6779376-1969_36_06.jpg
Digital In Arbeit

Technokraten im Rücktritt

Werbung
Werbung
Werbung

In Spanten ist etwas Unerhörtes, Ungeheuerliches geschehen: Zum erstenmal seit Bestehen des Franco- Regimes wurde öffentlich der Rücktritt von Ministem gefordert. Das falangistische Nachrichtenmagazin „SP“ und die im gleichen Verlag erscheinende Tageszeitung gleichen Namens brachten auf ihren Titelseiten die grell aufgemachte Forderung: „Die Wirtschaftsminister müssen zurücktreten!“ Gemeint sind damit diie sogenannten Technokraten, also Entwicklungsplanminister Lopez Rodö, Finanzminister Espinosa San Martin und Handelsminister Garcia Moncö, die von den Zeitungen für den Finanzskandal des Jahrhunderts, die von der Textilmaschd- nenfabrik Matesa durch Scheinexport ergaunerte Exportkredit- und Exportrückvergütunigssumme von fast elf ..Milliarden .Peseten , .xaaofa. wörtlich gemacht werden.

Fehlorientierung der Wirtschaft

Die in Pamplona erscheinende Tageszeitung „El Pensamiento Navarro" schlägt in einer Polemik vor, die „Geschäfteabenteurer" in hierarchischer Ordnung zu zitieren, nämlich die Minister, die wiederholt ihre Leistungen gelobt haben, die offizielle Bank, die den Kredit in Strömen fließen ließ, und das staatliche System der Exportprämien. Spanien, das über einen von dem Habstburger- könig Philip II. ererbten, pedantischen Kamzleiapparat verfügt, regelt seine Exporte nämlich ohne eine entsprechende Gesetzgebung, sondern nur vermittels einiger ministerieller Verordnungen, in deren grob geknüpftem Netz sich schwerlich Betrüger verfangen.

Die spanische Presse sieht daher den Skandal Matesa nicht als einen Einzelfall, sondern als offensichtlichen Beweis dafür, daß die wirt schaftlichen Richtlinien des Landes vom Wege abgekommen sind und einer Korrektur bedürfen. Diese Korrektur — so argumentiert die Zeitschrift „SP“ — kann nicht mit ein paar schnellen Pastenwechseln, der Verhaftung der verantwortlichen Führungskräfte der Matesa (inzwischen wurden sechs Personen festgenommen) oder einer Rüge an Bankbeamte vorgenommen worden. Vielmehr muß die Equipe, die Spaniens Wirtschaft seit fast einem Jahrzehnt leitet und Verschleißerscheinungen aufweist, erneuert werden, da es sonst weitere Fälle Matesa geben könnte.

Exportierte Bücher — zum Verbrennen

Mit diesen Befürchtungen hat „SP“ leider nicht unrecht. Denn der Bar- celonesernl,Yerl g . Sąlvat, Eigentym •eines der verhafteten Matesa-Direk- ioren. staatlicher Unterstüt zung für die letzte Madrider Buchmesse spanische Klassiker zu populären Preisen herausbrachte und damit einen Riesenerfolg erzielte, erhielt 75 Prozenit des gesamten Exportkredits für spanische Verlags- häuser. Daß dieser Kredit nicht richtig angeweodet wurde, dürfte aus der Tatsache hervorgehen, das ein großer Teil der von Salvat nach Südamerika exportierten Bücher ihres ideologischen Inhalts wegen unverkäuflich waren und daher verbrannt wurden.

Der neueste Finanzskandal betrifft Europas größten Werbefilmproduzenten, die Madrider Firma Movierecord. Vor kurzem wurde sie von Finanziers des Laienordens Opus Ded

— aus dessen Reihen die meisten Technokraten stammen — aufgekauft und der Führungsstab gewechselt. Neu eingesetzt wurde eine in den Matesa-Skandal verwickelte Persönlichkeit. Es nimmt daher nie mand wunder, daß das allgemein als blühend bekannte Unternehmen plötzlich mit einer Milliarde Peseten in der Kreide steht.

Nach dem Einsturz des Kartenhauses einiger Sektoren des spanischen Exports ist es verständlich, daß der Madrider „Arriba“, das Organ der Einheitsbewegung, den Matesa- Skandal als ein „Attentat gegen dreißig Millionen Spanier“ bezeichnet, daß eine Barceloneser Zeitung ausgerechnet hat, daß jeder Spanier hierbei um 300 Peseten geschädigt wurde und daß — so die Wirtschaftszeitung „El Europeo“ — die veruntreuten Kredite fünf Jahre Einkorn- menssteuer plus landwirtschaftliche Abgaben entsprechen. Eine weitere Zeitung erklärt, daß — allein mit den Matesa-Geldem — drei Atomkraftwerke gebaut oder das Wohnungsproblem ganz Spaniens behoben vind die Bidqnvilles . beseitigt hätten werden können oder daß man damit Spaniens zivile Luftflotte hätte verdoppeln können.

Spaniens Export, stellt die Presse einstimmig fest, steht auf tönernen Füßen, denn Spaniens Industrie ist unterentwickelt bzw. ungleichmäßig entwickelt und daher auf den Auslandsmärkten nicht konkurrenzfähig. Schlußfolgerung: Technokraten, tretet ab! Es ist ein offenes Geheimnis, daß die Presse eine derartige Forderung, die nach Artikel 2 des spanischen Pressegesetzes ein streng bestraftes Vergehen darstellt, nicht aus eigenem Vorbringen kann. Hinter ihr stehen die Minister des Movimiento und der Falange, die ihre seit langem schwelenden Meinungsverschiedenheiten mit den Technokraten nun in der Öffentlichkeit entfacht haben und sich damit

— paradoxerweise für eine Einheitspartei — demokratischer zeigen als die weltoffenen Technokraten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung