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Linksliberale ohne Partei

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Die als großes Scherbengericht konzipierte, zweitägige, außerordentliche „Achte Plenartagung des ZK der KPÖ“ ging vorvergangenen Dienstag zu Ende. Ungefähr ein Drittel der Mitglieder, nämlich 35 an der Zahl — global als „Liberale“ bezeichnet — verließen, als sie sich gegenüber den „Orthodoxen“ nicht durchsetzen konnten, demonstrativ die Sitzung. Formal juridisch ausgedrückt: sie sistierten ihre Mitarbeit im Zentralkomitee.

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Die als großes Scherbengericht konzipierte, zweitägige, außerordentliche „Achte Plenartagung des ZK der KPÖ“ ging vorvergangenen Dienstag zu Ende. Ungefähr ein Drittel der Mitglieder, nämlich 35 an der Zahl — global als „Liberale“ bezeichnet — verließen, als sie sich gegenüber den „Orthodoxen“ nicht durchsetzen konnten, demonstrativ die Sitzung. Formal juridisch ausgedrückt: sie sistierten ihre Mitarbeit im Zentralkomitee.

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Diesem Exodus gingen eine Verurteilung des ZK-Mitgliedes Franz Marek wegen eines Interviews in einer Grazer Zeitung und die Eleminie- rung des Chefs der „Freien österreichischen Jugend“ (FÖJ) . voraus. Nachdem sich die FÖJ standhaft geweigert hatte, den Anspruch auf Eigenständigkeit aufzugeben, und es ablehnte, sich mit einer neu zu gründenden, absolut linientreuen Jugendorganisation zu verbinden, wurde der FÖJ-Chef Zapf mit 37 gegen 34 Stimmen, bei 4 Stimmenthaltungen — nach Franz West — „also faktisch mit einer Minderheit der abgegebenen Stimmen“ aus dem ZK ,hinausgewählt“.

West, Chefredakteur der „Volksstimme“ antwortete auf diese „Manipulationen“ mit der Zurücklegung seines Sitzes im politischen Büro; den des Chefredakteurs behält er einstweilen' noch. Neben all diesen Ereignissen ist wohl die „Erklärung 27“ zentraler Angelpunkt dieser Auseinandersetzungen. In dieser Erklärung fordern die „Progressiven“ eine „offene Diskussion und Vertretung kontroversi- eller Meinungen in der Parteipresse“ Sie halten fest, daß „die von der Mehrheit des Zentralkomitees beschlossene Plattform über einen komu istischen J ugendverb and den Lebensinteressen der Partei widerspricht“; sie wollen „demokratische Freiheit“ und „die Verurteilung der militärischen Aktionen der War- schauer-Pakt-Staaten in der CSSR“

sowie „die demokratische und autonome Orientierung der Politik, wie sie auf dem 19. Parteitag beschlossen und vom 20. Parteitag bestätigt wurde“.

Die „Schöngeister“

Diese Ereignisse in und rund um die außerordentliche ZK-Sitzung verschärften dramatisch die momentane Krise der KPÖ, doch hieße es die Situation unzulässig simplifizieren, wollte man nur diese Tatsachen als Indiz für eine Zerfallserscheinung der KP gelten lassen. Der eigentliche Beginn der Kette von Auseinandersetzungen innerhalb der einst monolithischen Partei ist in der Haltung zum israelisch-arabischen Secbs-Tage- Krieg zu finden, wenn man nicht überhaupt als Ausgangsbasis die ungarische Revolution des Jahres 1956 betrachten sollte.

Nächster Prüfstein war die Sowjet- Politik in der israelisch-arabischen Auseinandersetzung.

Anders wurde die Situation aber seit dem Einmarsch der Warschauer- Pakt-Staaten in die CSSR. Die Krise wurde permanent. Nachdem man anfänglich diese Intervention aufs schärfste verurteilt hatte, schwenkte man nach wenigen Monaten vollends auf die Moskauer Linde ein. Damit beraubte man alle partei-intern als „Schöngeister“ Bezeichmeten der Hoffnung, den „Prager Frühling“

und „den humanen Sozialismus“ als allgemein gültiges Modell auf das Panier geschrieben zu sehen. Schon vor Monaten war Eingeweihten klar, daß diejenigen, die sich in dieser Frage als „Liberale“ exponiert hatten, in Schwierigkeiten geraten würden.

Ernst Fischer, der einen Augenblick Zweifel an seiner Haltung ließ, wurde sehr bald mit knapper Mehrheit aus der Partei ausgeschlossen. Treibende Kraft für den Ausschluß Fischers war — dem Vernehmen nach — die DDR, jenes Land, in dem der Verstoßene als deutschsprachiger politischer Schriftsteller oder schrift- stellemder Politiker die meiste Verbreitung seiner Werke gefunden hatte.

Linksliberale Abspaltung

Von Moskau aus gesehen genügt ein gut funktionierender und vor allem absolut linientreuer Apparat, der die propagandistischen und organisatorischen Ziate viel leichter erreichen kann als eine pluralistische, der Diskussion geöffnete Partei.

Es ist zu erwarten, daß die „Liberalen“, „deren Nukleus mit den Unterzeichnern der Erklärung der ,27‘ ident ist“, außerhalb der KP eine neue Mnksorientierte Gruppe bilden werden. Als Basis dient ihnen das „Tagebuch“, jene Zeitschrift, deren Führung so lange zwischen Orthodoxen und Liberalen pendelte, bis die endgültige Trennung von der Partei und eine Umfunktionierung zu einem theoretisch-kritischen Diskussionsorgan gelangen.

Über den Gedanken der „27“ stehen die Worte Luigi Pintors, der vor wenigen Tagen aus der Kommunistischen Partei Italiens ausgeschlossen wurde: „Man kann ein guter Kommunist sein, ohne in der KP zu stehen, und umgekehrt KP-Mitglied sein, aber kein guter Kommunist.“

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