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Liebe auf den zweiten Blick

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Volksliebling aber wurde Francos Stellvertreter, Capitan General (Marschall) Muiioz Grandes. Sein Erscheinen im gewöhnlichen Waffenrock ohne Distinktionen, seine einfachen Worte an die vom Unglück Heimgesuchten, seine sichtliche Ergriffenheit angesichts der vielen Tragödien veranlaßten alle Barcelonesen, die wir sprachen, zu dem Ausruf: „Das ist ein rechter Mann!“, wobei der spanische Ausdruck herzlicher, aber nicht gerade salonfähig ist.

Zuerst freilich waren die Katalanen Madrid gegenüber äußerst reserviert. Fast jeder, den wir in den ersten Stunden nach der Katastrophe um seine Meinung fragten, gab die gleiche Antwort: „Die Regierung wird gut daran tun, uns wirklich zu helfen“. Die in diesem Satz versteckte Drohung ist nicht bloß auf die Barceloneser Abneigung gegen Madrid zurückzuführen, die sich in extremer Weise in der kleinen Gruppe von Seperatisten, in gemäßigter Weise in der großen Menge der antizentralistischen Regionalisten äußert; auch nicht auf das Gefühl der Katalanen, dank ihrer Industrie und ihrer Tourismuszentren die „Ernährer des Vaterlandes“ zu sein. Es ist vielmehr ein offenes Geheimnis, daß in diesem Herbst Nordspanien, vor allem Katalonien, Schauplatz eines Monsterstreiks werden soll. Eine zielbewußte Hilfe Madrids für die heutigen Notstandsgebiete würde wahrscheinlich diese Gefahr bannen. ,

Vorerst hat es auch den Anschein, als ob die Regierung, wohl wissend, was auf dem Spiel steht, sich großzügig erweisen will. 600 Millionen Pesetas für den Bau von 5500 Wohnungen, eine Milliarde als Kredit auf zehn Jahre für die Erneuerung des Textilmaschinenparks — wobei freilich die langen Lieferfristen des Auslands Sorge bereiten —, 100 Millionen für Straßenreparaturen, Hilfe für die Landwirtschaft, die erstaunlicherweise am wenigsten gelitten hat, der Beschluß, den Arbeitslosen 90 bis 100 Prozent ihres Totallohnes mit allen Zuschlägen, nicht bloß des geringen Grundlohnes, zu bezahlen, Steuermoratorien, Aufhebung der Zölle beim Re-Import von in England verarbeiteten katalanischen Textilien, Vereinfachung des bürokratischen Verfahrens bei Einfuhren, Maßnahmen gegen Mangel und Verteuerung von Textilien und anderes sind die ersten von der Regierung getroffenen Verfügungen. Da die private Sammeltätigkeit beträchtlich ist, kann außerdem zumindest noch mit 600 Millionen für den Wiederaufbau der Unglücksregion gerechnet werden.

Doch die zu bewältigende Arbeit besteht sHieht darin, daf früher Sewe sene wiederherzustellen*sondern es zu rffataiaten/ts isfftftrdtsJzar iGnu|e; gesagt worden, daß die unrentablen Kleinbetriebe verschwinden müssen. Verschwinden müssen aber auch die schlecht gebauten Wohnhäuser für die Arbeiter — meist Emigranten aus dem armen Andalusien —, von den Baracken ganz zu schweigen, die man, weil der Grund billig ist, in das Flußbett stellte, wo wohl 20 Jahre lang das dünne Wasserläufchen in seiner Mitte keinen Schaden anrichtete, ein Unwetter aber zur Katastrophe führen mußte. Ferner sollten die Flüsse reguliert und in den Bergen Staubecken angelegt werden. Ein großes Programm also, das sich Madrid setzt. Doch man glaubt, die nötigen Mittel aufbringen zu können und beruft sich auf einen Satz des eben erschienen Weltbankberichtes: „Die Aussichten für die spanische Wirtschaft sind äußerst günstig.“

Doch die technische Reform wäre nur Bruchstück ohne die soziale. Das für spanische Verhältnisse reiche Katalonien ist seit je ein Anziehungspunkt für Arbeitslose aus Andalusien, die, froh Verdienst zu finden, jeden Lohn und jede Unterkunft akzeptieren. Daher auch jetzt die hohe Zahl von Toten und das Ausmaß der Zerstörungen, die bei normaler Bauweise hätten reduziert werden können. Was man dagegen in Katalonien zu tun beabsichtigt, ist gesagt worden. Aber die soziale Reform muß auch in Andalusien durchgeführt werden. Ein Barceloneser Industrieller schlug vor, den andalusischen Grundbesitz nicht nach seinem Ertrag, sondern nach seiner Ertragsfähigkeit zu besteuern. Dann würde die entsprechende Anzahl von Arbeitern eingesetzt werden und das andalusische Subproletariat aus den spanischen Industriezentren; von derien das .katalanische nur eines ist, verschwinden. Di Anregung mag optimistisch sein, sicher ist nur, daß Spanien angesichts der latenten Streikgefahr mit seinem sozialen Problem fertigwerden muß. Handelsminister Ullastres warf das Schlagwort von den „europäischen Löhnen“ in die Diskussion, und über „europäische Arbeitsbedingungen“ schreibt gegenwärtig die Presse der Staatspartei, Falange.

Jetzt erfährt man, daß die Arbeitsmethoden in vielen Unternehmen des asturischen Grubengebiets, jüngst Schauplatz großer Streiks, unmenschlich waren und wohl noch sind, und ähnliches wird einem heute in Katalonien mitgeteilt. Das Gesetz böte die Möglichkeit, das soziale Klima erheblich zu verbessern. Die „Operation Barcelona“ zum Wiederaufbau des verwüsteten Gebietes, die von der Nation mit Vertrauen aufgenommen wurde, wäre die gegebene Gelegenheit für eine soziale „Operacion Espana“ großen Stils.

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