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Krise in Spanien

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Als vor wenigen Tagen der Rat des Königreichs Spanien zusammentrat dem ein entscheidendes Wort bei der Nachfolgebestimmung des Staatschefs zusteht, herrschte an der Madrider Gerüchtebörse Hochbetrieb. Übereifrige zitierten bereits Namen des möglichen Nachfolgers Francos, den dieser Organismus angeblich vorgeschlagen habe. Eine allgemein seriöse ausländische Presseagentur verlangte von ihrem Madrider Büro gar den Lebenslauf des Staatsoberhauptes in spe.

Hochbetrieb vor Gericht

Fast täglich hört man von Verhaftungen von Kommunisten und sonstigen Nichtkonformisten, das Gericht für öffentliche Ordnung ist mit Prozessen gegen separatistische Basken, illegale Gewerkschafter, Unruhe stiftende Studenten und selbstverständlich Kommunisten derart überlastet daß nicht selten bis zu drei Gerichtsverhandlungen an einem Tag stattfinden.

Die Spanier haben längst gemerkt, daß die Universitätsunruhe nicht das Werk einer radikalen kommunistischen Minderheit ist, sondern das vergrößerte Spiegelbild der Unrast und Unsicherheit innerhalb des Volkes, die durch ein politisches Vakuum geschaffen wurden. Dieses Vakuium, das seit langem unterschwellig vorhanden war, hat sich durch die mit der Abwertung der Peseten voll ausgebrochene Wirtschaftskrise aus- gebreibet

Eine halbe Million Arbeitslose

Ein namhaftef” spanischer Wirtschaftsfachmann verglich die derzeitige Wirtschaftslage Spaniens mit der prekären Zeit vor der Stabilisierung der Peseten im Jahre 1959. Das Panorama ist tatsächlich wenig erfreulich. Zahlreiche Klein- und Mittelbetriebe mußten ihre Pforten schließen, Großbetriebe gehen auf Kurzarbeit über oder reduzieren ihre Belegschaft. Offiziell werden die Arbeitslosen derzeit mit 220.000 angegeben. Da dieser Ziffer jedoch die Arbeitslosenunterstützung Beziehenden zugrundegelegt werden und der Großteil der Landarbeiter nicht in ihren Genuß kommt, weil er die Quoten der Sozialversicherung nicht zahlen kann, dürfte die tatsächliche Arbeitslosenzahl — offiziösen Schätzungen zufolge — einer halben Million entsprechen. Bis Jahresende dürfte die Zahl der Arbeitslosen auf dem Industrie-, Landwirtschafts- und Dienstleistungssektor die Millionengrenze erreichen. Bei einer aktiven Bevölkerung von etwas mehr als 12 Millionen ist dies bedenklich.

Der zweite spanische Entwicklungsplan, der die Fehler des ersten beheben und Spanien in ein Wirtschaftswunderland verzaubern sollte, läßt auf sich warten. Sein Inkrafttreten wurde von Jänner 1968 auf März verschoben, obzwar die Planer bei der Pesetenabwertung behaupteten, daß er bereits Vorkehrungen enthalte, in denen diese Eventualität berücksichtigt sel.

Das Ziel dieses Vorhabens — nämlich die Wirtschaft zu planen — scheint also an Überzeugungskraft verloren zu haben. Daher hat man jetzt eine neue Version für seinen Sinn gefunden: die Orientierung der Wirtschaft und Verwaltung. Spaniens Wirtschaftsfachleute und Unternehmer können sich jedoch nicht von dem Verdacht befreien, daß mit dem zweiten Entwicklungsplan nichts weiter beabsichtigt werde, als einen Slogan zur Wiederherstellung des zerstörten Vertrauens in Spaniens Entwicklung und deren Planer zu finden.

Ein repariertes Vertrauen könnte Spaniens Kapitalisten endlich dazu veranlassen, massiv in die eigene Wirtschaft zu investieren, statt ihr Geld im Ausland anzulegen. (Die Kapitalflucht hat unmittelbar vor der Pesetenabwertung derartige Ausmaße erreicht, daß täglich eine Milliarde Peseten aus Privatquellen ins Ausland floß!)

In einem Land, in dem es keine sich selbst finanzierende Industrie gibt, in dem alles auf Bankkrediten aufgebaut ist, in dem Spekulation vor Planung steht, kann das Vertrauen allein wenig aiusrichten. Der Kapitalistiund der Unternehmer müßten umdenken, es müßte eine völlig neue Mentalität geschaffen werden, oder aber müßten die allmächtigen Banken verstaatlicht werden. Diese Forderung hat die Falange, zu deren ursprünglichen Programm die Bankennationalisierung gehört, neuerdings wieder aufgegriffen, allerdings — wohl in der Einsicht, daß damit an den Stützen des Regimes gerüttelt würde — schnell wieder fallengelassen. Daß beide Wege schwierig, ja, wenn nicht gar ungangbar sind, dürfte man sich bereits vergegenwärtigt haben. Denn die allgemeine Stimmung ist derart pessimistisch, daß man schon jetzt, kaum vier Monate nach der Pesetenabwertung von einer weiteren Herabsetzung der Valuta vor Jahresablauf spricht

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