustischen Opernregie besteht in der Erkenntnis, daß schon ganz geringe Abweichungen innerhalb der Mikrophoneinstellungen sehr merkbare Veränderungen des Gehörbildes nach sich ziehen und daß die systematische Nutzbarmachung dieses Symptoms hervorragend geeignet ist, die Phantasie des Zuhörers im Sinne des Bühnenbildes wie der Handlung zu beflügeln und so das Fehlen der Bühne weitgehend wettzumachen. Selbst Szenen von rein optischem Gehalt, wie beispielsweise die Tarnkappenszene im „Rheingold“, der Kampf mit dem Drachen im „Siegfried“ oder die große Verwandlungsmusik am Ende der „Daphne“, können mit Hilfe einer nach den einzelnen Takten der Partitur genau ausgearbeiteten Aussteuerung der Mikrophone ein akustisches Format erreichen, das an Bildhaftigkeit nichts zu wünschen übrigläßt. Die volle Ausnützung dieser bereits an einigen Opernaufnahmen erprobten Methode kann der Opernregie neue Impulse verleihen und dazu führen, daß man die technisch gänzlich überholte Type der „Opernübertragung“ durch entsprechende Aufnahmen mit den Gesamtensembles weltberühmter Opernhäuser oder Festspiele ersetzen und so die Vorteile einer rundfunkgemäßen Interpretation mit dem Zauber einer lokalgebundenen Atmosphäre verbinden kann.

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