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Gebt uns zehn Jahre Zeit

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Ein ehrgeiziges Ziel haben sich Spaniens „Technokraten”, wie man hier einige Fachminister und Wirtschaftsführer nennt, gesetzt: Sie wollen ihr Land innerhalb von etwa zehn Jahren wirtschaftlich wie sozial annähernd auf westeuropäisches Niveau bringen. Dazu sollen der allgemeine „Entwicklungsplan” und einige Einzelprogramme, etwa die Wohnbauförderung, dienen. Zuerst war eine soziale Bestandsaufnahme vorzunehmen, da die spanischen Statistiken, wie einer der ersten Fachleute auf diesem Gebiet zugab, „zu 90 Prozent auf Irrtum beruhen”. Dieser Aufgabe unterzog sich vor allem die katholische „Caritas”, die in anderthalbjähriger, noch nicht ganz abgeschlossener Untersuchung Spaniens soziales „Soll und Haben” er- rechnete. Das Ergebnis ist schlimm, aber weniger schlimm als man erwartete, und erlaubt den Schluß, daß die „Europäisierung” dieses Landes zumindest auf einigen Gebieten in der gestellten Frist möglich 1st.

Soziales „Soll und Haben”

Das Vorhaben begegnet neben allgemeinen Schwierigkeiten, wie Kapitalmangel, zwei spezifisch spanischen Hindernissen: der ungleichmäßigen Entwicklung des Landes und der gewaltigen inneren Migration. Einige nordöstliche Provinzen, z. B. Barcelona und Teile des Baskenlandes, haben bereits ungefähr den Entwicklungsstand der südwestlichen Departements Frankreichs erreicht. In anderen aber, so Almeria und Granada im Süden, Orense im Nordwesten, herrschen noch afrikanische Zustände. Daraus ergibt sich die zweite planungshemmende Erscheinung, die unaufhörliche Landflucht und Abwanderung von den armen in die wohlhabenden Landesteile, die bisher zwei Millionen Personen erfaßte, neben der „äußeren Emigration” von rund einer Million Spaniern. Das hat oft entmutigende Konsequenzen, wie etwa, daß man in bestimmten Gebieten programmgemäß Schulen baute, die nun leerstehen, da die Bevölkerung das Gebiet verlassen hat.

Ausgesprochen optimistisch zeigt man sich bei der Bekämpfung der Wohnungsnot. Am 1. Jänner 1961 betrug der diesbezügliche Sofortbedarf eine Million, heute, dreieinhalb Jahre später, nur noch eine halbe Million. Aber bis 1973 sind weitere 3,2 Millionen Wohnungen infolge des Bevölkerungszuwachses (350.000 Menschen jährlich), der Heiraten und des Verfalls vorhandener, aber überalterter Heime (mehr als 900.000) zu errichten, ferner sind 130.000 Familien aus Wohnhöhlen und Slums zu befreien. Hält aber der gegenwärtige Baurhythmus an, so dürfte das Wohnproblem zu lösen sein.

Nicht minder hoffnungsfroh ist man hinsichtlich der Verbesserung der sanitären Verhältnisse. Es gibt nur noch 50.000 Tuberkulöse — noch vor 12 Jahren war die Tbc Spaniens Volksgeißel Nummer eins —, allerdings noch 80.000 Trachom- und 20.000 Leprakranke, hingegen ist die Kinderlähmung dank der jüngsten Impfaktion praktisch verschwunden. Mit Hilfe der Antibiotika dürften die Seuchenerkrankungen auf ein Mindestmaß reduziert werden; den Mangelkrankheiten soll durch den allgemeinen Fortschritt zu Leibe gerückt werden. Hier aber werden die Besserungsaussichten problematischer, da man sich zum Teil auf das Gebiet des Unwägbaren, menschlicher Launen und Vorurteile, begibt

Ungesunde Ernährung

Fünf Millionen Spanier sind unterernährt, davon vier Millionen aus Armut, aber eine Million aus Unwissenheit um eine richtige Ernährungsweise. Neun Millionen hingegen sind, kurz gesagt, „überfressen”. Es mag nun gelingen, durch Aufklärung den Spanier gesünder zu ernähren. Doch selbst regimefromme Kreise haben ihre Zweifel, ob die Schicht der Privilegierten den Kampf gegen die Armut mit der nötigen Energie durchführen läßt, da sie ihre bevorzugte Lage nur dem Bestand eines kläglich vegetierenden Subproletariats verdankt. Der Widerstand gegen die radikale Änderung der Sozialstruktur wird in Zeitungen, von den Kanzeln, bei Kongressen angeprangert, doch mit geringem Erfolg, wie die „Caritas”-Statistik zeigt.

Fraglich, wenn auch teilweise aus anderen Gründen, ist ebenfalls, ob sich das Erziehungsprogramm in gewünschter Zeit durchführen läßt. Wohl ist es glaubhaft, daß bis 1970 die vor dreieinhalb Jahren gezählten 3,1 Millionen Vollanalphabeten verschwunden sein, daß die damals 360.000 Kinder, die infolge der Hungerlöhne ihrer Väter oder des Schulmangels keinerlei Unterricht genossen, das Abc erlernt haben werden. Aber weiterhin haben zwanzig Millionen, zwei Drittel der Bevölkerung, bloß die Grundschulen besucht und dort eine höchst mangelhafte Ausbildung erhalten. Die Hauptschuld daran trägt die tragische wirtschaftliche Lage der Lehrer, deren anfängliches Jahresgehalt 30.000 Pesetas (Kaufkraft etwa 20.000 S) beträgt und die darum ihren Beruf vernachlässigen. In einem Leserbrief an die Syndikatszeitung „Pueblo” hieß es vor zwei Jahren: „Mehr als die Hälfte der spanischen Lehrer kann mit ihrem Gehalt nicht einmal die Tagespension in einem Dorfkrug bezahlen.” Geschehen ist gegen diese Zustände in der Zwischenzeit so gut wie nichts. Die Folge des tiefen kulturellen Niveaus ist das Heer der ungelernten Arbeiter, das freilich die Voraussetzung für viele mehr als ungenügende Löhne und die Aufrechterhaltung des zu einem erschreckend großen Teil noch feudalen Landbesitzes und seiner pa- ternalistischen Bewirtschaftungsweise ist.

Das spanische Regime hat in diesem seinen 25. Jubiläumsjahr mit einer Reihe von beachtlichen Leistungen aufzuwarten. Einige seiner Zukunftspläne geben Anlaß zu Optimismus. Es weist aber Strukturfehler auf, gegen die Gruppen unter seinen Anhängern, besonders aus kirchlichen und Syndikatskreisen, seit Jahren Sturm laufen. Vergeblich! Andere Stützen des Regimes erwiesen sich bisher als stärker.

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